Hungary first, Europe second

Viktor Orbán inszeniert die EU-Ratspräsidentschaft Ungarns als PR-Show. Er will Frieden in der Ukraine nach seinem Geschmack, attackiert die EU-Migrationspolitik – und denkt eigentlich nur an sich selbst

Aus Brüssel Eric Bonse

Ungarns umstrittener Regierungschef Viktor Orbán sieht sich in seiner knallharten Migrationspolitik bestätigt – und hofft auf einen Wahlsieg von Donald Trump in den USA. Dies sagte Orbán am Dienstag auf einer improvisierten, fast zweistündigen Pressekonferenz im Europaparlament in Straßburg. Sie wurde von den offiziellen EU-Videokanälen boykottiert, zog aber umso mehr Journalisten an.

„Wir werden mehrere Flaschen Champagner öffnen, wenn Trump gewählt wird“, sagte der Rechtsnationalist aus Budapest. Zur Begründung verwies Orbán auf Trumps Aussage, er wolle den Ukrainekrieg so schnell wie möglich beenden. Dies sei auch im europäischen Interesse: „Wir brauchen wenigstens einen Waffenstillstand.“ Deshalb sei er selbst nach Kyjiw, Moskau und Peking gereist. Die unabgestimmte „Friedensmission“ zu Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft im Juli hatte zu erheblicher Verstimmung in Brüssel geführt. Orbán sieht sich aber weiter im Recht. Nicht nur der Globale Süden, sondern auch eine Mehrheit der Europäer wolle Frieden, sagte er. Allerdings seien Russland und die Ukraine dazu noch nicht bereit. Daher müsse man sie zu Gesprächen drängen.

Unnachgiebig gab sich Orbán beim Thema Migration. Dies sei das konfliktträchtigste Thema in der EU, räumte er ein. Weil Ungarn sich weigert, das EU-Asylrecht anzuwenden, wurde Budapest vom Europäischen Gerichtshof verurteilt, 200 Millionen Euro Strafe zu zahlen. „Da müssen wir eine Lösung finden“ sagte er. An seiner harten Linie bei Asyl und Migration werde er aber festhalten.

Nächste Station ist nun das Europaparlament. Dort will er am Mittwoch erneut die Prioritäten des ungarischen EU-Vorsitz vorstellen. Bereits im Vorfeld hagelte es scharfe Kritik. „Viktor Orbán ist der Posterboy der europäischen Nationalisten. Seine populistische Politik dient der Neuen Rechten in Europa als Blaupause“, sagte die stellvertretende Parlamentspräsidentin Katarina Barley (SPD). Die EU-Kommission sei zu lange untätig geblieben, während die ungarische Demokratie zunehmend erodiere.

„Orbán ist Posterboy der europäischen Nationalisten“

Katarina Barley, Vizeparlamentspräsidentin

Unzufrieden sind die Abgeordneten auch mit dem Rat, der Vertretung der 27 Mitgliedsstaaten. „Ich bin sauer, denn die anderen 26 Mitgliedsstaaten lassen es zu, dass Orbán diese Show aufführt“, so der sozialdemokratische Abgeordnete Thijs Reuten aus den Niederlanden. Der Rat nutze nicht die ihm zur Verfügung stehenden Werkzeuge. Gemeint ist vor allem Artikel 7 des EU-Vertrags. Er sieht Sanktionen gegen Mitgliedstaaten vor, die Grundwerte wie Freiheit, Demokratie, Gleichheit oder Rechtsstaatlichkeit missachten. Im Extremfall können die Stimmrechte im Rat ausgesetzt werden. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, das laufende Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn voranzutreiben – doch passiert ist bisher wenig.

Orbán ist es bisher nicht gelungen, der EU seinen Stempel aufzudrücken. Seine Ratspräsidentschaft hat an der Pro-Ukraine- und Anti-Russland-Politik nichts geändert – trotz der umstrittenen Reisen. Anders sieht dies bei der ­Migrationspolitik aus. Hier präsentiert sich Orbán als Vorreiter. Seit Deutschland seine Gangart verschärft hat, steht Ungarn nicht mehr so allein da. Orbán will dies nutzen, um mit den Niederlanden ein „Opt-out“ vom neuen Asyl- und Migrationspakt zu erlangen und die EU-Regeln zu umgehen. Dies dürfte ihm zwar nicht gelingen; zwei EU-Länder reichen nicht, um Beschlüsse zu kippen. Aber die Migrationspolitik wird auf EU-Gipfel in der kommenden ­Woche diskutiert. Orbán will sich erneut als Siegertyp präsentieren, der sich gegen die „Brüsseler Bürokraten“ wehrt.