Annabelle Hirsch La Strada
: Allein im Museum, zwischen Karren und Puppen

Auf Stippvisite in Rom hat man, neben Essen und Schlendern, meist eines zum Ziel: die Kunst. Am Wochenende zu ­versuchen, in die Galleria Borghese, die Kapitolinischen Museen oder ähnlich bekannte Spots zu kommen, bedeutet, entweder sehr gut organisiert zu sein und seine Tickets Wochen zuvor gebucht zu haben oder eine Leidenschaft fürs Anstehen zu hegen. Den Schlangen vor ­gewissen Pizzerien nach zu urteilen, ist die Freude am Warten wesentlich verbreiteter, als man denkt. Bleiben wir aber bei der Kunst. Vergangenes Wochenende habe ich diese in zwei sehr unterschiedlichen Kontexten gefunden. Nachdem ich am Freitagabend die Abschluss­ausstellung des Kurators am Macro, Museum für Zeitgenössische Kunst, ­besucht hatte und dort vor allem damit beschäftigt war, zu ­versuchen, mir in der Masse einen Weg zu den Werken und der Bar zu bahnen, entschloss ich mich am Samstag eine etwas ­abseitigere mostra zu besuchen.

Ich überredete einen Freund, mit mir die Reise nach EUR anzutreten, in das „Museo della Civiltà“, zur Ausstellung der Textilkünstlerin Isabella Ducrot. Drucrot ist das seltene Kunststück gelungen, ihr Leben lang in ihrer Ecke vor sich hin zu arbeiten und erst im Alter von über 90 Jahren entdeckt zu werden. Für diese Ausstellung, so hatte ich es gelesen, hat die Künstlerin das Textil-Archiv des Museums durchforstet und einen Dialog zwischen ihren Arbeiten und Stücken aus Afrika, Asien, Europa und Südamerika hergestellt. Warum nicht, befand mein Freund, nicht ahnend, worauf er sich einließ. Denn das Museum ist, milde gesagt, skurril. Schon am Eingang schien es, als seien wir irgendwie falsch. Die Frau am Schalter versuchte uns vom Eintritt abzubringen, wir hatten nur noch wenig Zeit, sagte sie, sind Sie sicher, dass Sie das wollen.

Ducrots Teil ist klein, aber schön. Ihre rauen und zugleich feinen Arbeiten wirken, als würden sie dem faschistischen Bau mit sanfter Stimme erklären, dass wahre Stärke von jenen ausgeht, die es nicht nötig haben, zu protzen. Interessant, aber kurzweilig. Da wir nach etwa 20 Minuten fertig waren, beschlossen wir, da wir nun mal hier waren, zumindest einen Teil der Dauerausstellung zu besuchen. Man lernt dort allerhand Komisches. Etwa dass in der Toskana einst viele seltsame Menschen geboren wurden: kleine Mädchen, halb Kind, halb Schwein, Werwölfe, Steinmenschen. Man sieht sizilianische Karren, Trachten an gruselig echt aussehenden Puppen, allerhand Stücke aus dem Zirkus- und Kirmes-Kontext, florentinische Werbungen für gefrorene Wassermelonen, Atelier-Schilder und so weiter. Außer uns war wirklich niemand da. Die Räume waren düster, die Vitrinen leuchteten erst dann auf, als wir vorbeiliefen, und präsentierten uns ihre seltsamen bis gruseligen Schätze.

Mein Freund wirkte irgendwann ein wenig nervös. Theoretisch schließen sie in fünf Minuten, meinte er. Wir malten uns aus, wie wir die Nacht zwischen Karren und Puppen verbringen würden, bereuten, dass wir keinen Proviant eingepackt hatten, und schwankten zwischen Amüsement und Sorge. Wahrscheinlich würden wir in den Lokalnachrichten landen: ein Römer und eine Deutsche, eingesperrt ins Museum der Zivilisation. Man würde uns befragen, wie wir es erlebt haben, was in der Nacht geschah, das Museum würde auf einmal in den Schlagzeilen landen und auf diese Weise endlich wahrgenommen werden. In etwa so malten wir uns das Szenario aus, doch am Ende kam es natürlich anders. Wir schafften es pünktlich nach unten, liefen an der noch immer perplex wirkenden Dame am Eingang vorbei, sie grinste, wir grüßten, buo­na serata, und fuhren zurück in die Stadt.

Am nächsten Tag schrieb der Freund, das Museum sei particolare gewesen, so etwas habe er in seiner Stadt noch nicht gesehen. Comunque bello, meinte er versöhnlich. Das nächste Ausflugsziel entscheidet wahrscheinlich trotzdem er.

Die Autorin lebt in Rom.