Aktuelle Lage in Nahost: Israels Krieg an mehreren Fronten

Schwere Luftangriffe auf den Libanon, neue Offensive in Gaza, 18 Tote im Westjordanland: Das Vorgehen Israels lässt kaum Hoffnung auf Entspannung zu.

Nach einem Raketeneinschlag steigt Rauch auf

Eine CNN-Reporterin bezeichnete die Angriffe in der Nacht zu Sonntag als „mit die längsten und schwersten seit Beginn des Krieges“ Foto: Mohamed Azakir/reuters

Beirut taz | Vom Beiruter Flughafen heben noch immer täglich Evakuierungsflugzeuge ab. Gleichzeitig wurde die Stadt erneut von heftigen israelischen Luftangriffen erschüttert. Lokale Medien berichteten von mehr als 30 Angriffen in der Nacht auf Sonntag, mehrere in der Nähe des Flugplatzes. Eine CNN-Reporterin in Beirut bezeichnete die Angriffe als „mit die längsten und schwersten seit Beginn des Krieges“. Videos der Nachrichtenagentur AFP zeigten am Vormittag neue Einschläge in den südlichen Vorstädten. Während in der Region die Sorge vor einem großen regionalen Krieg zwischen Israel und Iran wächst, nehmen auch im Gazastreifen und dem Westjordanland die israelischen Angriffe zu.

Am Samstag wurden bei Luftangriffen im Libanon 23 Menschen getötet und 93 verletzt, teilte das libanesische Gesundheitsministerium mit. Laut der israelischen Armee seien in der Nacht auf Sonntag unter anderem Waffenlager der Hisbollah getroffen worden. Unter den Toten sei auch Hisbollah-Kommandeur Hader Ali Taweel, der für den Beschuss israelischer Gemeinden nahe der Grenze zum Libanon verantwortlich gewesen sein soll. Zwei Raketen und mehrere Flugobjekte aus dem Libanon wurden am Morgen abgefangen, ohne Schaden anzurichten.

Bei den bereits seit Ende September andauernden Bombenangriffen, teilweise tief im Libanon, waren in den vergangenen Wochen zahlreiche Anführer der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz getötet worden. Unter ihnen war Hassan Nasrallah, der die Hisbollah 30 Jahre lang geführt hat. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unter Berufung auf libanesische Sicherheitskreise, dass auch zu dessen potenziellem Nachfolger Hischam Safi al-Din seit einem Luftangriff nahe dem Flughafen in Beirut am Freitag kein Kontakt mehr bestehe. Laut libanesischen Angaben wurden mehr als eine Million Menschen vertrieben, rund ein Viertel der Bevölkerung. Der Bildungsminister Abbas Halabi verschob den Start des Schuljahres auf Anfang November.

Trotz der raschen militärischen Erfolge gegen die Hisbollah, die seit der Explosion Hunderter Pager und Funkgeräte in den Taschen ihrer Mitglieder – allem Anschein nach eine Aktion des israelischen Geheimdienstes – binnen weniger Tage fast ihre gesamte Führungsriege verloren hat, nimmt der israelische Angriff weiter an Intensität zu. Am Samstag traf ein erster Luftangriff ein palästinensisches Flüchtlingslager in der Stadt Tripolis im Norden des Libanon. Dabei sei ein führendes Mitglied der Hamas mit seiner Frau und zwei Kindern getötet worden, hieß es aus libanesischen Sicherheitskreisen. Seit knapp einer Woche sind auch israelische Bodentruppen in den Libanon vorgedrungen.

Angriffe aus der Luft und mit Panzern

Angesichts der Eskalation stellt sich die Frage, welches Ziel die israelische Regierung im Libanon verfolgt. Eines von Israels offiziellen Kriegszielen ist die Rückkehr von rund 60.000 vertriebenen Israelis in ihre Häuser im Grenzgebiet. Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte jedoch auch mehrfach erklärt, die Hisbollah wie schon die Hamas im Gazastreifen „besiegen“ zu wollen.

Doch obwohl Israel die Hamas in Gaza bereits mehrfach für militärisch besiegt und aus den meisten Gegenden vertrieben bezeichnet hatte, kündigte die israelische Armee am Wochenende erneut eine Offensive im Norden des Küstenstreifens an. Die rund 200.000 Menschen, die noch in dem weitgehend zerstörten Gebiet leben, wurden aufgefordert, sich in eine humanitäre Zone weiter im Süden zu begeben. Aus der Luft und mit Panzern beschoss die Armee nach eigenen Angaben Dutzende Orte in Dschabalija, darunter Waffenlager und Tunnel.

Berichten in Onlinemedien zufolge starb bei einem der Luftangriffe auch der Journalist Hassan Hamad. Laut Reporter ohne Grenzen wurden seit Kriegsbeginn vor einem Jahr mehr als 130 palästinensische Journalisten getötet, mindestens 32 von ihnen bei der Arbeit.

Im von Israel besetzten Westjordanland nähert sich das Vorgehen der Armee zunehmend dem im Gazastreifen an. Bei einem Luftangriff auf ein dreistöckiges Haus und Café im Flüchtlingslager Tulkarem starben in der Nacht auf Freitag mindestens 18 Menschen. Es war der tödlichste Angriff der Armee in dem Gebiet seit Kriegsbeginn. Unter den Toten ist laut der Nachrichtenagentur AP eine vierköpfige Familie mit zwei 6- und 8-jährigen Kindern. Auf Videoaufnahmen waren am Freitag Rettungskräfte zu sehen, die Leichenteile in Boxen sammelten. Die Armee teilte mit, mindestens zwölf „Terroristen der Hamas und des Islamischen Dschihad“ getötet zu haben. In Beer Scheva im Süden Israels starb am Sonntag eine Frau, als ein Angreifer das Feuer auf eine Bushaltestelle eröffnete. Die Polizei geht von einem Terrorangriff aus, der Täter wurde demnach getötet.

Mit Blick auf Iran lassen die jüngsten Äußerungen der israelischen Regierung kaum Hoffnung auf Entspannung zu. Verteidigungsminister Joav Gallant drohte Teheran am Sonntag mit Angriffen wie im Gazastreifen und Beirut. „Wer glaubt, dass ein bloßer Versuch, uns zu schaden, uns von Maßnahmen abhalten wird, sollte einen Blick auf unsere Erfolge in Gaza und Beirut werfen“, sagte er. Der Raketenangriff des Iran habe die Fähigkeiten der Luftwaffe nicht beschädigt, so Gallant.

Untersuchungen des Raketenangriffes am vergangenen Dienstagabend zeigen jedoch, dass die Schäden möglicherweise größer ausfielen als bisher angenommen. Der Analyst Decker Eveleth des Thinktanks CNA der US-Marine kommt anhand von Onlinevideos und Satellitenbildern zu dem Schluss, dass die israelische Nevatim-Luftwaffenbasis im Süden Israels mindestens 32 Mal getroffen wurde. Zwar seien dabei keine der wertvollen F-35-Kampfjets beschädigt worden, aber es bleibe die Tatsache, dass Iran Israel schwer treffen kann, wenn es will, schreibt Eveleth in einem Blog-Eintrag. Bei einem ähnlichen Angriff auf Industrieanlagen oder Großstädte sei mit erheblichen Schäden zu rechnen.

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