Meduza-Auswahl 15. – 21. August: Russlands Fast-noch-Kindersoldaten

Viele Rekruten der russischen Armee sind gerade 18 Jahre alt. Sie hoffen auf schnelles Geld – und finden den Tod.

Junge Rekruten nach ihrer Einkleidung Foto: Erik Romanenko/Itar-Tass/imago

Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.

In der Woche vom 15. bis zum 21. August 2024 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:

Von der Schulbank an die Waffen in den Tod

Russische Kinder werden in der Schule und in den Medien beständig mit Propagandanachrichten über den Krieg in der Ukraine berieselt. Nun macht eine Generation, die als Jugendliche durch diesen Krieg geprägt wurde, ihren Schulabschluss – und geht danach oft direkt an die Front.

Viele junge Männer unterzeichnen mit kaum 18 Jahren Verträge mit der Armee und werden nach nur zwei Wochen Ausbildung in den Kampf geschickt. Allein in den letzten zwei Monaten sind mindestens 13 solcher jungen Soldaten im Kampf gefallen – viele bereits bei ihrem ersten Einsatz. Um herauszufinden, was diese jungen Männer dazu veranlasst, sich zum Dienst zu melden, sprach die unabhängige Nachrichtenagentur Holod mit den Hinterbliebenen dieser jungen Soldaten. Meduza fasst den Bericht auf Englisch zusammen.

Nur ein Beispiel: Georgy Nadeyin aus Perm im Uralvorland war erst acht Jahre alt, als sein Stiefvater 2014 zum ersten Mal mit der Gruppe Wagner in den Donbass zog. Nachdem er in der Ukraine gedient hatte, wurde sein Stiefvater nach Syrien und dann nach Afrika geschickt. Georgy feierte seinen 18. Geburtstag im Februar 2024. Weniger als einen Monat später rief er seine Mutter an und erzählte ihr, dass er einen Militärvertrag unterschrieben hatte. „Alle Jungs gehen hin“, sagte er. „Bin ich etwa der Einzige, der dafür nicht geeignet ist?“

Ein anderes Beispiel: Jaroslaw Lipawski aus Tjumen in Westsibirien wollte der Armut entkommen – und starb einen Monat nach seinem 18. Geburtstag. Er hatte gehofft, als Soldat genug Geld zu verdienen, um seine schwangere Freundin zu unterstützen und seiner Mutter zu helfen, angehäufte Schulden zu begleichen. Kurz nach Jaroslaws Tod brachte seine Freundin Jekaterina eine gemeinsame Tochter zur Welt.

Der talentierte Mr. Rubtsov

Von den Spionen, die im Rahmen des Gefangenenaustauschs nach Russland zurückkehrten, war Pavel Rubtsov der wohl „talentierteste“. Der 42-Jährige, der sowohl die spanische als auch die russische Staatsbürgerschaft besitzt und auch unter dem Namen Pablo González bekannt ist, arbeitete jahrelang als Journalist. So verschaffte er sich Zugang zu prominenten Persönlichkeiten der russischen Opposition – darunter auch zu zwei der im Rahmen des Gefangenenaustauschs freigelassenen politischen Gefangenen, Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Murza.

Meduza erzählt, wie er die russische Opposition infiltrierte, in einem polnischen Gefängnis landete und schließlich nach Moskau zurückkehrte (englischer Text).

Für Journalisten in Madrid wie Berlin, europäischen Think-Tankern und Mitgliedern der russischen Opposition war González nicht etwa ein Kreml-Agent, sondern ein spanischer Journalist und politischer Analyst. Auch, weil seine Geschichte so überzeugend war: So musste González-Rubtsov musste nicht vorgeben, Spanier zu sein – denn er wurde in eine Familie von Einwanderern aus Spanien geboren. Sein Großvater, Andrés González Yagüe, wurde als Kind während des Spanischen Bürgerkriegs in die UdSSR evakuiert. Die Tochter von Yagüe, María Elena González, heiratete später den sowjetischen Wissenschaftler Aleksey Rubtsov. Ihr Sohn, Pavel Rubtsov, wurde 1982 in Moskau geboren.

Selbst nach seiner Verhaftung beteuerten sowohl seine spanischen Kollegen als auch die Mutter seiner drei Kinder, Oihana Goiriena, dass er unschuldig sei. Selbst Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Reporter ohne Grenzen setzten sich für ihn ein und forderten Warschau auf, einen fairen Prozess zu führen.

Der Tod des Pianisten Pavel Kushnir

Am 28. Juli stirbt der Pianist Pavel Kushnir im Hungerstreik in einem Untersuchungsgefängnis in der fernöstlichen Stadt Birobidzhan. Der Musiker wird nur 39 Jahren alt. Ende Mai war er festgenommen worden, unter dem Vorwurf, er habe öffentlich zum Terrorismus aufgerufen – weil er auf seinem YouTube-Kanal mit fünf Abonnenten Antikriegsvideos veröffentlicht hatte.

Kushnirs Tod wurde am bereits 2. August bekannt, am 13. August unterzeichneten Stars der klassischen Musikszene einen offenen Brief in seinem Gedenken. Bereg, eine Kooperative unabhängiger Journalisten in Russland, sprach mit Freunden und Klassenkameraden von Pavel Kushnir, um zu verstehen, wer Pavel Kushnir war. Meduza veröfffentlicht den Text auf Russisch in voller Länge.

Wenn der Einberufungsbefehl ins Haus flattert

Wie kann man sich und seine Familie vor der Einberufung schützen? Und was tun, wenn Angehörige bereits in der Armee ist? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Einzug in das russische Militär, beantwortet Meduza auf Russisch.

So erklärt der Jurist Jewgeni Smirnow gegenüber Meduza: Viele Wehrpflichtige entschieden sich für die Verweigerung des Einzugs. Die Risiken, die mit dem Aufenthalt in einer Strafkolonie verbunden sind, seien geringer als die Risiken, die Soldaten in einem Kriegsgebiet eingehen.

Gerade Menschen, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befindet – denen etwa ein Strafverfahren anhängt, oder die Schulden haben – zwingt das Militär regelrecht zur Unterzeichnung eines Einberufungsvertrags. Man könne nicht gezwungen werden, einen solchen Vertrag zu unterschreiben, und Drohungen seien in der Regel Bluff.

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