Vor dem Parteitag der US-Demokraten: Heimspiel für Harris?
In ihrer politischen Hochburg Chicago versammeln sich die US-Demokraten ab Montag. Auch Anti-Gaza-Kriegs-Proteste sind angekündigt.
Ein reibungsloser Parteitag könnte den Grundstein für einen möglichen Wahlerfolg von Harris im November legen. Ein Vorteil für die Demokraten ist außerdem, dass – sowohl die Stadt als auch der US-Bundesstaat Illinois, in dem sie liegt – seit Jahrzehnten fest in demokratischer Hand. Ein Heimspiel? „Parteitags-Veranstaltungsorte haben einen hohen symbolischen Wert. In diesem Jahr symbolisiert Chicago den neuen progressiven Populismus der Demokratischen Partei, die sich auf Amerikas Kernregion konzentriert – den Mittleren Westen“, erklärt die US-Historikerin Amy Dru Stanley der taz.
Bereits zum zwölften Mal veranstalten die Demokraten ihren Nominierungsparteitag in der am Michigansee gelegenen Großstadt im Norden der USA. Zuletzt war dies 1996 der Fall. Ein Grund warum Chicago vor allem im 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert so viele Parteitage austragen durfte, ist deren Lage. Chicago liegt im Herzen der USA, es ist ein Transport-Knotenpunkt für Züge, den Flugverkehr und das amerikanische Highway-System. Hinzukommt, dass Chicago im Gegensatz zu Städten wie New York, Boston oder Los Angeles nicht als elitär angesehen wird, sagt der Geschichtsprofessor David Faber von der Universität in Kansas der taz.
„Wir stehen an einem Wendepunkt“
Mit der offiziellen Nominierung einer schwarzen Frau indischer Abstammung schreiben die Demokraten zudem US-Geschichte. Doch in diesem Jahr stehe noch viel mehr auf dem Spiel, erklärt Dru Stanley: „Die Bedeutung dieses Parteitages könnte nicht größer sein. Es geht darum, die Menschen im Land zu mobilisieren, um die autoritären, faschistischen Kräfte der MAGA-(Make American Great Again)-Republikaner zurückzuschlagen. Die US-Demokratie steckt in der Krise – wir stehen an einem Wendepunkt, wie auch Frankreich in diesem Sommer“, sagte sie.
David Faber, Geschichtsprofessor, Universität in Kansas
Zur Unterstützung dieses Anliegens werden Bekanntheiten aus der Musik- und Filmbranche in Chicago erwartet: Sänger John Legend und Rapper Lil Jon sollen auftreten. Auch TV-Host Jon Stewart und Schauspielerin Julia Louis-Dreyfus, die in der HBO-Show „Veep“ eine Vizepräsidentin spielte, sind in Chicago mit dabei. Ob sich Spekulationen über mögliche Auftritte von Beyoncé oder Taylor Swift bewahrheiten, bleibt abzuwarten.
Klar ist, dass Präsident Joe Bidens Entscheidung, nicht für eine weitere Amtszeit zu kandidieren, den Parteitag verändert. Vor einem Monat noch machten sich die Demokraten darüber Sorgen, wie sie Bidens „Altersschwächen“ auf dem Parteitag kaschieren könnten. Jetzt geht es darum, die aktuelle Euphorie über Harris und Walz in Wählerstimmen zu verwandeln.
Böse Erinnerungen an den Parteitag von 1968
Demokraten der jüngeren Generation erinnern sich vermutlich an die Jubelbilder von Barack Obama, als dieser vor Tausenden in Chicagos Grant Park seinen Wahlsieg im Jahr 2008 feierte. Doch gerade ältere Generationen mögen sich auch an den Parteitag 1968 erinnern. Es war ein Jahr, in dem die USA viel durchlebte. Präsident Lyndon B. Johnson entschied sich, wie Biden, nicht erneut zu kandidieren. Der Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. und der US-Senator Robert F. Kennedy wurden erschossen, der Vietnam-Krieg spaltete das Land. Vor dem Parteitag protestierten Tausende, es kam zu Ausschreitungen unter den Delegierten und auf Chicagos Straßen. Die sich bahnbrechende Gewalt sorgte damals für Aufrur in den USA.
Auch in diesem Jahr wird mit großangelegten Demonstrationen gerechnet, mehr als 20.000 Teilnehmende werden in den kommenden Tagen in Chicago erwartet. 1968 war es der Vietnam-Krieg, der die Menschen mobilisierte. In diesem Jahr ist es der Krieg in Gaza. Doch damit enden die Parallelen auch schon wieder.
„Es ist unwahrscheinlich, dass es zu Gewalt im Ausmaß von 1968 kommen wird, obwohl wir Demonstrationen gegen die US-Beteiligung am Israel-Hamas-Krieg in Gaza erwarten können. Die Polizei wurde mobilisiert, um die Ordnung aufrechtzuerhalten – aber der Bürgermeister wird die gewaltsame Unterdrückung von 1968 nicht wiederholen“, sagte Dru Stanley. Denn die ganze Welt sehe zu.
US-Präsident Joe Biden wird bereits am Montagabend auf dem Parteitag, bei dem über 50.000 Besucher erwartet werden, auftreten. Am Dienstag folgt dann Ex-Präsident Obama. Das Spitzenduo Walz und Harris wird am Mittwoch und Donnerstag sprechen – ein Spektakel zum Abschluss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“