: Eine notwendige Qual
Ab Sommer 1934 schreibt Willi Bredel „Die Prüfung“, die Anfang 1935 als Buch erscheint. Der Roman handelt vom Alltag im KZ Fuhlsbüttel und macht die Folter erzählerisch nachvollziehbar. Der Autor wusste, wovon er schrieb: Er war selbst im Frühjahr aus dem Lager entlassen worden und nach Prag geflüchtet
Von Benno Schirrmeister
„Die Prüfung“ ist ein schreckliches Buch. Willi Bredels Roman zu lesen, macht wirklich keinen Spaß. Aber es ist wichtig: Er berichtet aus erster Hand von der Anfangszeit der NS-Diktatur, in klaren, schlackenlosen Sätzen. Bredels Sprache braucht an keiner Stelle den Vergleich mit der von Hans Fallada zu scheuen. Und was er zu erzählen hat, ist inhaltlich ohnehin relevanter.
Aber genau deshalb verursacht das vor 90 Jahren veröffentlichte Buch Qualen. Nicht der Anfang: Da wirkt’s, und das ist ein kluger kompositorischer Griff, als läse man einen fulminanten Großstadtroman, ja, einen Politthriller der ein famoses Panorama von Hamburg entwirft. Aber so, wie der NS-Terror gleich am Bleichenfleet mitten in der Stadt seine Herzkammer eingerichtet hat, steht auch im Zentrum des Romans das Leben von August 1933 bis zum Frühjahr 1934 – im Konzentrationslager Fuhlsbüttel. Und an keiner Stelle gönnt Bredel sich und seinen Leser*innen eine erholsame Abdrift in die wirkungsbewusste kleine-Männer-Gefühligkeit, mit der andere Autoren der Neuen Sachlichkeit sich und ihr Publikum betäuben.
Bredel war aus dem Hamburger KZ 14 Monate nach seiner Verhaftung entlassen worden, also um Pfingsten 1934. Ihm war klar: Noch einmal würde er das nicht überleben. Also ging er außer Landes, erst nach Prag, später dann Moskau. Bredel war Sohn eines Zigarrensortierers, und dass er in der herrlich galligen Wirtschaftskurzgeschichte „Ernte 23 oder Ein Held der westlichen Welt“ 1960 ausgerechnet vom brutalen Aufstieg des Philipp K.F. Reemtsma zum Monopolisten erzählt, hat möglicherweise auch etwas mit dieser Herkunft zu tun.
Vor allem aber war der gelernte Dreher und zwischenzeitliche Matrose sowie Taxifahrer ein kommunistischer Aktivist. Schon beim kläglichen Hamburger Aufstand 1923 war Bredel dabei gewesen. Schon damals war er im Knast gelandet, war Journalist geworden, bevor man ihn 1930 wegen vermeintlichen Hochverrats wieder zwei Jahre wegsperrte. Im März 1933 nahmen ihn dann die Nazis hops, elf Monate wurde er in Fuhlsbüttel isoliert in Haft gehalten, zweieinhalb davon in Dunkelhaft. Erzählerisch meisterhaft, und ja, fast lesbar wie eine gallige Antwort oder sinistre Parodie auf die Zeitthematik in Thomas Manns zehn Jahre zuvor erschienenem „Zauberberg“ macht Bredel in den Dunkelhaft-Kapiteln der „Prüfung“ den Verlust jedes Gefühls für Dauer spürbar, den Verlust auch des Elementar-Rhythmus von Tag und Nacht – und das Ringen, sich diesen durch intellektuelle Anstrengung zu bewahren.
Durchgestanden habe Bredel diese Zeit indem er den Roman bereits konzipiert hat, „im Kopf geschrieben“, heißt es im Vorwort der ersten Nachkriegsausgabe. Das Buch auf Papier zu bringen sei „nur noch eine technische Angelegenheit“ gewesen. Schon im Sommer 1934 waren Auszüge der „Prüfung“ wohl als Vorabdruck in Zeitschriften erschienen. Ganz fertig war der Roman dann im Herbst. Die Umschlaggestaltung übernahm John Heartfield, Meister der politischen Collage und wie Bredel in die Tschechoslowakei geflüchtet. Sein Bruder, der Verleger Wieland Herzfelde, erledigte den Rest: Rechtlich gesehen hatte der seinen Malik-Verlag aus Charlottenburg nach London umgesiedelt. Aber dort gab’s nur einen Briefkasten, die Arbeit fand in einer Prager Einzimmerwohnung statt. Gedruckt wurde in Moskau, wo das Buch mit anderem Umschlag fast gleichzeitig in der „Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der UdSSR“ herauskam.
Nach Hans Beimlers Aufzeichnungen „Im Mörderlager Dachau“ (1933), aber noch vor dem anonymen Bericht „Als sozialdemokratischer Arbeiter im Konzentrationslager Papenburg“ (1935) ist „Die Prüfung“ das erste Werk, das einen Einblick in die Anfänge des Systems Konzentrationslager verschafft. Es tut aber noch mehr, als diese Berichte. Ohne den dokumentarischen Wert zu schmälern, kann Bredel im Roman auch Innensichten des Terrorregimes anstellen: Er zeichnet Gestapo-, SA- und SS-Leute nicht als Typen oder gar Karikaturen, er lässt sie reden. Zeigt wie sie sich mit Tabakschiebereien und anderen Ganoventricks an den Häftlingen bereichern. Manche haben schon Zweifel am Regime, andere berauschen sich an ihrer eigenen Grausamkeit.
Das Buch: Willi Bredel, „Die Prüfung“. Roman. Zuerst Malik-Verlag, London 1935, weitere Ausgaben u.a. in der „Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR“ und dem Aufbau-Verlag, Berlin (Ost). Derzeit nur antiquarisch erhältlich.
Unsere Serie „Wiedergelesen“stellt in loser Folge Texte und literarische Werke vor, die von Norddeutschland handeln oder deren Autor:innen hier gelebt haben (oder beides) und an die zu erinnern gute Gründe hat.
Erneut lesen wir dafür Bücher, weil jede:r meint, sie zu kennen, sie aber doch ganz anders verstanden werden müssten; weil keine:r sie kennt, obwohl jede:r sie kennen sollte; weil sich nicht loskommen lässt von ihnen; weil sie in Vergessenheit geraten sind – oder weil sie zu Unrecht Ruhm und Publikum eingeheimst haben.
Ebensowenig sind bei Bredel die KZ-Insassen eine einheitliche Masse: In Schlafsaalgesprächen tragen sie den Konflikt aus zwischen Sozialdemokraten und den Kommunisten, die sich von jenen verraten sehen. Auch widmen sie sich der Frage, wie nach dem Sturz des Regimes an den Nazi-Schergen Rache zu nehmen sei. Dass sie in geheimer Abstimmung bis auf einen alle für Totschießen sind, statt fürs Totprügeln, nehmen sie sich als allzu human fast ein wenig übel.
Eine Figur, der kommunistische Agitator Heinrich Torsten, in dem am meisten von Bredel selbst steckt, schrammt in Wochen der Dunkelhaft nur knapp am Wahnsinn vorbei – und erkennt erst nach einer gefühlten Ewigkeit in den Klopfzeichen aus der Nachbarzelle codierte Nachrichten. Selten sind die Lichtblicke: Als der Journalist Dr. Fritz Koltwitz – in ihm hat Bredel vor allem das Martyrium des Lübecker Bürgerschaftsabgeordneten und Zeitungsredakteurs Fritz Solnitz gespiegelt – einen Brief von seiner Frau erhält, ist es für ihn ein Freudentag: „Koltwitz liest den Brief dreimal, liest ihn immer noch einmal, lacht und weint dabei vor Freude“, heißt es. Der Mann stellt fest: „Das Leben ist schön. Wie schön und lebenswert eigentlich, das hat er erst hier erkannt.“ Später wird er totgeprügelt. Und so schreitet die Erzählung von planmäßigen Erniedrigungen über Tritte und rohe Schläge über die systematischer Folter mit einem Tauende bis hin zum plötzlichem Erschrecken der Schergen, wenn sie mal wieder zu weit gegangen sind.
Der erste Gefangene, der zusammenbricht, da sind wir noch nicht im KZ, ist John Tetzlin, ein kommunistischer Hafenarbeiter. „Ein Koloß von einem Mann“, nennt Bredel ihn: Auch diesem Tetzlin hat er Elemente seiner eigenen Biografie geliehen. Anders als der heroische Torsten kann Tetzlin die Verhöre im Stadthaus aber nicht aushalten, in Hamburgs Polizeizentrale. Wieder zurück in der Einzelzelle, verzweifelt er: „Alle haben sie dir vertraut, John, alle haben sie in dir einen stahlharten Bolschewiken gesehen. Alle haben dich geliebt, John, und du verrätst deinen Org-Leiter“, zermartert er sich nächtens den Kopf, „hetzt die Bluthunde auf die Spuren deines Freundes.“ Er fiebert. Schreit seinen Verrat raus in die Nacht. Dass er sich erhängt hat, erfahren die Leser*innen dann beiläufig aus dem Munde eines Wachtmeisters.
Zu den wichtigsten Figuren des Romans gehört Gottfried Miesicke. Er betreibt nahe der Colonnaden ein Kleidungsgeschäft, „Herrenkonfektion en gros“, und tritt auf beseelt vom Hochgefühl eines prima Abschlusses: Er hat vorteilhaft 18 Kartons Krawatten verkauft. Dass dieser vergnügte und durchaus liebenswerte Spießer auf dem Alsterdampfer sorglos vor Glück drauflosplappert, wird ihm zum Verhängnis. Denn dabei spricht er mit Torsten, den die Staatspolizei observiert. Also wird auch er einkassiert, obwohl er sich doch völlig unpolitisch weiß.
Miesicke ist einer von drei jüdischen Charakteren des Romans. Bredel hatte sehr früh und sehr genau die ideologische Bedeutung des Judenhasses fürs Nazitum erfasst. Schon 1931 war er ihm im Roman „Rosenhofstraße“ erzählerisch entgegengetreten. Nach dem Krieg brüskierte er mit „Das schweigende Dorf“ (1948) fast schon die offizielle Geschichts- und Gedenkpolitik in Sowjetischer Besatzungszone und DDR: Die hätte den Holocaust lieber verdrängt.
Die Literaturwissenschaftlerin Birgit Schmidt weist zurecht darauf hin, dass die Figur Miesicke problematische Stereotype bedient. An keiner Person setzt der Roman die Erniedrigung so plastisch in Szene, einen Kommunisten etwa, der die Kontrolle über seinen Schließmuskel verliert, gibt’s in keinem Bredel-Roman, so Schmidt. Allerdings: Von Miesickes Kollaps erfährt man nur aus dem Mund von SS-Männern. Schlägt da deren Judenhass durch?
Wahre Helden gibt es nicht. Bredel ist eine beeindruckende, aber keine harmlose oder gar strahlende Figur. In den 1930ern schwärzt er politisch unzuverlässige Schrifstellerkollegen in Moskau an. Später, als Mitglied des Zentralkomitees der SED, hilft er auf widerlichste Weise, den Weggefährten und Kollegen Walter Janka fertig zu machen.
Genießbarer wird sein Werk dadurch nicht – wichtig bleibt es. Umso schlimmer, dass es selbst in Hamburg, wo die Willi-Bredel-Gesellschaft sitzt, kaum noch präsent ist. Dabei erzählen gerade Bredels beste Bücher auch die Geschichte und die Geschichten dieser Stadt. Mit klarem Blick für die Opfer, ohne falsche Rücksicht auf die Täter. Schonungslos, notwendig quälend. Und zwingend wiederzulesen.
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