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Jessen filmt klein

Die Impro-Komödie „Micha denkt groß“ über große Visionen auf dem flachen Land erweist sich nicht als leinwandtauglich: Der Hamburger Regisseur Lars Jessen findet leider keine Bilder von Format

Von Wilfried Hippen

Eine Wellness-Oase in der brachliegenden Provinz von Sachsen-Anhalt! Das ist wirklich groß gedacht vom Selfmade-Unternehmer ­Micha, der in Berlin als Game-Designer viel Geld gemacht hat. Mit dem kehrt er in sein Heimatdorf zurück, um das geerbte Elternhaus in ein Luxushotel mit großem Pool und allen Schikanen umzubauen. Was ihm fehlt, ist allerdings das Wasser. Das Land versteppt. Dass Geld in die Gemeinde gepumpt wird, gefällt den Dorfbewohner*innen, aber über den Zugang zum Wasser zerstreiten sie sich alle.

Das ist das Setting des Spielfilms „Micha denkt groß“. Und ein komplizierterer Plot wäre auch nicht hilfreich gewesen, denn die Dialoge stehen nicht im Drehbuch: Die Schau­spie­le­r*in­nen improvisieren. Wichtig ist also, dass Situationen geschaffen werden, in denen die Dar­stel­le­r*in­nen die Gelegenheit haben, sich gegenseitig zu überraschen, um möglichst spontane und intensive Reaktionen aufeinander hervorzurufen. Das kann witzig und auch erfolgreich sein, wie Regisseur Lars Jessen und der Spezialist für improvisierte Filme und Hörspiele, Jan Georg Schütte, beispielsweise mit ihrem Fernsehspiel „Für immer Sommer 90“ bewiesen haben, für das sie 2021 den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis bekamen. Ihr Hauptdarsteller war Charly Hübner, und der spielt nun auch in „Micha denkt groß“ den Titelhelden, der schnell merken muss, dass die anderen vielleicht nicht so groß wie er, aber dafür an sich selbst denken.

Sein mächtigster Gegenspieler ist der pensionierte Lehrer Bernd. Der verbreitet im Netz Verschwörungstheorien und lässt selbst einen Brunnen anlegen, um Micha das Wasser abzugraben. Der Co-Regisseur und Co-Autor Jan Georg Schütte spielt ihn als einen hinterhältigen Besserwisser und den einzigen wirklichen Schurken des Films. Peter Kurth gibt einen alteingesessenen Bauern, der das Wasser am nötigsten braucht, um seine Kühe zu tränken. Jördis Triebel ist eine alte Jugendfreundin von Micha, die im Dorf geblieben ist und sich dort als Masseurin und Tanzlehrerin mehr schlecht als recht behauptet. Annett Sawallisch hat sich als Rollenmodell für die Dorfbürgermeisterin Angela Merkel ausgesucht, sodass bei ihre schon die Frisur und die Kostüme für ein paar Lacher sorgen.

Neben ein paar schönen Geistesblitzen ist viel alltägliches Gerede im Film gelandet

Die sind nötig, denn die Dar­stel­le­r*in­nen sind zwar komisch und schlagfertig, aber bei ihren Improvisationen gibt es auch viel Leerlauf. Sie müssen sich ja in jeder Szene wieder neu aufeinander einlassen. So ist neben ein paar schönen Geistesblitzen viel alltägliches Gerede im Film gelandet. Das wirkt zwar authentischer, ist aber eben auch nicht so pointiert wie gut geschriebene Dialoge. In einigen Szenen kommt aber dann doch alles gut zusammen. So etwa gleich am Anfang bei der ersten Bürgerversammlung, auf der Micha frisch aus Berlin die Provinzler von seiner Vision überzeugen will. Dabei gibt er neudeutsche Wortschöpfungen wie „Soul Body Balance“ zum Besten oder stellt die Wiese vorm Haus als künftigen „Open Mind Floor“ vor. In anderen Szenen ist den Dar­stel­le­r*in­nen jedoch nicht viel eingefallen.

So ziehen sich die beiden Sequenzen mit Charly Hübner und Natalia Rudziewicz, die Michas Berliner Freundin spielt: Zwischen den beiden passiert einfach nichts. Die Handlung des Films entfaltet sich über ein Jahr von einem hoffnungsvollen Sommer bis zum nächsten, in dem Dürre herrscht. Doch dieser Versuch eines zumindest ansatzweise epischen Erzählens sorgt nur dafür, dass man die vielen Löcher im Plot flicken muss. Und bei aller Authentizität des Schauspiels kommt es dann auch zu Unstimmigkeiten wie dem sommerlichen T-Shirt, das Charly Hübner mitten in der sonst auch nicht sehr winterlich wirkenden Weihnachtszeit trägt.

Selbst groß gedacht haben Jessen und Schütte bei der Regie von „Micha denkt groß“ leider nicht: Zusammen mit Kameramann Moritz Schultheiß haben sie keine Kino-, sondern nur solide Fernsehfilmbilder geschaffen. Entsprechend wird im Presseportal der ARD verkündet, dass der Film schon im Herbst, also ein paar Wochen nach dem Kinostart am 22. 8., im Ersten sowie in der ARD-Mediathek zu sehen sein wird. Warum man dann noch ins Kino gehen soll, wird nicht verraten.

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