Susanne Fischer
: Inferno in der Idylle

Leben in der Natur ist ja ganz schön. Die Frösche hupen, die Krähen krähen und das Reh trollt mit seinen Kitzen an der Terrasse vorbei, um im Garten nach frischen Blüten zu suchen. Umleitungspfeile Richtung Giersch-plantage ignoriert es hartnäckig.

Wir haben gerade Urlaub und sämtliche Probleme auch, also ist „Vögelfüttern im Sommer oder nicht?“ das Diskussionsthema ganz oben auf der Agenda, während andere Menschen sich um wirklich wichtige Dinge wie Kriege und Wahlen kümmern.

Die Debatte verschob sich schnell in Richtung „Sozial-schmarotzer unterstützen oder nicht?“. Wir konnten nämlich kaum fassen, wie viel Meisenknödel die zierlichen Pieper in kürzester Zeit vertilgten.

„Da!“, sagte der Liebste und zeigte ins Gebüsch. Eine Maus turnte durch die Zweige ins Meisenrestaurant, tat sich einen guten Batzen in die Backentasche und verschwand wieder. Für zwei Minuten, dann wiederholte sich das Schauspiel. Etwas Besseres als den Tod finde ich überall, murmelte sie, winkte uns zu und fiel gesättigt in ihr Loch, das sie direkt unter der Futterstelle angelegt hatte.

„Vielleicht hat sie eine große Familie?“ Ich versuchte, gut Wetter zu machen, weil ich zurzeit Schöffin am Landgericht bin und lerne, auch im Alltag Milde walten lassen. Aber der Liebste schloss hartherzig die Mäusetafel und servierte die Körner von nun an im transparenten Vogelhaus am Küchenfenster. Zeit für Knödelsupervision.

Doch es gab weiterhin massiven Schwund. Zu Gast waren: mehrere Spechte, Elstern und ein Eichhörnchen, das sich ungerührt die Taschen vollstopfte. Der Liebste legte sich eine Wildkamera zu. Immerhin keine Schrotflinte.

Seitdem wissen wir, dass ein Marder sich unsterblich in mein Auto verliebt hat und Waschbärhorden nachts am Gartenteich Poolpartys feiern. Aufnahmen, auf denen dort ein wildes Menschenweibchen beim Baden zu sehen ist, fielen allerdings umgehend der Zensur zum Opfer. Ich bin zur Zeit Schöffin und lerne, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss, wenn es keinen Nutzen für die Gesellschaft hat.

Natur ist nämlich nur schön, wenn keiner zuguckt. Ein Freund berichtete von einem traumhaften Camper-Stellplatz an einer Küste in Südeuropa. „Ach so, FKK, na, das stört uns ja nicht“, gab er sich bei der Platzerkundung tolerant, aber an allen schönen Ecken präsentierten bereits deutsche Urlauber allzu offensiv ihre Weichteile aus früher Nachkriegsproduktion.

Und als ob das nicht genügte, hatte sich ein Paar zusätzlich den Slogan „FKK: Erika und Heinrich unterwegs!“ aufs Wohnmobil pinseln lassen. Dazu ihre lebensechten Ganzkörperabbildungen, immerhin mit neckischer Boje und Surfbrett vor den Kronjuwelen.

Der Freund verließ das Inferno traumatisiert. Und ich wechsle demnächst ins Justizministerium und arbeite an der Entwicklung ganz neuer Straftatbestände.