Regierung in Bangladesch gestürzt: „Sie ist geflohen“
Nach Hunderten Toten infolge von Massenprotesten ist Regierungschefin Sheikh Hasina zurückgetreten. Eine Übergangsregierung soll übernehmen. Und dann?
Und die Großdemonstration zeigte Wirkung: Protestierende stürmten nicht nur die Residenz von Premierministerin Sheikh Hasina, die sich und ihre Schwester zuvor in Sicherheit gebracht hatte. Die 76-jährige Regierungschefin trat nach 15 Jahren an der Macht überraschend zurück, verkündete die Armee. Die Rufe danach waren zuletzt immer lauter geworden, doch das Tempo war rasant. Noch am Sonntag starben rund 100 Menschen bei Zusammenstößen, Hasina zeigte sich hartnäckig.
Im etwa 100 Kilometer von Dhaka entfernten Agartala, das sich in Indien befindet, traf sie am Montag ein. Der einflussreiche Armeechef Waker-Uz-Zaman kündigte unterdessen an, dass rasch eine Übergangsregierung unter Beteiligung aller Parteien gebildet werde. Er rief auf, jegliche Gewalt im Namen der Proteste einzustellen, und versprach Gerechtigkeit für die Todesopfer. Nach Medienberichten starben bei den jüngsten Protesten mindestens 300 Menschen.
Anzeichen für Hasinas Machtverlust gab es schon länger, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wuchs, Freiheitsrechte wurden zunehmend eingeschränkt. Protestierende widersetzten sich mehrfach. Dass sie auch von anderer Seite an Rückhalt verliert, zeigte sich erst kürzlich: „Das wurde bemerkbar durch widersprüchliche Aussagen innerhalb des Militärs“, sagt Bangladesch-Expertin Jasmin Lorch vom Bonner Thinktank German Institute of Development and Sustainability der taz.
Machtübernahme des Militärs das „schlechteste Szenario“
„Die Tatsache, dass in Bangladesch keine Partei ohne die Unterstützung des mächtigen Militärapparats an der Macht bleiben kann, deutet darauf hin, dass sie fallen gelassen wurde“, fügt sie an. Zwar seien Teile des Militärs an der Niederschlagung der Proteste in den vergangenen Wochen beteiligt gewesen, allerdings habe das Militär in der Vergangenheit keine Partei militärisch dauerhaft bei Massenprotesten unterstützt, so die Wissenschaftlerin weiter.
Tatsächlich zeichnete sich die Demokratie in Bangladesch lange Zeit dadurch aus, dass es stets politische Wechsel zwischen den Volksparteien Awami-Liga und der Bangladesh Nationalist Party (BNP) gab. Das änderte sich mit der Machtübernahme von Hasina 2009. Seitdem nahm die Regierung immer autokratischere Züge an. Die oppositionelle BNP begann, die Wahlen zu boykottieren. So kam es zu Beginn dieses Jahres zu einer einseitigen Wahl, die Hasina eigentlich eine weitere, die insgesamt fünfte Amtszeit sichern sollte.
Im In- und Ausland gilt die BNP aber dennoch nicht als Alternative zur Awami-Liga, da sie in der Vergangenheit ähnliche autokratische Züge gezeigt hatte, aber nie so lange im Amt blieb. Mögliche Zukunftsszenarien für Bangladesch seien rasche Neuwahlen, die etwas mehr Demokratie versprechen könnten. Aber auch eine Übergangsregierung, die länger im Amt bleibt, wie das in den Jahren 2007 bis 2008 der Fall war und so den Einfluss des Militärs weiter ausbaut, ist denkbar. „Das schlechteste Szenario wäre eine direkte Machtübernahme des Militärs“, sagt Lorch. Manche befürchten auch eine Zunahme des Einflusses von islamistischen Kräften.
Der Umsturz, den Bangladesch gerade erlebt, begann Mitte Juli mit landesweiten Massenprotesten. Studierende gingen gegen eine Wiedereinführung einer Quotenregelung bei der Vergabe von öffentlichen Stellen auf die Straße. Erst eine Eilentscheidung des Obersten Gerichts, die die umstrittene Reform stark einschränkte, führte zu einer Protestpause, die aber nicht lange hielt.
„Diese Unzufriedenheit musste früher oder später wie ein Vulkan ausbrechen. Die Jugendlichen, die heute protestieren, haben noch nie erfahren, wie es ist, zu wählen und dass ihre Stimme zählt“, sagt die im Exil lebende Sabria Chowdhury Balland gegenüber der taz. An diesem Montag könnten Menschen aus Bangladesch nicht glücklicher sein. Was danach kommt: ungewiss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen