20 Kuratoren und ein Leben

Wenn Ausstellungsmachen politisch wird: Das Stadtmuseum Brandenburg an der Havel zeigt den Avantgardekünstler Paul Goesch, der von den Nazis ermordet wurde

„Schmiert nur wertlose Sachen auf abgerissene Fetzen Papier“, heißt es in der Krankenakte des Avantgardekünstlers Paul Goesch. Hier ist er auf einem undatierten Selbstporträt zu sehen Foto: Berlinische Galerie

Von Klaus Hillenbrand

Man könnte es sich leicht machen. Dann nimmt man die expressionistischen Zeichnungen und Gemälde des Künstlers Paul Goesch, hängt sie an diverse Wände, schreibt die Titel der Werke darunter, stellt vielleicht noch seinen Lebenslauf daneben, und fertig ist die Kunstausstellung. Denn Goesch ist bekannt genug, um Publikum anzuziehen, auch in einem etwas abseits gelegenen Museum.

Das Stadtmuseum in Brandenburg an der Havel wollte es sich aber nicht einfach machen. Deshalb hängen zwischen den farbintensiven Bildern Goeschs viele kleine Texttafeln, die nicht zur Erklärung der Gemälde dienen. Deshalb gibt es nicht nur ein oder zwei Kuratoren, sondern deren 20, die um das Konzept der Schau rangen.

Diese Kunstausstellung ist nicht nur eine Kunstausstellung, und das liegt auch am Lebensweg des Künstlers. Paul Goesch, Maler und Architekt, der vor einhundert Jahren zu einem prägenden Gestalter der Avantgarde in Deutschland wurde, litt schon damals unter psychischen Erkrankungen wie schizophrenen Schüben, die zu unregelmäßigen Einweisungen in Kliniken führten. Die Krankheit berührte selbstverständlich auch sein Werk, und doch würde man diese wohl nicht zu sehr in den Mittelpunkt stellen, wäre er deshalb nicht von den Nationalsozialisten ermordet worden.

Die Nazis starteten bekanntlich auf Hitlers Befehl im Herbst 1939 ein Mordprogramm an Menschen, die nicht ihrer Norm vom „Volksgenossen“ entsprachen, und nannten es „Euthanasie“. Zehntausende Menschen mit Behinderung und Kranke wurden Opfer dieses Programms, auch im Städtchen Brandenburg an der Havel: Im alten Zuchthaus hat man Menschen in der „Tötungsanstalt“ in einer Gaskammer umgebracht. Dort starb auch Paul Goesch am 22. August 1940. Er war mit 22 weiteren Patienten aus einer Klinik in Teupitz nach Brandenburg gebracht worden. Sie alle wurden noch am gleichen Tag ermordet.

Deshalb hängt in der Ausstellung ein maschinenschriftliches Schreiben. Dort steht eine große Lüge: „Antwortlich Ihres Schreibens teilen wir Ihnen mit, dass der Regierungsbaumeister a. D. Paul Goesch, geb. 30.8.1885 in Schwerin, Mecklg. auf ministerielle Anordnung gemäss Weisung des Reichsverteidigungskommissars aus mit der Reichsverteidigung in Zusammenhang stehenden Gründen hierher verlegt wurde, jedoch am 5.9.1940 unerwartet infolge einer Lungenentzündung gestorben ist.“

In den Räumen des Stadtmuseums hängt eine Zeichnung Goeschs, die der Ausstellung ihren Namen gab. Darauf zu sehen ist im Mittelpunkt ein Mann mit Hut. Um ihn herum sind Dutzende Litfaßsäulen und Reklametafeln angedeutet. Auf allen steht „Goesch“. „Ich werde berühmt“ heißt die Zeichnung, und wir wissen nicht, ob dies ernst oder heiter gemeint sein sollte.

Verbunden ist Goeschs Zitat von der Berühmtheit mit einem Selbstporträt des Malers, wo er, ausgestattet mit rotem Haupthaar und Nickelbrille, den Besucher anschaut. Wie bei vielen der Gemälde Goeschs strahlen auf dem Bild die Farben. Da sind Häuser in bunter Vielfalt zu sehen, Menschen und immer wieder Marienbildnisse. Eine von 20 ehrenamtlichen Mit-Kuratoren der Ausstellung ist Jutta Melber. Die Rentnerin ist sich sicher: „Goesch wollte als Künstler berühmt werden. Nicht als Patient und nicht als Opfer.“

Paul Goesch litt unter schizophrenen Schüben

„Ausstellungsmacher:innen gesucht!“ hatte Melber im Internet gelesen und sich gemeldet. Die Initiatoren um den pädagogischen Mitarbeiter der Schau, Maximilian Vogel, wollten Menschen in die Vorbereitung miteinbeziehen, für die Museen nicht zum selbstverständlichen Alltag gehörten. Dazu zählten auch Menschen mit Behinderung, von denen einige als ­Guides in dem zur Gedenkstätte Opfer der Euthanasie-Morde umgewandelten ehemaligen Zuchthaus von Brandenburg arbeiten.

Die 20 Ehrenamtlichen fungieren in der Goesch-Ausstellung nicht nur als Staffage. „Dieser großartige Maler, der in der,Euthanasie'-Tötungsanstalt Brandenburg ermordet wurde, darf nicht vergessen werden“, schreibt etwa eine von ihnen auf einer Tafel. „Interessant und faszinierend“ findet ein anderer, dass Goesch auch in den Kliniken, in die er eingewiesen wurde, weitermalte: Karikaturen, abstrakte Ansichten von Gebäuden. „Schmiert nur wertlose Sachen auf abgerissene Fetzen Papier“, heißt es 1928 in Goeschs Krankenakte. Die Kommentare der Brandenburger Mitarbeiter ziehen sich durch die Schau, Paul Goeschs Kunst bleibt trotz all der Anmerkungen immer im Mittelpunkt.

Dass Kunst politisch ist, wusste man schon vorher. Wie man aber Kunstausstellungen einen politischen Rahmen gibt, das führen die Museumsmacher in Brandenburg vor. Es ist nicht nur die ungewöhnliche Zahl der ehrenamtlichen Mitarbeiter, die diese Schau anders als üblich macht, es sind auch die Träger der Ausstellung, darunter die Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde und die Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft. Dass die Schau überhaupt und ausgerechnet in Brandenburg an der Havel stattfindet, ist schon ein Statement. Paul Goeschs Leben ist mit der Stadt nicht verbunden. Einzig sein Tod.

„,Ich werde berühmt!' – Leben und Werk des Paul Goesch“: Stadt­museum Brandenburg an der Havel, bis 29. September 2024