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Werbekampagnen vor OlympiaKurdistan auf Mute

Kommentar von Jean Dumler

In einer Nike-Kampagne erwähnte ein Rapper Kurdistan. Jetzt ist der Song entfernt. Kein Wunder! Mit Rückgrat kennen sich Konzerne einfach nicht aus.

Robin Nazari (links) und Conducta (rechts) auf dem Cover von „Gold“ Foto: Kiwi

S ie wollen als Verfechter der Zukunft gesehen werden, als mutige Kämpfer für marginalisierte Gruppen: Unternehmen und ihre Werbeagenturen. Doch auch wenn dabei progressive Werbespots entstehen, steht vor allem der Profit im Vordergrund. Dafür kann man schon mal eine politische Meinung darstellen – oder sich bei Gegenwind wieder ­wegducken. So wie Nike.

Nike und Adidas prägen seit Jahrzehnten mit ihren Trainingsjacken, Schuhen und Trikots Schulhöfe und Sportplätze. Für viele Jugendliche sind sie eine einigende Eintrittskarte zu Pop- oder Subkulturen. Die Werbekampagnen zeigen völkerverständigend Sport­le­r*in­nen unterschiedlicher Kulturen, darunter läuft empowernde Musik.

Kurz vor den Sommerspielen in Paris wollten die Marken wieder so einen Moment der Freude schaffen. Und sie schafften es: Anfang Juli teilten Instagram-Accounts von kurdischen Aktivist:innen, Mu­si­ke­r:in­nen und sogar kurdischen Gemeinden einen dreißigsekündigen Werbespot des US-amerikanischen Sportherstellers Nike.

In schnellen Schnitten bewerben darin prominente Athlet:in­nen einen Sportschuh. Entscheidend ist jedoch die Musik: Zu einem Breakbeat des Bristoler UK-Garage-Produzenten mit nigerianischen Wurzeln Conducta rappt Robin Nazari, Teil des kurdischen Künstlerprojekts der Stunde Biji: „I like to wear my Gold like a kurdish mum. London to Kurdistan“ (Ich mag es, Gold zu tragen wie eine kurdische Mum. Von London nach Kurdistan).

Kurzer Moment der Freude

Die Erwähnung von „Kurden“ und „Kurdistan“ lässt vor allem die Herzen derer höher schlagen, die kurdische Wurzeln haben und jeden Funken von Anerkennung ihrer Identität suchen. Diese Freude über eine Werbung, so verzweifelt das auch klingen mag, ist nachvollziehbar.

Denn selten ist etwas über Kurdistan in den Medien zu hören, ohne dass es mit Trauer verbunden ist. Etwa mit einem weiteren Militärangriff der Türkei, unkontrollierten Waldbränden in der Region oder der willkürlichen Verhängung extremer Haftstrafen an prokurdische Politiker.

Doch der Moment der Freude währte nur kurz und schlug schnell wieder in Enttäuschung um, als Nike das Video zwei Tage später ohne Erklärung von seinen Social-Media-Plattformen entfernte und den Spot nun ohne Musik ausstrahlt. Warum Nike die Musik entfernt hat, ist bis Redaktionsschluss unklar.

Die nächstliegende Erklärung ist, dass Nike aufgrund der Reaktion – nämlich Hass –, die das Wort „Kurdistan“ bei manchen Menschen auslöst, eingeknickt ist. In der Tat wimmelte es nach der ersten Veröffentlichung in den sozialen Medien von Hass-Kommentaren, insbesondere von türkischen Nationalist:innen.

Mehrere türkische Medien kritisierten die Werbung als „Terrorpropaganda“. Wieder reproduzieren sie das Stereotyp, ein staatenloses Millionenvolk bestehe nur aus Terroristen. So bekommen Menschen, die ihre Kultur, Identität oder Sprache künstlerisch auszudrücken versuchen, dieses Label aufgedrückt.

Kurdische Stimmen, erneut an den Rand gedrängt

„Diese Maßnahme schafft einen gefährlichen Präzedenzfall, der suggeriert, dass bestimmte Kulturen keine internationale Plattform verdienen“, erklärten die Künstler Conducta und Biji diese Woche auf Instagram. „Es ist wichtig, dass multinationale Unternehmen wie Nike für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Sie haben damit absolut recht. Die ungerechtfertigte Stummschaltung des Liedes durch Nike hat kurdische Stimmen erneut an den Rand gedrängt und setzt das jahrzehntelange Ausblenden der vielfältigen kurdischen Kultur fort. Sollten kurdische Künst­le­r:in­nen in Zukunft nur große internationale Bühnen betreten können, wenn sie ihre Wurzeln verschweigen? Diese erzwungene Selbstzensur wäre ein besorgniserregendes Zeichen.

Zunächst hatte die Sportmarke das palästinensisch-niederländische Model Bella Hadid als Testimonial für eine Schuhkampagne in Anlehnung an die Olympischen Spiele 1972 in München gewonnen. Eben jene Spiele, bei denen palästinensische Terroristen 11 israelische Teammitglieder und Ath­le­t*innen ermordeten. Nach Kritik an der Zusammenarbeit mit Hadid löschte Adidas die Kampagne.

Ein kurzer Blick auf ihr Instagram-Profil mit 61,3 Millionen Followern und ihrer pro-palästinensischen Haltung zum Nahostkonflikt hätte für Adidas genügt, um sich vorher zu fragen, ob es ausgerechnet zu diesem Anlass passend ist, mit ihr zu werben. Ob sich Adidas über ihre politische Einstellung bewusst war, ist unklar. Die Kampagne wurde jedenfalls gelöscht und Adidas von Hadid verklagt.

Undurchdachte Inszenierung

Milliardenschwere Konzerne wie Nike und Adidas wollen und werden sich immer wieder mit verschiedenen Werten brüsten wollen und Sportereignisse wie die Sommerspiele in Paris dafür nutzen. Dabei inszenieren sie sich mit Hilfe von Musik über Kurdistan oder mit einer palästinensischen Sportlerin als divers, ohne die Sache jedoch zu durchdenken. Gerade im Fall von Conducta und Robin Nazari hätte Nike angesichts der Kritik aus nationalistischen Lagern Rückgrat beweisen können.

Letztendlich bleiben sie dabei aber weiterhin rein auf den Profit konzentriert und werden keine Moral behalten, die ihnen finanziell schaden könnte. Sonst müsste sich Nike fragen, ob das Unternehmen nach dem rechtsextremistischen Wolfsgruß des türkischen Nationalspielers Merih Demiral wirklich weiterhin die türkische Fußballnationalmannschaft ausstatten sollte.

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2 Kommentare

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  • "Wieder reproduzieren sie das Stereotyp, ein staatenloses Millionenvolk ..."



    Die Kurden sind nicht staatenlos. Sie sind türkische, irakische, syrische oder iranische Staatsangehörige. Staatenlos sind die Palästinenser im Westjordankand und im Gazastreifen und die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon und in Syrien.

  • Ich frage mich, ob die Werbeunternehmen nicht mittlerweile auch diesen Effekt vorausplanen und mit einbeziehen.

    Ein Shitstorm bringt ja schliesslich auch Klicks, und man kann danach sagen "sorrysorry, wir waren's nicht" -- und Hadid bzw. Conducta und Biji unter den Bus werfen.

    Kapitalismus ist widerlich und beutet alles aus, was sich nicht wehren kann.

    Was die Kurd*innen betrifft: unsere Regierung sollte mal aufhören, die Sache eines Autokraten zu machen.