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: Elegant und gerade richtig

Habeck und die Grünen können sich bei der Außenministerin bedanken: Ihnen bleibt jetzt genug Zeit, den Wahlkampf vorzubereiten. Es gibt genug zu tun

Bei den Grünen läuft bekanntlich nicht immer alles rund, aber das haben sie mal gut hinbekommen: Anna­lena Baer­bock ist am Mittwochabend auf die elegantest denkbare Art aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur ausgestiegen. Sollten sowohl sie als auch Robert Habeck den Job wollen, so hatte es der Parteivorstand schon vor zwei Jahren festgelegt, dann würden die Mitglieder per Urabstimmung entscheiden. Das aber hätte bedeutet, dass sich die zwei wichtigsten Kabinettsmitglieder im Herbst ­einen parteiinternen Wahlkampf lieferten, statt sich aufs Regieren zu konzentrieren.

Keiner der beiden hätte dabei geglänzt; Baer­bock vermutlich noch weniger als Habeck. Die besseren Argumente sprachen für den Vizekanzler, und das hat die Außenministerin zum richtigen Zeitpunkt eingesehen.

Indem sie das Kandidatenrennen verlässt, noch bevor es in der öffentlichen Wahrnehmung alles dominiert, wahrt sie ihr Gesicht. Und durch die Umstände ihrer Verzichtserklärung – während einer Auslandsreise, auf CNN und mit der gewohnt pathetischen Begründung, als Chefdiplomatin in Krisenzeiten keine Zeit für solche Kinkerlitzchen zu haben – steht sie erst recht nicht als Verliererin da. Einziger Schönheitsfehler: Mit ihrer Argumentation lässt sie Robert Habeck mal wieder ein bisschen blöd aussehen. Für den Wirtschaftsminister sind es schließlich auch Krisenzeiten, als Kandidat wird er sich im Wahlkampf trotzdem nicht „voll und ganz seinem Amt widmen“ können.

Aber er wird’s verkraften. Habeck darf jetzt machen, worauf er so lange gewartet hat. Vor der letzten Bundestagswahl hatte er Baer­bock zwar mehr oder weniger freiwillig den Vortritt gelassen, band danach aber dem ganzen Land auf die Nase, wie schwer ihm das gefallen war. Geschrumpft ist seine Sehnsucht nach der Kandidatur seitdem nicht.

Nicht nur er, auch die Grünen können sich aufrichtig bei Baer­bock bedanken, sie haben jetzt ausreichend Zeit, sich auf den Wahlkampf 2025 vorzubereiten. Doch genau wie Baerbock wird auch Habeck als Kandidat im Feuer stehen. Die Konkurrenzparteien, die Springer-Presse, die Fossil-Lobby und der Kreml haben ihre Schubladen sicher schon mit Dreck gefüllt. Sich darauf vorzubereiten ist für die Grünen trotzdem eine vergleichsweise leichte Aufgabe. Es geht um handwerkliche Fragen.

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Tobias Schulze geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlaments­korrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Zuvor leitete er das Inlandsressort.

Die schwierigeren Aufgaben sind politischer Art: Wie soll sich Habeck als Kandidat inhaltlich aufstellen? Nicht nur ihn betrifft diese Frage, sondern die ganze Partei. Diskutiert wird sie schon seit der Niederlage bei der Europawahl intensiv. Die weniger originellen Antworten lauten, dass die Partei wahlweise nach links (sagen Parteilinke) oder nach rechts (sagen Realos) rücken sollte. Ersteres in Reinform würde Habeck nicht mitmachen. Zuletzt machte er in der taz deutlich: Vom Ziel ablassen, neue Milieus in der Mitte zu erschließen – das kann er gar nicht. Ohnehin funktionieren erfahrungsgemäß Wahlkämpfe nicht, in denen Programm und Kandidat auseinanderklaffen.

Ebenso realitätsfern ist allerdings die Forderung, die manche Hardcore-Realos seit Wochen erheben: Lasst Habeck jetzt führen und folgt ganz seinem Kurs. Und überhaupt: Daten zur Europawahl legen nahe, dass die Grünen verloren haben, weil sie den einen als zu ideologisch und den anderen als zu kompromissbereit erschienen. Deswegen noch ideologischer beziehungsweise noch kompromissbereiter aufzutreten, mag am einen Ende helfen, könnte am anderen Ende aber ebenso sehr schaden. Aus dem Umfragetief hilft das nicht. Überzeugender klingt da schon ein Ansatz, der ebenfalls in der Partei kursiert: Die Grünen müssten priorisieren und könnten dann wieder als pragmatisch und durchsetzungsfähig angesehen werden.

Das hieße: Sich nicht an jeder Front verkämpfen und Verliererthemen auch mal liegen lassen. An manchen Stellen würde das zwar weitere Bauchschmerzen produzieren; manche Stamm­wäh­le­r*in­nen würden erneut enttäuscht. Über die Enttäuschung könnten sie aber hinwegkommen, wenn sie hören: Hier, hier und hier haben die Grünen im Gegenzug wirklich etwas Grünes erkämpft. Da Habeck die Partei in den Wahlkampf führen wird, sollten diese Erfolge im besten Fall in Verbindung zu ihm stehen. Den Ausbau der Erneuerbaren Energien kann er schon mal für sich verbuchen, er ist in seinem Ressort angesiedelt und geht gut voran. Die Suche nach zusätzlichen Gewinnerthemen ist etwas kniffliger. Unter anderem, weil vieles von dem, was der Koalitionsvertrag für Habecks Ministerium vorgesehen hatte, schon abgearbeitet ist.

Die schwierigeren Aufgaben jetzt sind politischer Art: Wie soll sich Habeck als Kandidat inhaltlich aufstellen?

Der größte Makel, für die Grünen und spe­ziell für Habeck, ist aber das Debakel um das Gebäudeenergiegesetz. Der Ärger vieler Deutschen über das grüne Projekt will einfach nicht verfliegen. Was kann man da noch machen? Abwarten und Hoffen ist eine Option. Was schneller helfen könnte: Den Eindruck nicht weiter zu befeuern, den die Debatte über das Heizungsgesetz bei vielen hinterlassen hat – dass es den Grünen nämlich egal sei, wie es den Leuten finanziell geht und welche Lasten sie tragen können. Leider gehört es aber nicht zu Habecks großen Talenten, diesem Eindruck entgegenzuwirken. Viele nehmen es ihm übel, wenn er fordert, dass die Deutschen weniger streiken und mehr arbeiten sollten – oder wenn er behauptet, das Heizungsgesetz sei ein Test dafür gewesen, wie viel die Gesellschaft mitmache.

Als nach der verlorenen Europawahl die Kandidatenfrage ein letztes Mal hochkochte und Anna­lena Baer­bock noch einmal ein wenig aufzuholen schien, war ein Argument ihrer Be­für­wor­te­r*in­nen in der Partei: Solche Aussagen würden ihr nicht passieren. Falls sie demnächst mal Zeit hat, weil sie für paar Minuten nicht die Welt retten muss: Vielleicht kann Robert Habeck sie dann ja fragen, wie sie das eigentlich schafft.