Queer Public Viewing: Peace, Love, Erdnussflips & Schland

Im Poststadion lädt das „Pride House“ während der EM zum queeren Public Viewing ein. Das läuft weitaus harmonischer ab als auf der Fanmeile.

Robert Andrich mit pinken Haaren

Robert Andrich überrascht im Viertelfinale mit pinken Haaren Foto: dpa/ Tom Weller

BERLIN taz | Der Weg aus Neukölln an der Fanmeile vorbei zum Moabiter Poststadion am Freitagabend ist Sinnbild für die Vielfalt der Stadt: Auf der Sonnenallee wird Kufija getragen, in Mitte sind es Deutschlandtrikot, Blumenkette und Vuvuzela, und in Moabit weht die Regenbogenflagge. Jedenfalls beim „Pride House“, dem queeren Public Viewing im Poststadion zwischen Justizvollzugsanstalt und Europacity.

Auch hier sparen die Zu­schaue­r*in­nen nicht an Schland-Fanartikeln, mit den obligatorischen Bratwurst- und Bierständen wirkt es zunächst auch nur wie alle anderen Public Viewings. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass Alkohol nur außerhalb des Veranstaltungsgeländes verkauft wird, striktes Rauchverbot herrscht und ein Awarenessteam für das Wohlbefinden aller sorgt.

„Alles Teil des maßgeschneiderten Konzepts, das Risiken minimieren soll“, sagt Alice Drouin vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Berlin-Brandenburg zur taz. Drouin ist Leiterin des Projekts „Pride House Berlin“, das in Zusammenarbeit des LSVD mit der von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport initiierten „AG LSBTIQ+ im Berliner Sport“ entstanden ist. Während der EM gibt es hier bei allen Spielen ein kostenloses Viewing.

„Es soll ein Safer Space sein, in dem sich queere Menschen wohlfühlen“, sagt Drouin. Die Veranstaltung richtet sich nicht nur an queere Menschen, sondern an alle, die sich für ein respektvolles Miteinander einsetzen. Das internationale Konzept wird seit über 10 Jahren während Sportgroßveranstaltungen durchgeführt. Initiiert wurde es unter anderem, so Drouin, „weil es immer noch zu wenig Sichtbarkeit für queere Menschen im Sport gibt“.

Pinke Haare und pinke Trikots bei homophoben Fans unerwünscht

Denn entgegen der Behauptung des Moderators beim Spiel am Freitag ist Fußball noch lange nicht „mitten in der Gesellschaft angekommen“. Im Profifußball haben sich weltweit nur 7 Männer öffentlich als schwul geoutet. Das pinke Nationaltrikot war für viele Fans kaum zu verkraften, dass Mittelfeldspieler Robert Andrich am Freitag mit pinken Haaren zum Spiel erschien, ein Affront. Beispielhaft die Reaktion des Ex-Torwarts Jens Lehmann, der im Fernsehen als „Experte“ fungiert: „Vielleicht fühlt er sich heute ja auch als Frau oder so.“ Für eine deutsche Nationalmannschaft, die ja die „Elite“ repräsentiere, sei das für seinen Geschmack „ein bisschen zu viel“.

Von solchen Aussagen lassen sich die Zu­schaue­r*in­nen im Poststadion nicht irritieren. Es ist kurz vor Anpfiff, während auf der Fanmeile Schweiß, Bier (und rechtsextreme Grüße) den Ton angeben, herrscht hier Kaffeeklatsch-Stimmung: Es wird freudig geschnattert, Chips und selbst gebackene Pizzarollen ausgetauscht, von Anspannung keine Spur. Der Müll wird fein säuberlich getrennt, das Awareness-Team sorgt dafür, dass sogar vereinzelte provozierende „Vamos España!“-Rufe lächelnd hingenommen werden. „Ist wie Picknick, und nebenbei läuft ein Spiel“, sagt ein Besucher.

Dabei geht es um viel: Deutschland ist schon seit acht Jahren nicht mehr ins Viertelfinale einer EM gerückt, ein Pflichtspiel gegen Spanien gewann „die Mannschaft“ zuletzt vor 36 Jahren. Um mitzufiebern, haben sich auf der Fanmeile 70.000 Menschen versammelt, beim drittgrößten Public Viewing im Poststadion 1.500 – Maximalkapazität und bislang Rekord, so Drouin. Rasch ist Einlassstopp, Drouin wertet es als „vollen Erfolg“.

Gegen Ende kommt noch mal richtig Stimmung auf. Sprechchöre, Trommeln und Gesänge erfüllen die Tribüne. Just als die Sonne sich durch die Wolkendecke über dem Stadion kämpft, die Erlösung: das Ausgleichstor von Florian Wirtz. Nur um kurze Zeit später das vernichtende 2:1 der Spanier mit ansehen zu müssen. Manche Dinge sind bei allen Public Viewings gleich: Die Enttäuschung ist bitter.

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