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Gerechter essen

Die Reihe „Municipal Kitchens“ in der nGbK lädt zum kostenlosen Essen und zum Nachdenken über bessere Ressourenverteilung ein

Von Tom Mustroph

Mit dem Ausstellungs-, Koch-, Ess- und Gesprächsprogramm „Municipal Kitchens“ beweist die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) gutes Gespür für die Geschichte des neuen Standorts. Dieser war einmal Teil einer großen Berliner Markthalle. Als Tempel der „Priesterinnen der käuflichen Ceres, Marktweiber aller Feld- und Baumfrüchte, aller essbaren Vögel, Fische und Säuger“ beschrieb einst der durch Berlin flanierende Philosoph Walter Benjamin das Gebäude. Die Schriftstellerin Annett Gröschner, im besten Sinne Benjamins Nachfahrin, grub die Textzeile für einen Essay zur Ausstellung aus.

In der ehemaligen Markthalle geht es der Arbeitsgruppe der nGbK vor allem darum, Künstler*innen, Ak­ti­vis­t*in­nen und Menschen, die unter Essensarmut leiden, zusammenzubringen. So formuliert es Hanna Baumann, Mitglied der Arbeitsgruppe, gegenüber der taz. Einerseits handelt es sich um Kritik am herrschenden Verteilungsmodus von Nahrungsmitteln. Der lässt die einen an Tafeln und Suppenküchen anstehen – so auch gleich gegenüber an der Marienkirche –, während andere den ganzen Ehrgeiz darein setzen, den letzten ausgefallenen Gaumenkitzel zu finden.

Auch kolonialismuskritische Perspektiven finden Raum. So erzählt die vierteilige Textilarbeit der indonesischen Künstlerin Ella Nurvista die globale Palmölgeschichte. Palmöl stammt aus Afrika. Versklavte Afri­ka­ne­r*in­nen wurden oft damit eingerieben, damit ihre Haut stärker glänzte und sie sich auf den Sklavenmärkten besser verkaufen ließen. Holländische Kolonisatoren brachten die Ölpalme zunächst als Zierpflanze nach Sumatra und Indonesien. Sie stellten bald fest, dass die dortigen Anbaubedingungen besser waren als im ursprünglichen Verbreitungsgebiet. Die ganze Malaise aus Monokultur und Ausbeutung auf den Plantagen hatte seinen Anfang in vier Setzlingen aus einem Botanischen Garten auf der Insel Java.

Als Hinweis auf komplexere Austauschprozesse zwischen den Kontinenten nutzt Nurvista Batiktechniken. Diese wiederum hatten ihren Ursprung in Asien, sind aber jetzt ein Renner auch in afrikanischer Mode. Nurvista bietet am 20. Juli einen Kochworkshop auf der Basis von Palmöl an.

Weitere künstlerische Interventionen setzen sich mit der Kolonialgeschichte der Kartoffel (das Videoprojekt „Papitas Tarpuycha – Earthing Potatoes“ von Gatari Surya Kusuma, Asa Sonjasdottir und Daniela Zambrano, gemeinsames Essen am 10. August) sowie den Folgen der Inflation im Libanon vor einigen Jahren auseinander (Franziska Pierwoss’ Film „Mad3oum – value in a state of economic crisis“ war am 5. Juli zu sehen).

Neben der Kritik an den Zuständen geht es der nGbK aber auch um Visionen für gerechteres Essen. Die Initiative Myvillages etwa stellt nach dem Beispiel der Londoner Gruppe Company Drinks Limonaden aus heimischen Kräutern her und organisiert einen Ernteausflug zum Gutsgarten Hellersdorf (27. Juli).

Gekocht und gegessen wird in der ehemaligen Markthalle auf Mobiliar, das von der Londoner Initiative Another Provision gemeinsam mit Menschen entwickelt wurde, die sich mit der funktionellen Kargheit vieler Suppenküchen und sozialen Zentren nicht mehr abfinden wollten. Und als gesellschaftliche Vision möchte nGbK-Co-Kuratorin Baumann das Konzept der Universal Basic Services auch in Berlin in Umlauf bringen. Grundidee ist, dass jeder Mensch das Recht auf Essen, Wohnen, Bildung, öffentlichen Transport und digitale Infrastruktur hat und dass lokale Zentren das auch leisten sollten. Viel Stoff zum Nachdenken also, wenn man gemeinsam schnippelt, isst, trinkt und assoziiert.

„Municipal Kitchens“: nGbK, bis 18. August

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