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Arbeit für Menschen und nicht für Profite

In einer Genossenschaft führen behinderte Menschen ein selbstbestimmtes Leben

Vor 30 Jahren hat Manon ­Wetzel zusammen mit einigen Mitstreitern die Hamburger Assistenz-Genossenschaft (HAG) gegründet. „Wir wollten selbstbestimmt leben. Als Mitglieder der Genossenschaft haben wir Einfluss darauf, wer bei der HAG arbeitet und wie sie geleitet wird“, sagt die Frau, die wegen ihrer Körperbehinderung im Rollstuhl sitzt, in ihrer eigenen Wohnung lebt und im Alltag auf die Hilfe von Assistenten angewiesen ist.

Konkret bestimmen die Ge­nos­s:in­nen auf der jährlichen Generalversammlung die Leitlinien der Arbeit. Sie wählen einen Aufsichtsrat, der mehrheitlich aus Menschen mit Schwerbehinderung besteht, und einen Vorstand, der das Unternehmen leitet. Mitglieder müssen einen Genossenschaftsanteil in Höhe von 127,82 Euro erwerben. Auch Nicht-Mitglieder können die Dienste der HAG in Anspruch nehmen oder dort arbeiten. Rund 250 Menschen sind bei der Hamburger Assistenzgenossenschaft angestellt. Die meisten sind für die Betreuung nur einer der insgesamt 24 assistenznehmenden Personen zuständig, daneben gibt es sogenannte Springer als Notfallvertretungen. Es geht um die Unterstützung bei der Körperpflege, um Hilfe im Haushalt, bei Freizeitaktivitäten sowie im Beruf, im Studium oder in der Schule. Beantragt werden kann die persönliche Assistenz von Menschen, die mindestens den Pflegegrad 4 haben (in Ausnahmefällen reicht der Pflegegrad 3), ein Anrecht auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben sowie täglich mindestens acht Stunden Hilfe benötigen. „Es hängt vom Pflegegrad ab, wie viele Stunden täglich die Assistenz dauert“, sagt Einsatzleiterin Kate Deptolla. Im HAG-Leitbild sind die wichtigsten Grundsätze der Arbeit zusammengefasst. So wird betont, dass jeder Mensch nach seinen Vorstellungen leben darf und die Selbstbestimmung der Assistenznehmenden an erster Stelle steht.

„Für viele Beschäftigten ist zudem wichtig, dass sie für eine gemeinwohlorientierte Genossenschaft arbeiten und nicht für eine an Rendite interessierte Aktiengesellschaft“, betont Deptolla. Die HAG wirbt um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Worten: „Arbeite für Menschen und nicht für Profite. Egal, was du bisher gemacht hast.“ Trotz der formal niedrigen beruflichen Voraussetzungen muss Deptolla einräumen: „Bei uns fehlen Arbeitskräfte, wie in der ganzen Branche.“

Joachim Göres

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