: „Das Reiseziel wird zum Themenpark“
Lange war der Tourismus auf den Balearen ein Saisongeschäft, sagt Urbanistikprofessor González. Inzwischen sei die Überfüllung ein Dauerzustand
Interview Reiner Wandler
taz: Herr González, verschlingt der Tourismus das, was ihn eigentlich ausmacht, also: Verlieren die Reiseziele das, was wir dort suchen – was einen Urlaubsort überhaupt erst interessant macht?
Jesús M. González: Im Tourismus gibt es zwei Größen, die Standardisierung und die Singularität. In den 1960er und 1970er Jahren, als der Massentourismus aufkam, suchten die Urlauber Standards. Sie fuhren dorthin, wo sie fanden, was für Freizeit und Erholung stand: Strand und Palmen. Deshalb ist auf den Postkarten aus jener Zeit überall das Gleiche zu sehen, egal ob Miami, die Malediven oder Mallorca.
Und heute ist es anders?
Heute steht die Singularität, das Besondere im Vordergrund, um aus der Masse gleicher Ziele herauszustechen. Die besondere Landschaft, die besonderen Gebräuche, das besondere Essen. Doch wenn der Druck seitens des Massentourismus ein Niveau erreicht, wie wir das zum Beispiel hier in Mallorca erleben, wird alles zu einem Produkt des Massenkonsums. In dem, was wir reife Reiseziele nennen, ist letztendlich alles gleich, überall gibt es das gleiche Essen, das gleiche Freizeitangebot. Das Reiseziel wird zum Themenpark.
Diese Themenparks sind erfolgreich, wirtschaftlich gesehen. Doch sie lassen denjenigen, die dort arbeiten, keinen Lebensraum mehr.
Der Tourismus führt zu zwei unterschiedlichen Einwanderertypen. Einerseits die aus dem Globalen Norden und andererseits die Arbeitskräfte aus dem Globalen Süden. Sie stoßen hier aufeinander und treten zueinander in Beziehung. Damit beginnen die Probleme, zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt.
Das war doch nicht immer so, oder? Solange die Touristen in ihren Bettenburgen blieben, es keine Ferienvermietungen und kaum einen Markt für Zweitwohnungen gab, war der Wohnungsmarkt entspannter.
Wir müssen die Faktoren Zeit und Raum untersuchen. Zuerst einmal der Faktor Raum: Auf den Balearen haben wir mehrere Tourismusbooms erlebt, die Gesellschaft und Gebiet, auf dem sie stattfanden, veränderten. Ende der 1950er Jahre öffnet sich das franquistische Spanien auf der Suche nach Deviseneinnahmen. Es kommen die ersten Urlauber. Das geschieht in örtlich klar definierten Gebieten, wie am Strand von Palma, und in einigen größeren Buchten. Das Element für diesen Tourismus ist das Hotel.
In den 1970er Jahren, mit der Ölkrise, kommt es auch zu einer Krise im Tourismus. Das führt zu einem zweiten Boom. Viele Hotels schließen. Es entstehen Zweitwohnungen, vor allem für die Inselbevölkerung, die etwas am Strand haben will. Dieses Phänomen betrifft wesentlich größere Teile der Küste. In den 1990er kommt es dann zur großen Explosion des Tourismus. Die gesamten Inseln, egal ob Stadt, Küste, Inland oder Berge, alles wird davon erfasst. Alles wird zu einem großen Immobilienmarkt für internationale Käufer.
Das lässt die Preise steigen?
Und zwar überall fast gleich. In jeder Stadt wird der Wohnraum billiger, wenn du in die Außenbezirke oder ins Umland gehst. Auf den Balearen nicht.
Und der Faktor Zeit?
Jesús M. González, 54, ist Professor für urbane Studien an der Universität der Balearen und Vorsitzendes des spanischen Geografenverbands.
Lange war der Tourismus auf den Balearen ein Saisongeschäft. Das schützte die Insel und das Leben der Einheimischen einen Großteil des Jahres. Mittlerweile haben wir fast das gesamte Jahr über starke Besucherströme. Das führt zu einer ständigen Überfüllung der Inseln und zu zusätzlichem Druck auf den Immobilienmarkt. Die Einwanderer aus dem Globalen Norden vertreiben die einheimische Bevölkerung und die Arbeitsimmigranten aus immer mehr Stadtteilen und Dörfern.
Welche Rolle spielen die Billigflüge?
Die sind das Haupttransportmittel dieser globalen Entwicklung. Wir haben drei große touristische Peripherien: das Mittelmeer und Mittel- und Nordeuropa, ein Teil Mexikos und die Karibik und Nordamerika, und Südostasien und Australien, Japan, und immer mehr auch China. Das ist eine ganz klare Beziehung zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden, die immer gleich funktioniert – wie das, was wir hier auf den Balearen erleben. Ein Hauptelement ist immer der Zweitwohnungsmarkt.
Und warum das alles?
Der Globale Norden sucht besseres Wetter, einzigartige Landschaften und andere Gebräuche und – zumindest am Anfang – billigere Zweitwohnungen. Dieser Markt betrifft alles, was mehr oder weniger bis zu zwei Flugstunden entfernt liegt. Für die Besitzer dieser Zweitwohnungen ist der Flug nach Mallorca oder nach Baja California so etwas wie für viele Madrilenen die Fahrt in die Bergdörfer eine Autostunde nördlich der Stadt.
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