Kritik an Influencern in EM-Stadien: An die Werbebande!
Der Fanverband „Unsere Kurve“ kritisiert Influencer:innen. Sie geben sich als Fans aus und machen Geschäfte. Aber sind sie die Hauptgegner?
W ährend Fußballgroßereignissen werden in Deutschland bekanntlich über 80 Millionen Menschen zu Bundestrainer:innen. Den Hype um die laufende Fußball-EM wissen Unternehmen aller Art für sich zu nutzen. Zu den diesjährigen Sponsoren gehören Visit Qatar, das chinesische Unternehmen AliExpress oder auch die Deutsche Bahn. Doch nicht nur LED-Tafeln, Trikots und Getränkeflaschen dienen als Werbefläche: Regelmäßig bekommen Influencer:innen Tickets für Spiele gesponsert. Sie posten im Gegenzug Videoblogs, Vlogs genannt, und Tiktoks aus dem Stadion, mischen sich unter die Fans und bewerben, oft nebenbei, Produkte ihrer Sponsoren.
Daran übt der Fanverband „Unsere Kurve“ gegenüber der Deutschen Presse Agentur nun Kritik. Das Argument: Die Influencer:innen würden den „echten Fans“ die Plätze wegnehmen, die nur schwer an Tickets kämen. Thomas Kessen, Sprecher des Fanverbandes, fordert eine klare Trennung zwischen Menschen, die das Stadion aus geschäftlichem Interesse besuchen, und tatsächlichen Fans. Er schlägt vor, dass Influencer:innen künftig auf der Pressetribüne Platz nehmen sollten.
Für Instagram-Nutzer:innen und Fußball-Fans ist die Arbeit von Influencer:innen häufig nicht transparent. „ViscaBarca“ hat fast 1,9 Millionen Follower:innen auf Youtube. Er hat bisher neun Spiele der EM besucht, sich dabei gefilmt, Fans interviewt und unterhaltsame Vlogs produziert, die ein wenig Stadiongefühl übertragen. Der junge Mann mischt sich dabei unter die Fans, trägt Deutschland-Hut und -Trikot. Um ihn herum stehen Fans im gleichen Outfit – wer privat hier ist und wer die Reichweite seiner Werbepartner erhöhen soll, ist nicht zu erkennen.
Schließlich muss Werbung in Form von Influencer:innen im Stadion anders als auf Instagram oder Youtube bisher nicht gekennzeichnet werden. Problematisch ist auch, dass der Influencer nicht transparent macht, wie er an die Tickets gekommen ist. Unter seinen Videos verlinkt er den Technikverleih „Grover“, auf Instagram wirbt er für den Wohnmobilhersteller „Carado“. Welcher Hersteller was bezahlt und welche Gegenleistung „ViscaBarca“ dafür erbringt, bleibt völlig unklar.
Profiteure im Hintergrund
Andere Influencer:innen gehen zumindest offener mit ihren Sponsoren um: „EliasN97“, der auf Twitch eine große Reichweite hat, dankt seinen Ticketsponsoren Adidas und Prime Video Sports per Instagram-Post für die Tickets. Ob Fans im Stadion erkennen können, dass der junge Mann Geld dafür bekommt, im Adidas-Trikot grinsend auf der Tribüne zu sitzen, ist trotzdem fraglich.
Trotzdem wäre ein Platz für Influencer:innen auf der Pressetribüne nicht das Richtige – denn neutral berichtend sind sie beim besten Willen nicht. Wie wäre es mit einer Platzierung neben oder hinter den Werbetafeln, denn sind Influencer:innen nicht genau das: lebendige Werbetafeln? Auch eine Kennzeichnung, ähnlich wie auf Instagram, käme in Frage: ein T-Shirt, das den Aufdruck „bezahlte Werbung“ schmückt, zum Beispiel.
Gleichzeitig stellt sich die Frage: Sind die Influencer:innen wirklich die Hauptgegner von Fußballfans? Denn von der EM profitiert vor allem die Uefa. So rechnet der Europäische Fußballverband mit Gewinnen von mehr als einer Milliarde Euro. Fans müssen dagegen hohe Summen aufbringen, um die Spiele im Stadion zu sehen: Um dem Finale in Berlin beizuwohnen, müssen sie zwischen 95 und 1.000 Euro zahlen.
Dass ihr Unmut sich auf Influencer:innen konzentriert, ist trotzdem verständlich, schließlich gehört Sichtbarkeit zu deren Berufsbeschreibung. Dass Fußballfunktionäre wie Aleksander Čeferin galaktische Summen einstreichen, sorgt zwar auch immer wieder für Aufsehen. Der Uefa-Präsident postet aber keine Vlogs oder freizügige Bilder aus dem Stadion, sondern bleibt im Hintergrund.
Apropos freizügige Bilder: Eine der bekanntesten EM-Influencer:innen heißt Ivana Knöll, auf Instagram als „knolldoll“ unterwegs. Die ehemalige „Miss Croatia“ besuchte als Fan der kroatischen Nationalmannschaft alle EM-Spiele des Teams. Aufmerksamkeit bekommt sie für ihre knappen Kleider und Röcke im rot-weißen Karomuster. Auch sie macht nicht öffentlich, ob sie ihre Tickets gesponsert bekommt und wenn ja, von wem. Auf Instagram kritisieren viele die Influencerin, ein Nutzer bezeichnet sie als „More fake than Santa Clause“, andere nennen sie „abstoßend und fragwürdig“. Kritik am Handeln von Influencer:innen ist nachvollziehbar – misogyne Kommentare über ihr Aussehen dagegen nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin