Rudolf Balmer über Macrons Vorstoß für Neuwahlen
: Leichtsinnig und fahrlässig

Warum bloß macht der das?“ Das war am Sonntagabend der am meisten gehörte Kommentar zur Ankündigung des französischen Präsidenten, er wolle mit Neuwahlen die Lehren aus dem für ihn vernichtenden Ergebnis der EU-Wahl ziehen. Die Auflösung der Nationalversammlung nach einer Wahlniederlage ist eine Option, die von der französischen Verfassung vorgesehen ist.

Zu diesem extremen und politisch riskanten Mittel zu greifen, um, wie Emmanuel Macron sagt, „Klarheit zu schaffen“ und den Bür­ge­r*in­nen „das Wort zu geben“, steht dem Staatspräsidenten frei. Er hat damit außer der extremen Rechten, die genau diese überstürzten Neuwahlen ständig verlangt hat, alle Parteien überrumpelt.

Natürlich ehrt es den Präsidenten, dass er zunächst aus demokratischem Respekt für das Wäh­le­r*in­nen­ver­dikt vom 9. Juni selbst für ihn nachteilige Konsequenzen in Kauf nehmen will. Aber: Angesichts der neuen Kräfteverhältnisse bei der Wahl der EU-Abgeordneten und in Anbetracht der kurzen Frist für die Kampagne bis zum ersten Wahlgang am 30. Juni pokert Macron mit schlechten Karten in der Hand.

Seinem Image als fairer und vermeintlich über den Parteien stehender Staatschef zuliebe setzt er die Zukunft der Republik aufs Spiel. Vielleicht hatte Macron seine Entscheidung wegen der Umfragen, die seit Langem einen Sieg der extremen Rechten und eine Niederlage seines eigenen Regierungslager voraussagten, geplant und beschlossen. Vielleicht meint er auch, dass seine Kühnheit ihm zu einer Mehrheit in der Nationalversammlung verhelfen könne. Ähnliches dachte auch Präsident Jacques Chirac, als er 1995 ohne Not Neuwahlen ausschrieb, die dann aber die linke Opposition an die Regierungsmacht brachten.

Diesmal stehen demokratische Freiheiten, Menschenrechte und Grundwerte, auf die Frankreich seit der Aufklärung so stolz war, auf der Kippe. Zudem könnte Macrons Leichtsinn, mit der er in diesem gewagten politischen Spiel mit vollem Einsatz „Banco“ sagt, im Fall eines Scheiterns enorme Folgen für ganz Europa haben.

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