Auch nicht viel mehr als ein bisschen Frieden

Das Thema Frieden bewegt die Deutschen vor der Wahl zum EU-Parlament. Kaum eine Partei kommt in ihrer Wahlwerbung ohne den Begriff aus. Eine Stilkritik

Von Pascal Beucker
und Stefan Reinecke

„Frieden schützen!“ – Vor wem? Vor welchem Feind? Putin? Sicher nicht. Vielleicht Toni Hofreiter? Oder Taubenjäger? Das Ausrufezeichen wirkt wie: Wir wissen nicht, was wir sagen wollen, das aber sehr.

B-Note: Eine Friedenstaube, originell. Könnte ein Grünen-Plakat aus den 80ern sein. Der Slogan ist ja auch halbgrün.

Laut ARD-DeutschlandTrend steht der Frieden ganz oben auf der Prioritätenliste der Wäh­ler:in­nen. Bei den An­hän­ge­r:in­nen der Union wie auch bei den Fans des Bündnisses Sahra Wagenknecht. Für den Frieden sind sie irgendwie alle.

Die FDP schießt in diesem Wahlkampf gleich eine ganze Raketenbatterie an Mobilmachungs­plakaten ab

„KRIEG oder FRIEDEN? Sie haben JETZT die Wahl!“, plakatiert Wagenknechts BSW. Wenn es doch nur so einfach wäre! Bis auf die CDU sind alle relevanten Parteien auf ihren Wahlplakaten für den Frieden. Da fällt die Wahl schwer. Zumal sie auf Hinweise verzichten, was sie damit genau meinen. Es geht mehr ums Gefühl. So wie einst Nicole mit ihrem Grand-Prix-Hit „Ein bisschen Frieden“.

Der Slogan „Frieden braucht Verteidigung“ folgt einem klassischen Vorbild: Si vis pacem para bellum. Der markige Punkt will sagen: Wir meinen es ernst.

B-Note: Schwarz-Weiß, dezent ergänzt um etwas Magenta. Wirkt hart, entschlossen. Strack-Zimmermann lässt den Blick in die Ferne schweifen. Rollen schon russische Panzer heran?

Die SPD will „FRIEDEN SICHERN“, die CSU verkündet: „FÜR EIN EUROPA, DAS FRIEDEN SICHERT“. Da kann man schon durcheinander kommen. Bei der AfD steht „FRIEDEN SCHÜTZEN!“, bei den Grünen heißt es: „WERTE VERTEIDIGEN. FRIEDEN SCHÜTZEN“. Der Unterschied besteht also aus zwei vorweg gestellten Wörtern – die ebenfalls nur Allgemeinplätze sind, solange nicht erklärt wird, welche Werte denn verteidigt werden sollen. Da soll es ja unterschiedliche Vorstellungen geben.

Soll der Slogan „Werte verteidigen. Frieden schützen“ heißen: „Unsere westlichen Werte werden in der Ukraine verteidigt“? Ist da nicht gerade Krieg? Alles etwas rätselhaft.

B-Note:Zwei Frauen. Jung, eventuell queer. Eine PoC. Da fehlt nur noch das Lastenfahrrad. Könnte ohne EU-Fahne auch Werbung für Urlaub im Taunus sein.

Vor der „Zeitenwende“ war die Welt übersichtlicher. Früher plakatierten die Grünen noch: „FRIEDEN ERNSTNEHMEN – JETZT ABRÜSTEN“. Heute sind sie in einer ganz großen Koalition von der SPD über die Union bis hin zur AfD vereint in der Überzeugung, dass Deutschland massiv aufrüsten müsse. „JETZT AUFRÜSTEN“ wäre eine klare Ansage. Ob die Werbeagentur abgeraten hat?

Der Slogan ist der längste, sechs Worte. Adressiert eher Akademiker:innen. Wobei die Parole in ihrer zeitlosen Schönheit schon einen gewissen Linkspopulismusappeal hat.

B-Note: Statt Friedenstaube oder Peace-Zeichen eine am Lauf verknotete Pistole vor rot-lila Hintergrund zu präsentieren, ist mal was Neues. Das Zitat der Bronzeskulptur Carl Fredrik Reuterswärds vor dem UN-Hauptsitz in New York wirkt emblematisch klar, wenn auch etwas kühl.

Der Slogan „Frieden sichern“ ist ziemlich catchy. Er a­dres­­siert Willy-Brandt-Fans (Frieden) und Helmut-Schmidt-Fans (Sicherheit), oder Mützenich und ­Pisto­rius.

B-Note: Ästhetik weniger catchy. Vor dem roten Hintergrund strahlen Olaf Scholz und Katarina Barley auf den Großplakaten die gezwungene Heiterkeit eines Paares aus, das vom Scheidungs­anwalt kommt.

Die FDP hebt sich davon ab. Was immer man ihr vorwerfen kann: fehlende Ehrlichkeit ist es nicht. Gleich eine ganze Raketenbatterie an Mobilmachungsplakaten schießt sie in diesem Wahlkampf ab. Die FDP präsentiert ihre Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus der Rheinmetall-Stadt Düsseldorf als „Eurofighterin“ – und als „Oma Courage“. Letzteres hätte Bertolt Brecht mit Blick auf seine „Mutter Courage“ sicherlich ganz passend gefunden. Der zentrale freidemokratische Slogan: „Frieden braucht Verteidigung“.

Der Slogan „Krieg oder Frieden?“ ist Komplexitätsreduktion mit dem Vorschlaghammer. Auf die Frage schön oder hässlich, klug oder dumm, reich oder arm ist man ja aus Trotz geneigt zu antworten: Ich wäre gern hässlich, dumm und arm. Außerdem hat diese Suggestion einen Hauch von Orwell. Krieg ist Frieden. Liebe ist Hass. Putin ist das Opfer des Westens.

B-Note: Wagenknecht lächelt auf allen Plakaten gleich und wirkt unnahbar. Sie ist der einzige deutsche Politpopstar. Popstars wirken immer nah und unnahbar zugleich.

Der Verzicht auf GROSSSCHRIFT ist das Einzige, was die FDP mit einer anderen ums politische Überleben kämpfenden Truppe verbindet: der Linkspartei. Die zeigt sich in ihrem Wahlkampf unverdrossen klassisch friedensbewegt. Der Slogan auf den Plakaten: „In Frieden investieren, nicht in Waffen!“ Tatsächlich: eine konkrete Forderung! Damit hat die Linkspartei in diesem Wahlkampf ein Alleinstellungsmerkmal.

Das Alleinstellungsmerkmal der CDU ist, dass sie kein eigenes Friedensplakat hat. Dabei hätte sie eigentlich nur ihren Slogan aus dem EU-Wahlkampf von 2019 recyclen müssen: „Frieden ist nicht selbstverständlich“, stand darauf. Würde heute noch besser passen.