piwik no script img

Nach den Kommunalwahlen in ThüringenNichts ist okay

Gareth Joswig
Kommentar von Gareth Joswig

Der eigentliche Rechtsruck vollzieht sich nicht auf Sylt, sondern bei bürgerlichen Politikern. Doch der Durchmarsch der Faschisten ist aufhaltbar.

An diesen Menschen liegt es nicht, wenn die Nazis stark sind: Demo in Essen am 26. Mai Foto: Christoph Reichwein/dpa

Z u Beginn ein kleines Quiz mit Trigger­warnung: Auf welchen AfD-Politiker gehen die drei folgenden rassistischen Bullshitzitate zurück? Zitat eins: „Es gibt hier kein Schariarecht auf deutschem Boden. Es geht nicht, dass unsere Kinder in den staatlichen Schulen unterrichtet und in den Koranschulen indoktriniert werden.“ Zitat zwei: „In diesem Land hat jeder eine Chance, die sind selten so gut gewesen wie gegenwärtig, und wer sich nicht daran hält, der hat hier nichts zu suchen.“ Zitat drei: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“

Und, wer hat’s gesagt? Richtig geraten, all diese Zitate stammen natürlich vom CDU-Chef Friedrich Merz. Derselbe Merz, der seit Jahren AfD-Positionen salonfähig macht, regte sich Anfang der Woche über das Sylt-Video mit „Ausländer raus“ grölenden Schnöseln auf und nannte es „völlig inakzeptabel“. Und auch reihenweise Ampelpolitiker, die EU-Abschottungspolitik mittragen und faktisch „Ausländer raus“ mit dem Euphemismus „Rückführungsverbesserungsgesetz“ durchsetzen, zeigten sich entsetzt.

Natürlich haben sie alle beim Video recht. Aber keine Sorge, mittlerweile ist die Aufregung um das widerliche Sylt-Video wieder abgeklungen. Die Verursacher fliegen wohl aus Jobs und Unis, und das deutsche Rassismusproblem ist mal wieder aus der Mitte der Gesellschaft externalisiert, Opposition und Regierung können zur Tagesordnung übergehen und abwechselnd mehr Abschiebungen fordern oder durchsetzen.

Was das Problem eigentlich ganz gut illustriert: Noch während sich die halbe Bundesrepublik (zu Recht) aufregte über die rassistischen BWL-Justusse und Jura-Elisa-Marias, die „Ausländer raus“ auf Kirmestechno grölen, ist gleichzeitig aus dem Blick geraten, wo tatsächlich gerade realpolitisch etwas zu kippen droht und in Teilen schon gekippt ist:

Lupenreiner Neonazi

Nur für den Realitätscheck drei weitere Randmeldungen der Woche: Am Montag haben mutmaßlich Neonazis in Mönchengladbach Steine auf ein Wohnhaus von Menschen mit Behinderungen geschmissen, mit der Aufschrift „Euthanasie ist die Lösung“; am Mittwoch haben drei Jugendliche in Sachsen-Anhalt an einer Bushaltestelle das „Tagebuch der Anne Frank“ verbrannt; und bereits am Sonntag ist die AfD flächendeckend bei den Thüringer Kommunalwahlen mit deutlich über 20 Prozent in die Regionalparlamente eingezogen, und der lupenreine Neonazi Tommy Frenck ist in die Landratsstichwahl im Kreis Hildburghausen gekommen.

Dort nämlich kann die völkisch-nationalistische Höcke-AfD im weiteren Sinne bereits das im Alltag umsetzen, was sich die rassistischen Sylter Bonzenkids wünschen. Im Landkreis Sonneberg etwa, wo seit fast einem Jahr der AfD-Landrat Robert Sesselmann amtiert, fühlen sich viele Ras­sis­t*in­nen berufen, „Ausländer raus“ konkret umzusetzen: Die rechte Gewalt ist dort seit 2023 deutlich gestiegen. Vermummte warfen mit Steinen, zeigten den Hitlergruß, es gab Körperverletzungen, und selbst Kinder wurden bedroht.

Der AfD-Landrat hatte bisher keine Mehrheit im Kreistag, jetzt aber, da die AfD sich bei den Kommunalwahlen deutlich verstärkt hat und eine Zusammenarbeit mit der dortigen rechtsoffenen CDU-Abspaltung Pro Sonneberg möglich scheint, kann der Landrat durchregieren und etwa Demokratieprojekten den Geldhahn zudrehen.

Die Schlagzeilen vieler Medien zu den Kommunalwahlen klangen dennoch erleichtert: „Kein Durchmarsch der AfD“, war zu lesen. Die Frage ist: Woran haben wir uns gewöhnt? Nur weil die AfD nach einem Slapstick-Europawahlkampf mit einer Reihe von Skandalen nirgendwo auf über 50 Prozent im ersten Wahlgang kam, vermelden wir erleichtert, dass die AfD nur in neun (!) Stichwahlen Bürgermeisterposten und Landratsämter gewann?

Mehr Macht

Auch wenn die AfD schwächer abgeschnitten hat als noch zu Jahresbeginn befürchtet, ist das kein Grund zur Entwarnung. Im Gegenteil. Nichts ist hier okay. In Regionen, wo schon jetzt die vermeintliche Brandmauer eher aus Maschendraht besteht und die AfD ohnehin schon weitgehend normal ist, wird es nun noch schlimmer.

Die extrem rechte AfD in Thüringen hat bei den Kommunalwahlen ihr Ergebnis gegenüber 2019 deutlich verbessert, landesweit hat sie 8,6 Prozent hinzugewonnen. In vielen Kreistagen und Gemeinderäten hat sie die relative Mehrheit und kann womöglich Ratsvorsitze stellen. Sie wird auf der Graswurzelebene der Politik deutlich präsenter sein und könnte sich in der Sach­ar­beit der Kommunalparlamente wahlweise noch weiter normalisieren und entdämonisieren oder blockieren. Sie bekommt mehr Macht über die Unterbringung von Flüchtlingen, über sozialpolitische Entscheidungen in der Kommune und Gelder für Sozialarbeit und Kultur – mit negativen Auswirkungen vor allem für jene, die nicht in ihr Weltbild passen.

Der Rechtsruck ist dabei nicht unausweichlich. Es braucht weiter eine klare Ausgrenzung der AfD und ihrer rassistischen Inhalte. Sozialen und rassistisch aufladbaren Verteilungskämpfen um knappen Wohnraum und Kitaplätze muss die Grundlage entzogen werden. Das bedeutet eine Abkehr vom Spardiktat und langfristige Investitionen in die über Jahre kaputtgesparte soziale Infrastruktur. Demokratische Mitbestimmung muss erlebbar gemacht werden mit Geld für kleine Förderprojekte auf kommunaler Ebene und durch eine bessere Ausstattung klammer kommunaler Kassen. Ebenso müssen die Resonanzräume der AfD streitig gemacht werden: Den demokratischen Parteien muss es gelingen, vor Ort mehr Präsenz zu zeigen und die stellenweise regionale Hegemonie der Rechten zu brechen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Gareth Joswig
Redakteur Inland
Arbeitet seit 2016 als Reporter und Redakteur bei der taz. Zunächst in den Lokalredaktionen von Bremen und Berlin, seit 2021 auch im Inland und Parlamentsbüro. Davor Geschichts- und Soziologiestudium in Potsdam. Themenschwerpunkte: extreme Rechte, AfD, soziale Bewegungen, Mietenpolitik, dies, das, verschiedene Dinge.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Man kann natürlich die Fälle von Sylt und vielen anderen "Parties" verharmlosen, aber die Rechtsradikalen nehmen auch gerne mit, was Dummheit, Wohlstandsverwahrlosung und gewisse Chemikalien - vielleicht sogar ohne bewusste Absicht - so hergeben.



    Auf Bildern bleibt Hitlergruß eben Hitlergruß, die müssen nicht mal künstlich generiert werden, sondern die liefert die Realität.

  • Ich betrachte mich als Lieschen Müller und kann sagen, dass ich dieses Land und die Menschen, die hier "verhaltensauffällig" sind, nicht mehr verstehe. Es muss in Deutschland doch möglich sein, allen Menschen Chancen auf ein zufriedenstellendes, befriedigendes Leben in relativem Wohlstand zu eröffnen. Dann würde sich das Problem mit destruktiven Kräften linker und/oder rechter und/oder religiöser Nuance meiner Einschätzung nach teilweise von selbst lösen.

    Vielleicht sollte die Regierung, ähnlich wie bei Volkszählungen, eine gross angelegte, seriöse Umfrage starten: "Was empört mich.", um daraus dann Schlüsse zu ziehen, was geändert werden kann und wo Politiker den Bürgern ehrlich sagen müssen, weshalb und aus welchen Gründen Änderungen nicht oder nicht sofort möglich sind.

    Evtl. wären auch Volksabstimmungen wie in der Schweiz eine Möglichkeit, um dieses Land wieder zu befrieden.