Höcke uneinsichtig vor Gericht

„Die Nachahmer-Quote ist erschreckend hoch“: Urteil gegen AfD-Rechtsaußen erwartet

Aus Halle (Saale) David Muschenich

Die Luft im Gerichtssaal ist dick, die Nachmittagssonne scheint durch die Fensterfront, als Staatsanwalt Benedikt Bernzen sich am Dienstag für sein Schlussplädoyer erhebt. Es geht um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der 2021 in einer Rede die Parole der nationalsozialistischen SA verwendet hatte. Obwohl Höcke nicht vorbestraft ist, fordert Bernzen eine Freiheitsstrafe.

Zum einen habe Höcke sich zuvor schon ähnlich geäußert und nach der Tat nicht einsichtig gezeigt. Er habe die unbekannte Parole breitenwirksam verwendet und wieder salonfähig gemacht. „Die Nachahmer-Quote ist erschreckend hoch“, so Bernzen mit Blick auf Kommentare auf Social Media. Zudem zeige Höcke nicht den „geringsten Respekt“ vor dem Gericht.

Höcke kaut während der Plädoyers auf seiner Unterlippe. Seine Verteidigung forderte den Freispruch. Die SA-Parole „Alles für Deutschland“ sei ein Allerweltssatz und Höcke habe nicht wissen können, dass die drei Worte strafbar sind. Das Landgericht Halle hatte am zweiten der vier Prozesstage dargelegt, dass gegen Höcke eine Geldstrafe in Betracht käme. Ein Urteil lag zum Redaktionsschluss noch nicht vor.

Höcke hatte 2021 in Merseburg anlässlich des Landtagswahlkampfs in Sachsen-Anhalt vor etwa 250 Zu­hö­rer:in­nen gesagt: „Alles für Sachsen-Anhalt, alles für die Heimat, alles für Deutschland.“ Höcke bestreitet, von der SA-Parole gewusst zu haben. Würde das stimmen, wäre der Straftatbestand nicht erfüllt. Unwissenheit schützt in diesem Fall.

Der Prozess steht im Kontext mehrerer Wahlen: am 26. Mai wird in Thüringens Kommunen gewählt, am 9. Juni steht die Europawahl an und am 1. September die Thüringer Landtagswahl. In Umfragen zu Letzterer liegt die AfD derzeit bei rund 30 Prozent. Vor diesem Hintergrund inszeniert sich Höcke als verfolgter Opposi­tionspolitiker. Er beruft sich öffentlich immer wieder auf die Meinungsfreiheit. Vor Gericht argumentieren seine Verteidiger zudem, die SA-Formel sei nicht ausschließlich von der SA, sondern auch von anderen verwendet worden – auch von Feinden der NS-Diktatur.

Allerdings wurde die Parole weit nach der NS-Diktatur von Neonazis verwendet, erklärt der Soziologe Andreas Kemper. NPD, Freie Kameradschaften und andere neonazistische Organisationen hätten sie benutzt. „Die knüpften mit dem Spruch quasi an den Nationalsozialismus an.“ Das Ziel: NS-Sprache normalisieren, damit NS-Propaganda harmloser wirkt.

Kemper untersucht die Sprache Höckes schon länger und hält es für unplausibel, dass dieser die Parole nicht kannte. „Alles für Deutschland“ habe einen eigenen Inhalt, der gen Goebbels Wunsch nach Fanatismus gehe: „Du bist nichts, dein Volk ist alles. Da ging es um die totale Hingabe für die Sache“, sagt Kemper auf taz-Anfrage.