das portrait
: Erste Deutsche: Jenny Erpenbeck bekommt den International Booker Prize

Foto: Alberto Pezzali/ap/dpa

Wie beeindruckt die englischsprachige Literaturwelt auf das Werk Jenny Erpenbecks schaut, hat die Autorin jetzt schriftlich. Als erste Deutsche erhielt sie am Dienstagabend den International Booker Prize für den Roman „Kairos“ in der Übersetzung von Michael Hofmann. In der Begründung der Jury stehen Sachen wie: „leuchtende Prosa“ und dass „die Selbstversunkenheit der Liebenden, ihr Abstieg in einen zerstörerischen Strudel mit der größeren Geschichte der DDR“ um den Mauerfall herum verbunden bleibe. Damit ist es sozusagen amtlich, dass Jenny Erpenbeck in der großen weiten Welt erst einmal das Gesicht und ein wichtiges Aushängeschild der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur darstellen wird.

Erpenbeck wurde 1967 in Ostberlin geboren, in ein Elternhaus, das zur Intelligenzija der aus­gehenden DDR gehörte. Einen gewissen Abstand zum bundesrepublikanischen Betrieb hat sie, die zunächst auch im dramaturgischen Theaterbereich Erfahrungen gesammelt hat, ihre gesamte literarische Karriere lang gewahrt, was keineswegs verhindert hat, dass die Liste ihrer Auszeichnungen lang ist. Nur die ganz großen Weihen blieben bislang aus. Interessant, dass sie jetzt vom Ausland aus kommen.

„Kairos“ ist eine erst euphorische, dann toxisch werdende Liebesgeschichte zwischen einer sehr jungen Frau und einem 34 Jahre älteren Mann. Porträts, Szenen, Befindlichkeiten von Menschen in der DDR zwischen Anpassung und innerem Exil sind eingewoben, das ungleiche Paar und der Verlauf ihrer Beziehung bleibt aber im Zentrum. Den Ansatz, von einem einzelnen Punkt aus große Geschichte aufscheinen zu lassen, hat Jenny Erpenbeck schon häufiger angewendet. Von einem Seegrundstück aus erzählt sie die Geschichte des 20. Jahrhunderts inklusive Nazizeit („Heimsuchung“). Mit dem Akzent auf politische und individuelle Brüche malt sie in „Aller Tage Abend“ die große Geschichte noch einmal anders aus. Dezidiert politisch wurde sie in dem Roman „Gehen, ging, gegangen“, in dem sie – mit dem Camp protestierender Geflüchteter, das es 2013/14 in der Berlin-Kreuzberger Oranienstraße tatsächlich gegeben hat, als zentralem Ausgangspunkt – die unschönen Seiten der Gegenwart beleuchtete: Ausgrenzung, Abschottung.

Wie bei „Kairos“ kann man auch hier nicht sagen, dass Jenny Erpenbeck über Themen schreibt, sie lässt sie durch die Figuren hindurch vielmehr in den Text einsickern. Wie nahe sie ihren Figuren kommen kann, zeigt sie in „Kairos“, vor allem im ersten Drittel. Dass sie zur deutschen Gegenwart immer auch ein Stück weit Abstand hält, zeigte sich konkret in „Gehen, ging, gegangen“, einem Buch, in dem einem beim Lesen, während die zunächst als Fremde gelesenen Geflüchteten näher kommen, die deutsche Gegenwart immer fremder wird. Jenny Erpenbeck beschreibt deutsche Geschichte und Gegenwart teilweise so, als müsste sie sie außenstehenden Beobachtern erst erklären. Vielleicht macht diese Wendung ihre Romane ja, neben dem längst exotischen Reiz angenommenem DDR-Thema, für internationale Leserinnen und Leser noch einmal besonders interessant.

Seit ein paar Wochen wird Jenny Erpenbeck gar als mögliche Kandidatin für den Literaturnobelpreis gehandelt. In Deutschland nimmt man das staunend sowie leicht augenreibend zur Kenntnis. Jenny Erpenbeck ist hierzulande eine eingeführte Autorin, klar, ihre Romane haben, da sie so besonders sind, viele Fans und, da sprachlich etwas hochgetunt, auch die Kritiker, die man hat, wenn der Erfolg da ist – aber solche Ehren? Krass. Doch das ist erst mal eh Spekulation. Dirk Knipphals