Deutsche Filmpreise vergeben: Filme, die zeigen, wie es uns geht
Am Freitag wurden in Berlin die Gewinner:innen des Deutschen Filmpreises Lola gekürt. Darunter sind Filme von Ayşe Polat und Steffi Niederzoll.
Wie sagte es der Filmtheoretiker Siegfried Kracauer einst so weise: Film ist ein Reflexionsmedium der Wirklichkeit. Was wir auf der Leinwand sehen, spiegelt uns, und verhilft uns damit zu neuen Perspektiven. Wie es uns momentan geht, müsste man demnach am Deutschen Filmpreis Lola, dessen Gewinner:innen am Freitag bei einer Gala im Theater am Potsdamer Platz gekürt wurden, gut ablesen können.
Zumal man das Auswahlverfahren erneuert hatte, um es fairer und transparenter zu machen: Bereits die Auswahl der Nominierungen wird seit diesem Jahr auf sämtliche 2.200 Akademiemitglieder verteilt. Bei den beiden Kategorien „Bester Film“ und „Bester Kinderfilm“ wählen nun alle Mitglieder mit, bei den „Gewerkepreisen“ wie „Beste Kamera“ nach wie vor die Vertreter:innen des jeweiligen Gewerks.
Die Preise für die „Beste Regie“, das „Beste Drehbuch“ und die Lola in Bronze für den „Besten Film“ gingen an Ayşe Polats „Im Toten Winkel“, der zeigt, dass das Kino unsere komplexe Wirklichkeit zuweilen besser erfassen kann als ein voreingenommener Mensch: Kunstvoll verschachtelt und hoch spannend erzählt der Polit-Thriller von einem Dokumentarfilmteam, das über ein kurdisches Schicksal berichten möchte. Für die Beteiligten verschwimmen dabei die Wahrheiten – wer sieht was aus welchen Gründen? Der meisterlich inszenierte Film erscheint wie eine Allegorie nicht nur auf autoritäre politische Systeme, sondern auch auf die von unseren eigenen Agenden geprägte Kommunikation.
Bezeugen, was bewegt
Dass Steffi Niederzolls „Sieben Winter in Teheran“ als bester Dokumentarfilm und für die beste Montage ausgezeichnet wurde, bezeugt ebenfalls, was uns bewegt: Das Debüt ist die Geschichte einer jungen iranischen Frau, die bei einem Vergewaltigungsversuch in Notwehr ihren Peiniger erstach und nach sieben Jahren im Gefängnis hingerichtet wurde, weil sie sich weigerte, von der (wahren) Geschichte abzurücken. Die fassungslos machende Ungerechtigkeit des Urteils und der Mut von Reyhaneh Jabbari, die für die Wahrheit starb, stärken den bewegenden Film und überzeugten die Mitglieder.
Matthias Glasners Auseinandersetzung mit seiner Familie, das ideenreiche, tragikomische Drama „Sterben“, bekam die Goldene Lola. Die Darsteller:innen Corinna Harfouch und Hans-Uwe Bauer wurden für die beste weibliche Haupt- und die beste männliche Nebenrolle geehrt. Der auditiv-emotionale Höhepunkt des Films ist Lorenz Dangels ebenfalls ausgezeichnete orchestrale Filmmusik. Mit einem sich selbst immer wieder lautstark an die Wand spielenden Cast zeigt der Film die Traumata einer dysfunktionalen Familie bis ins schmutzige Detail – Körperausscheidungen und Brutalitäten inklusive. Die eigene Familie ist eben manchmal zum Kotzen.
Ansonsten lief die von sieben Menschen, und damit ungefähr fünf den Brei verderbenden Köchen zu viel, moderierte Veranstaltung eher vorsichtig ab – die Größe der Moderator:innenriege, die für Diversität stehen sollte, funktionierte nur begrenzt, weil so niemand auf etwas reagieren, dem Abend etwas Persönliches mitgeben konnte. Die Erfahrungen mit politischen Äußerungen auf Kulturbühnen, die zuletzt immer wieder zu (vor allem medialen) „Eklats“ führte, machten sich bemerkbar: Man war zurückhaltend, dabei aber angemessen besorgt.
Am Ende kulminierten Empfindungen und Ängste in der berührenden Rede der 102-jährigen Holocaustüberlebenden Margot Friedländer, die man täglich auf allen Kanälen ausstrahlen müsste. „Ich bitte Euch, seid Menschen“, sagte sie. Besser kann man es nicht ausdrücken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen