Verschwörung schwarz auf weiß

Protokolle des Robert-Koch-Instituts sorgen für Aufregung. Veröffentlicht hat sie ein umstrittenes Magazin

Von Moritz Huhn

Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren teils heftig umstritten. Auch die Frage zum Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik führte zu Diskussionen. Nun heizen bisher unveröffentlichte Protokolle des Corona-Krisenstabs des Robert Koch-Instituts (RKI) diese Debatte neu an. Veröffentlicht wurden die über 200 Dokumente von internen Sitzungen des Krisenstabs von Januar 2020 bis April 2021 vom Magazin Multipolar. Dieses ist für die Verbreitung von Verschwörungstheorien bekannt.

Besonders heftig diskutiert wird ein Satz vom 16. März 2020: „Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald (geschwärzter Name) ein Signal dafür gibt.“ Gemeint ist das Hochstufen der Risikobewertung durch Corona für die Gesundheit der Bevölkerung von mäßig auf hoch. Diese Einstufung war einer der Gründe für die politische Entscheidung, das öffentliche Leben massiv einzuschränken.

Multipolar leitet aus diesem Satz ab, dass die Hochstufung der Gefährdungslage nicht aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgt sei, sondern durch politische Einflussnahme – namentlich durch den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der aktuelle Gesundheitsminister Karl Lauterbach tritt dieser Darstellung entschieden entgegen. „Das RKI hat unabhängig von politischer Weisung gearbeitet“, sagte der SPD-Politiker. Hinter dem geschwärzten Namen verberge sich ein Mitarbeiter des RKI. Die Schwärzung solle die Mitarbeiter vor der Öffentlichkeit schützen.

„Es gab also keine politische Weisung, auf die das RKI hier reagiert hätte“, so Lauterbach. Das RKI hatte die neue Risikobewertung also bereits vorgenommen. Lediglich für die Veröffentlichung der Entscheidung sei die Zustimmung einer bestimmten Person notwendig gewesen.

Die Behauptung von Multipolar, dass diese Entscheidung nicht auf fachlicher Einschätzung passiert sei, ist irreführend. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte bereits am 11. März Covid-19 zu einer Pandemie erklärt. Auch die EU-Gesundheitsbehörde ECDC hatte am 13. März das Risiko für ältere Erwachsene und Personen mit chronischen Grundleiden als hoch eingestuft.

AfD und BSW fordern Untersuchungs-

ausschuss

Die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) forderten unterdessen als Reaktion auf die Veröffentlichungen von Multipolar, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Auch Wolfgang Kubicki schließt sich der Darstellung des Magazins an. Es werde immer deutlicher, dass das RKI für die Gesundheitspolitik des damaligen Ministers Spahn und wohl auch von Lauterbach „als wissenschaftliche Fassade gedient hat“, sagte der FDP-Vize-Vorsitzende.

Der Gesundheitsexperte Janosch Dahmen (Grüne) sprach sich gegen einen Untersuchungsausschuss aus. Stattdessen warf er der AfD, Wagenknecht und Kubicki vor, die Aufarbeitung der Pandemie für die anstehenden Wahlkämpfe instrumentalisieren zu wollen. „Die sehr konsequenten Maßnahmen während der ersten Welle, als es noch keine Impfung und zu wenig Schutzausrüstung gab, haben sehr viele Menschenleben gerettet“, so der Grünen-Politiker.

Die Dokumente waren jetzt öffentlich geworden, weil Multipolar erfolgreich auf eine Freigabe geklagt hatte. Ob es sich bei den von Multipolar online gestellten Unterlagen um die Originaldokumente handelt, kann das RKI nach Angaben einer Sprecherin jedoch nicht bewerten.