Deutsch-französische Feindschaft

Die Rechtsradikalen haben viel gemeinsam, doch Marine Le Pen ließ Alice Weidel abblitzen. Die Partnerin hatte sich wenig begeistert von den Vertreibungsplänen der AfD gezeigt

Alice Weidel (AfD), rechts, guckt unzufrieden Foto: imago

Von Gareth Joswig

Der Spitzname von Alice Weidel in der AfD ist nicht umsonst „Eis­prinzessin“: Die Bundessprecherin schaltet mitunter binnen weniger Sekunden von freundlich auf unterkühlt – und teilt dann ordentlich aus.

Nun bekommt sie ihre eigene Medizin zu schmecken: Marine Le Pen, die einflussreiche Politikerin der rechtsradikalen Rassemblement National (RN) in Frankreich, ließ Weidel eiskalt abblitzen. Nach dem Willen von Le Pen sollte die AfD-Chefin sich schriftlich vom Begriff der „Remigration“ distanzieren. Weidel schrieb daraufhin einen persönlichen Brief auf Französisch, doch Le Pen zeigte sich unbeeindruckt: „Da bleiben viele Fragen ungeklärt – es hat mir auch nicht sonderlich gefallen, den Inhalt des Schreibens aus der Presse zu erfahren, bevor ich es erhalten habe“, sagte sie.

Hintergrund der neuen Eiszeit ist die Correctiv-Recherche zum Potsdamer Geheimtreffen zwischen hochrangigen AfD-Politikern und dem rechtsextremen Chef der Identitären Martin Sellner. Inzwischen werden immer mehr derartige Treffen bekannt. Schon nach den ersten Enthüllungen hatte sich Marine Le Pen deutlich von der AfD und deren rassistischen Vertreibungsplänen distanziert – die die AfD unter dem Stichwort „Remigration“ verharmlost.

Le Pen hatte mit Blick auf ihr deutsches Pendant, die AfD, von „krassen Meinungsunterschieden“ gesprochen und behauptet, dass sie „nie eine Politik der Remigration“ verfolgt habe, die beinhaltet, „Menschen die französische Staatsangehörigkeit zu entziehen.“ Sie stellte sogar infrage, ob man künftig noch gemeinsam in einer Fraktion im Europaparlament sitzen könne. Am Potsdamer Treffen hatte auch der persönliche Referent der AfD-Chefin Alice Weidel teilgenommen, den diese nach der Veröffentlichung entließ.

Letzte Woche reiste Weidel dann nach Paris, um bei Le Pen die Wogen zu glätten. Die AfD-Chefin zeichnete nach dem zweieinhalbstündigen Treffen bei Risotto und Tiramisu mit Le Pen und RN-Chef Jordan Bardella ein friedliches Bild. Man habe festgestellt, dass man die gleichen Lösungsansätze verfolge, sagte sie und bedankte sich für den „herzlichen Empfang“.

Dass es bei beiden rechten Parteien ideologische Übereinstimmungen gibt, ist zwar richtig – allerdings sind ihre Strategien grundverschieden: Le Pen setzt anders als die AfD auf Verharmlosung und politische Anschlussfähigkeit und nicht auf Radikalisierung und Fundamentalopposition. Den AfD-Kurs sieht in Europa nicht nur Le Pen schon länger kritisch – auch zu Netzwerktreffen des ungarischen Staatschefs Victor Orbán war die AfD zuletzt nicht eingeladen.

Sich zumindest formal von der AfD abzugrenzen, könnte Le Pen innenpolitisch helfen, sich als vermeintlich gemäßigt darzustellen, vor allem, nachdem der von ihrer Partei befeuerte Rechtsruck in Frankreich bereits in ein verschärftes Einwanderungsrecht gemündet hat.

Ein Dorn im Auge von Le Pen und den europäischen Partnern der AfD dürfte auch deren Nominierung von Maximilian Krah zum Spitzenkandidaten für die Europawahl sein. Denn Krah macht sich bei jeder Gelegenheit für einen Radikalkurs stark. Zudem suchte er die Nähe zu Le Pens rechtsextremem Konkurrenten Éric Zemmour, was in der gemeinsamen Fraktion sogar schon zu Ordnungsmaßnahmen gegen Krah führte. Le Pens Konkurrent hatte auch gegen die RN mit dem Begriff „Remigration“ Wahlkampf gemacht.

Entsprechend stellte die RN das Ergebnis des deutsch-französischen Treffens ganz anders dar als Weidel: Ein hochrangiger RN-Politiker versicherte dem französischen Radiosender France Inter, dass die französischen Parteispitzen beim Mittagessen mit Weidel eine schriftliche Zusage verlangt hätten, dass „Remigration“ niemals Teil des AfD-Programms sein werde. Auf taz-Anfrage bestätigte Weidel die Aufforderung nach einer schriftlichen Erklärung im „Nachgang des Treffens“.

In dem der taz vorliegenden zweiseitigen Brief Alice Weidels an Marine Le Pen distanziert sich die AfD-Chefin keineswegs vom Begriff „Remigration“, sondern verteidigt ihn. Weidel behauptet, dies bedeute im Deutschen lediglich die Anwendung bestehender Gesetze. Richtig ist, dass der Begriff aus der Forschung stammt, allerdings kapern Rechtsextremisten ihn schon länger für ihre rassistischen Ziele, er klingt harmloser als das, was damit gemeint ist.

Auch Martin Sellner verwendet ihn so. Beim Potsdamer Treffen sprach er laut Correctiv davon, missliebige Deutsche mit Migrationshintergrund mit maßgeschneiderten Gesetzen unter Druck setzen zu wollen – mit dem Ziel, sie letztlich zu vertreiben. Mittlerweile taucht der Begriff vor allem als rechtsex­tremer Kampfbegriff für einen ethnisch-homogenen Staat auf.

Alice Weidel hat sich nicht von „Remigration“ distanziert, wie Le Pen es gefordert hat

Der Rest von Weidels Schreiben erschöpft sich in verschwörungsideologischen Unterstellungen, Correctiv betreibe mit „hinterlistigen Vergleichen, Dramatisierungen und Lügen“ eine regierungsgesteuerte Kampagne gegen die AfD. Sie behauptet, dass die „Lügenkons­truktion“ von Correctiv zusammenbreche und Teilnehmer erfolgreich gegen die Berichterstattung vorgingen.

Tatsächlich klagen Teilnehmer des Potsdamer Treffens gegen die Berichterstattung von Correctiv, bisher allerdings mit mäßigem Erfolg. Die Kernaussagen der Recherche bleiben bestehen.

Kurzum: Der Brief ist eine Schimpftirade gegen Pressefreiheit und das übliche Suhlen der AfD in der Opferrolle. Der Ton wirkt eher distanziert, Weidel spricht Le Pen mit „Madame“ an. Die vom RN geforderte Distanzierung von „Remigration“ bleibt aus.

Das wäre auch wenig glaubhaft gewesen: „Remigration“ steht sogar wörtlich im aktuellen Europaprogramm. Darin fordert die AfD „Resettlements“, Umsiedlungsprogramme aus Europa, sowie „Remigrationsprogramme auf nationaler und europäischer Ebene“. Völkisches Denken ist in der Partei mittlerweile Mainstream.

Zudem wollte die AfD die Debatte über die verfassungswidrigen Sellner-Pläne ausgerechnet damit einfangen, dass sie den Begriff als im Einklang mit dem Rechtsstaat darstellte und eine Neudefinition quasi als Grundsatzpositionierung veröffentlichte. Dies ganz offen im Namen des Bundesvorstands, verabschiedet im Bundesfachausschuss.

Marine Le Pen (Rassemblement National) gewinnt den aktuellen Wettbewerb der Eisprinzessinnen  Foto: pool/reuters

Die Fraktionsvorsitzenden aus den Ostbundesländern gaben direkt nach der Correctiv-Enthüllung ein gemeinsames Positionspapier heraus, in dem sie den Begriff „Remigration“ verteidigen. Die völkisch dominierten Landesverbände schreiben darin, dass sie das Staatsangehörigkeitsrecht zurückdrehen wollten, und formulieren ähnliche Ziele wie Rechtsextremist Sellner. Man wolle Maßnahmen ergreifen, um den „Assimilationsdruck auf nichtintegrierte Ausländer zu erhöhen“ und „Anreize“ schaffen, „um nichtintegrierten Migranten die Heimkehr zu ermöglichen“, heißt es auch dort als offizielle AfD-Position.

Sellner, der bis vor Kurzem noch von einem „metapolitischen“ Erfolg sprach, weil nach der Recherche nun überall von „Remigration“ die Rede sei, empfiehlt aber mittlerweile selbst auf seinem Telegram-Kanal seinen Anhängern, den aufgeladenen Begriff im Zweifel zu vermeiden – „wenn ihr euch in eurem Umfeld und eurer Position nicht traut ‚Remigration‘ zu sagen: Begriffe sind wichtig – aber nicht alles“. Er empfehle in solchen Situationen weniger aufgeladene Begriffe. Für die AfD ist es dafür deutlich zu spät.

Weidel wollte sich auf taz-Anfrage nicht zu Le Pens Reaktion auf den Brief äußern. Im AfD-Bundesvorstand tat man Le Pens Reaktion allerdings als „machttaktisches Geplänkel im Vorfeld der Wahl und der Fraktionsbildung“ ab. Tauwetter ist jedenfalls nicht in Sicht.