Entscheidende Abstimmung in der EU: Letzter Anlauf für die Lieferkette

Auch wenn die FDP blockiert: Zahlreiche Unternehmen plädieren für die europäische Richtlinie, die sie zum Schutz der Menschenrechte verpflichtet.

Mensch schwenkt Einkaufstasche von Aldi Süd

Immer mehr global agierende Firmen sehen sich in der Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte: Aldi-Süd-Einkauf Foto: Michael Gstettenbauer/imago

BERLIN TAZ Zahlreiche Unternehmen unterstützen mittlerweile die geplante Lieferketten-Richtlinie der EU. „Aldi Süd positioniert sich für eine europäische Richtlinie zu Sorgfaltsanforderungen von Unternehmen“, teilt zum Beispiel der Discounter mit. Vorteil aus Sicht von Aldi: Die Regelung schaffe „gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen innerhalb der EU“.

Die umkämpfte Regulierung steht an diesem Mittwoch in Brüssel auf der Tagesordnung des Ausschusses der Mitgliedsstaaten. Die belgische Regierung, die momentan den Vorsitz führt, wird dann erneut versuchen, eine Mehrheit für das Lieferkettengesetz zu organisieren – möglicherweise das letzte Mal vor den EU-Wahlen. Ob das klappt, ist unklar.

Das Problem: Die FDP in der Bundesregierung hat ihre Zustimmung zurückgezogen. Nach augenblicklichem Stand wird Deutschland sich deshalb wohl enthalten. Eine Mehrheit kam deshalb Anfang Februar nicht zustande. Die Richtlinie soll europäische Unternehmen ab 500 Beschäftigte verpflichten, Ökologie und Menschenrechte in den weltweiten Zulieferfabriken sicherzustellen. Die hiesigen Firmen müssten sich dann etwa darum kümmern, dass Mindestbezahlung und Mindesturlaub bei ihren Lieferanten in Bangladesch und anderen Staaten gewährleistet sind.

Während die FDP argumentiert, die Richtlinie überfordere vor allem kleinere Unternehmen, fordern viele Firmen ein „Ja“ der Bundesregierung. Dabei unter anderem das Pharma- und Saatgut-Unternehmen Bayer, der Handelskonzern Rewe, die Textilhändler KiK, Primark und S.Oliver sowie Frosta Tiefkühlkost.

Firmen gut informiert

Was auf sie mit der europäischen Regelung zukommt, kennen die Firmen vom deutschen Lieferkettengesetz, das ähnlich funktioniert. „Die vom deutschen Lieferkettengesetz geforderte Risikoanalyse für unsere mehr als 3.500 direkten Lieferanten haben wir mit einer datenbasierten Softwarelösung durchgeführt“, sagt Sabrina Raith von der Takkt AG in Stuttgart, einem Online-Vertrieb für Geschäftsausstattungen.

Nur „in weniger als zwei Dutzend Fällen haben wir persönlich mit Firmen Kontakt aufgenommen“, beschreibt Raith das Verfahren. „Konkrete Risiken haben wir aber bei keinem Lieferanten ermittelt.“ Durch die EU-Richtlinie steige die Zahl der zu überprüfenden Firmen zwar stark an, weil zusätzlich die indirekten Zulieferer einbezogen werden müssten. „Wir gehen aber davon aus, dass wir auch diese Herausforderung im Großteil über geeignete Softwarelösungen bewältigen können“, erklärt Raith.

80 Prozent der Firmen: „Umsetzbar“

700 deutsche und französische Firmen hat die Unternehmensberatung Inverto befragt, wie sie auf die Richtlinie vorbereitet seien. „Rund 80 Prozent der Befragten halten die Auflagen, die das EU-Lieferkettengesetz macht, für umsetzbar“, schreibt Inverto. Gut zwei Drittel seien überzeugt, dass die neue Direktive nur geringe oder moderate Kosten verursachen werde, während 17 Prozent mit hohen Zusatzkosten rechneten.

„Das Ziel geht grundsätzlich in eine unterstützenswerte Richtung“, sagt Inverto-Berater Stefan Benett. „Allerdings ist zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Unternehmen und Lieferketten verschieden stark betroffen sein würden.“ In manchen Fällen ließen sich die Risiken nicht einfach per Softwareanalyse ausschließen. Denn zahlreiche Firmen haben komplexe Lieferketten mit zahlreichen Stufen von Vorlieferanten. Dann kann „die individuelle Überprüfung sehr aufwendig werden“, meint Benett. Er kann nachvollziehen, dass Firmenvorstände sich Sorgen machten angesichts der explizit in der EU-Richtlinie vorgesehenen zivilrechtlichen Haftung. Sein Plädoyer: „Man sollte klarstellen, dass die menschenrechtlichen Verpflichtungen für Lieferanten, mit denen nur ein kleiner Umsatzanteil besteht, und wo keine unmittelbaren Risiken erkennbar sind, weniger streng nachvollzogen werden müssen.“

„Die verlangte Transparenz der Lieferketten löst Kosten aus“, sagt hingegen Andreas Dölecke, Partner der auf den Mittelstand fokussierten Beratungsfirma Kerkhoff in Düsseldorf: Sie erfordere Arbeitszeit, Dateninfrastruktur und Mitarbeiter. Deshalb fordert er von der Politik „Augenmaß“ Döleckes Fazit: „Die Anforderungen des deutschen Lieferkettengesetzes und der EU-Richtlinie umzusetzen, ist unserer Einschätzung nach für die Unternehmen mit Herausforderungen verbunden, jedoch grundsätzlich machbar.“

Die Haltung der Wirtschaft ist aber nicht einheitlich. Acht deutsche Lobbyverbände lehnen die EU-Richtlinie in der aktuellen Form ab, darunter Gesamtmetall, die Stiftung Familienunternehmen und der Chemieverband VCI. Zumindest ein Teil der Mitgliedsfirmen der Verbände dürfte diese Einschätzung teilen.

Die Deutschen dagegen sind für das Lieferkettengesetz. Einer Insa-Umfrage im Auftrag der Initiative Lieferkettengesetz zufolge wird die Richtlinie von 68 Prozent der Befragten unterstützt, interessanterweise auch von zwei Dritteln der FDP-WählerInnen.

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