Neue Alben von Oum Shatt und Kara Delik: Spiel, Saz und viel Ennui

Berliner Bands mit Weltgeltung: Die Alben „Opt Out“ von Oum Shatt und „All the Singularities I–IV“ von Kara Delik mischen psychedelischen Pop auf.

Die vier von Oum Shatt umschwadet von Rauch

Gleich gehen sie in die Luft: Oum Shatt Foto: Galya Feierman

Der Begriff „Opt-out“ stammt aus der Werbewelt des Marketing, er beschreibt, dass man aktiv widersprechen muss, um nicht von unliebsamen Newslettern und dergleichen Spammails behelligt zu werden. Leider gibt es übergriffige Vereinnahmungen nicht nur dort, wo jemand etwas verkaufen will. Auch in kulturellen und politischen Gefilden wird schneller eingemeindet, als unsereiner lieb sein kann.

Dem Dagegenhalten hat die deutsche Indieband Oum Shatt nun ein ganzes Album gewidmet. Auf ihrem zweiten, konzepthaften Langspieler „Opt Out“ stellt das Berliner Quartett einen Reigen von Figuren vor, die sich in Opposition zu Erwartungen begeben – nicht nur zu gesellschaftlich tradierten, sondern auch ersehnten Grenzüberschreitungen, die vermeintlich oder tatsächlich progressiv sind.

So entzieht sich im leichtfüßig flirrenden Song „The Artist Arrives“ der titelgebende Künstler den Projektionen seiner Fans, die ihn gerne als „critical, progressive, analytical“ Type lobpreisen würden, wenn er sich zumindest dieses eine Mal – „at least this time“ – auf ihre Seite schlüge.

Gott will nicht liefern

So wie auch der mit Eigensinn gesegnete Musiker, der im schleppend und zugleich lasziv rhythmisierten „Kid Went Awry“ seinen Gönnern die kalte Schulter zeigt. Ja, sogar Gott höchstpersönlich will nicht liefern: Im wunderbar verstolperten „Play!“ fordert der behauptete Sinnstifter und Weltenlenker die Menschen zum Spielen auf.

Oum Shatt: „Opt Out“ (Wanda Y./Border Music/Redeye); live: 28. 2., Ostpol, Dresden; 29. 2., Ilses Erika, Leipzig; 1. 3., Milla, München; wird fortgesetzt.

Kara Delik: „All the Singularities I–IV“ (Bandcamp); live: 20. 2., Ostpol, Dresden; 6. 3., Bumann & Sohn, Köln; 8. 3., Kultur Bunker, Bremen; wird fortgesetzt.

„You Know That Things Are Meaningless / But That Doesn’t Mean A Thing“ – heißt es da mit gepflegtem Ennui. Die Frage, die Sänger, Gitarrist und Bandkomponist Jonas Poppe (vormals in elektronischen Popgefilden als Kissogram unterwegs) unlängst im Radio gestellt wurde – nämlich, ob er denn auch durch Klänge ein „Opt Out“-Szenario anstrebe – beantwortete dieser dahingehend, dass das bei Popmusik immer schwerer werde.

Zu ausdifferenziert seien die Genres inzwischen. Doch natürlich könne man sich immer noch gegen schablonenhafte Songs und für die Kontroverse entscheiden, indem man etwa Sounds in einen neuen Kontext setzt. Und das tun Oum Shatt mit Leidenschaft, etwa wenn sie Surfgitarren mit arabischen Harmonien verschmelzen. Dazwischen tauchen immer wieder große Popmomente auf, irgendwo zwischen schmachtend und cool. Das Ergebnis klingt allerdings nicht unbedingt kontrovers, eher groovy und ziemlich zugänglich.

Öde Debattenkultur

Die Band dockt damit an die Klangwelten ihres Debütalbums „Oum Shatt“ (2016) an – und schickt zugleich nonchalant ein sympathisches „Fuck You“ in Richtung der so frucht- wie freudlosen Debatten um kulturelle Aneignung.

Ebenfalls toller Eklektizismus im orientalischen Soundgewand gelingt dem internationalen Trio Kara Delik, auch sie in Berlin zu Hause. Barış Öner (Istanbul Ghetto Club) an der Saz, Bassist und Synthie-Mann Andi Sommer (Henry Fonda, Yacht Communism) und die australische Schlagzeugerin Eilis Frawley (Anika, Laura Lee & The Jettes) fanden vor Jahren über ihre gemeinsame Leidenschaft für „Krautrock und ungerade Takte“ zusammen.

Die drei von Kara Delik lümmeln entspannt auf Sesseln

Meditativ ruhig und zenmäßig gelassen: Kara Delik Foto: Toni Petraschk

2022 erschien ihre Debüt-EP „Tamam“, seither haben sich die drei mit energetischen Liveshows eine so loyale wie vielfältige Fanbase erspielt. Zwischen nervösem Postpunk und Anadolu-Rock-Spezereien, Spoken-Word-Passagen auf Englisch und Türkisch und der bisweilen fast progrockig von Öner in Szene gesetzten Langhalslaute stehen immer wieder entschleunigte Momente in Dub: Gleich der Auftaktsong „Strange Attractor“ gibt einen Vorgeschmack auf den wilden Ritt, zu dem diese Band lädt.

Faszinierend, wie unterschiedlichste Einflüsse zwischen Shoegaze und folkloristischen Momenten über 13 Tracks zum geschmeidigen Ganzen verschmelzen. Die Release-Konzerte der vier weiteren EPs, die vergangenes Jahr erschienen, wurden frenetisch gefeiert. Alle Songs sind nun gebündelt auch als Album „All the Singularities (I –IV)“ veröffentlicht – und steigern die Vorfreude auf das „richtige“, für Ende 2024 geplante Debütalbum.

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