21 Schüsse am helllichten Tag

In Ecuador wird der Staatsanwalt, der zum Überfall auf einen TV-Sender während einer Livesendung ermittelt, auf offener Straße erschossen. Der Krieg zwischen Drogenbanden und Staat eskaliert

Von Katharina Wojczenko , Bogotá

Am hellichten Tag ist am Mittwoch in Ecuador der Staatwanwalt César Suárez ermordet worden. Mehr als 20 Einschusslöcher wies sein weißer SUV auf, mit dem er zu einer Anhörung im Norden der Hafenstadt Guayaquil unterwegs war, als die Schüsse fielen. Der Staatsanwalt hatte die Ermittlungen nach der Geiselnahme in einem Fernsehstudio vom 9. Januar geleitet.

Die Bilder gingen um die Welt und hatten international ein Schlaglicht auf die massive Gewalt geworfen, die Ecuador seit Monaten umtreibt. Suárez sollte ermitteln, welche der vielen bewaffneten Gruppen für die Live-Geiselnahme verantwortlich war. Drogenhandel, Terrorismus und organisierte Kriminalität waren sein Spezialgebiet.

Generalstaatsanwältin Diana Salazar betonte in einer Videoansprache, „die Banden organisierter Kriminalität, die Verbrecher, die Terroristen“ würden die Justizbehörden nicht von ihrer Arbeit abhalten. Ecuador steckt in einer tiefen Sicherheitskrise. Kriminelle Banden kämpfen gegeneinander und gegen den Staat – und höhlen diesen teils von innen aus. Es geht um Macht und Geld, vor allem aus dem Drogenhandel.

Vergangene Woche hatte Präsident Daniel Noboa den Ausnahmezustand erklärt, nachdem der wohl brutalste Drogenboss des Landes alias „Fito“ aus dem Gefängnis geflohen war – ein neuer Höhepunkt der Gefängniskrise. Die kriminellen Banden erklärten darauf der Staatsgewalt den „Krieg“. Es folgten Explosionen, Angriffe, Überfälle, Tote – und besagte Live-Geiselnahme.

Die Polizei hatte die Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Senders befreien können. Präsident Noboa sagte am selben Tag noch per Dekret 22 bewaffneten Banden den Kampf an. Ecuador befindet sich seitdem in einem „internen bewaffneten Konflikt“.

Noboa hat mittlerweile die USA und andere Länder um Unterstützung in der Krise gebeten. Er würde sich sehr über eine Zusammenarbeit mit den USA bei den Geheimdiensten und über Waffenlieferungen freuen, sagte er in einem Interview mit Starmoderatorin Christiane Amanpour im US-amerikanischen Sender CNN. Demnächst sollen Vertreterïnnen der US-Regierung nach Quito reisen.

Gefängnisse als Schaltzentrale krimineller Organisationen

Menschenrechtsorganisationen sehen Ecuadors Entwicklung mit Sorge – vor allem den erweiterten Einsatz des Militärs in den Straßen. Es geht zunächst darum, Kontrolle über die Gefängnisse zurückzubekommen. Die sind zur Schaltzentrale krimineller Organisationen geworden. In der Nacht auf Sonntag haben Polizei und Armee zumindest die letzten 136 Gefängnismitarbeiter befreit, die von meuternden Insassen als Geiseln genommen worden waren.

Derweil läuft der 60-tägige Ausnahmezustand weiter inklusive nächtlicher Ausgangssperren im ganzen Land. Das bringt die einheimische Wirtschaft in zusätzliche Nöte. Die Präsidentin der Föderation der Handelskammern von Ecuador, Mónica Heller, hat die Regierung gebeten, die Ausgangssperre zu überdenken. Diese schade der Produktion im Schichtbetrieb und schwäche die Betriebe. Heller sprach sich für eine differenzierte Regelung aus. Denn nicht in allen Provinzen sei die Unsicherheit hoch.

Ecuador ist ein wichtiges Transitland für Kokain geworden, das von dortigen Häfen in die Welt geschickt wird. Laut des aktuellsten Berichts des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) kam 2021 knapp ein Viertel des in Europa beschlagnahmten Kokains aus Ecuador. In Guayaquil, wo der Staatsanwalt ermordet wurde, ist ein wichtiger Hafen dafür.