DFB-Pokal Viertelfinale: Träume und Tränen
Hertha BSC scheitert an Kaiserslautern. Das Gedenken an den verstorbenen Präsidenten dabei ist immer noch präsent – Beobachtungen eines Fans.
Sie meldet sich erstmals seit seinem plötzlichen Tod vor zwei Wochen zu Wort und bedankt sich für die Anteilnahme. Jede Geste, jedes Wort und jedes Spruchband überwältigten sie. Und sie fordert von den Vereinsmitgliedern „Lasst uns den Berliner Weg weitergehen! Für Kay, für Hertha BSC“.
Mit dem „Berliner Weg“ setzt Hertha seit dem Abstieg in die zweite Liga und einem großen Umbruch im Sommer 2023 auf Spieler aus der eigenen Jugend. Auch der ganze Verein soll bodenständiger auftreten. Und er sollte von den Mitgliedern geprägt werden, nicht von Investoren. Wird Hertha diesen Ansatz auch nach Bernsteins Tod weiterverfolgen?
Am Abend spielt Hertha im Viertelfinale des DFB-Pokals gegen den 1. FC Kaiserslautern. Der Traum von mir und allen anderen Herthanerinnen und Herthanern ist klar: das Finale im eigenen Stadion. Auch Kay Bernstein wünschte sich das. Im letzten Interview vor seinem Tod beantwortete er die Frage, ob Pokal oder Aufstieg schöner wären, mit dem Pokalsieg.
Die Marschrichtung ist also vorgegeben und mit Kaiserslautern ein vermeintlich dankbarer Gegner zu Gast im Olympiastadion. Die Pfälzer spielen eine schwache Zweitligasaison, gewannen am Wochenende aber 4:1 gegen Schalke 04.
Trauer und Fußball
Es ist auch das Spiel nach dem Trauerspiel. Beim Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf stand noch alles im Zeichen der Trauer um Kay Bernstein. Ein Trauermarsch mit 7.000 Fans (inklusive mir) zog vor dem Spiel zum Stadion. Vor der Ostkurve hing ein großes Schwarzweißfoto, das Bernstein zeigte. Und Stadionsprecher Fabian von Wachsmann hielt eine herzerwärmende Rede vor der Schweigeminute. Die Ultras sahen sich außer Stande, Stimmung zu machen. Zu tief saß der Schock.
Davon ist im Stadion gegen Kaiserslautern zunächst nichts zu merken. Das Foto Bernsteins ist wieder dem Logo von Herthas Sponsoren, unter anderem einem Sportwettenanbieter, gewichen. Der Stadionsprecher ruft die Spielernamen wieder voller Inbrunst aus, und die Ostkurve macht schon vor dem Spiel viel Lärm.
Eine Choreografie ist vorbereitet, auch ich halte zu Spielbeginn ein weißes Pappschild hoch. Auf einem Foto, das ein Freund mir schickt, erkenne ich, dass die Choreografie Kay Bernstein zitiert. Es geht um den Verein als Gemeinschaft, die gepflegt, und Ziele, die erreicht werden sollen.
Ernüchterndes Spiel
Das Spiel selbst ist alles andere als traumhaft. Herthas Trainer Pál Dárdai hat aus unerfindlichen Gründen das System umgestellt. Hertha kommt nicht damit zurecht und liegt nach fünf Minuten mit 0:1 hinten. Die Euphorie ist sofort gedämpft, aber die Ostkurve schreit fleißig weiter: „Auf geht’s, Hertha, kämpfen und siegen!“
Hertha hat Probleme im Spielaufbau, der Ball wird häufig zwischen den Verteidigern hin- und hergeschoben, letztes Mittel ist ein langer Ball auf Stürmer Haris Tabaković. Als dann in der 38. Minute das 0:2 fällt, verstummt auch der harte Kern der Herthafans kurz. War’s das schon mit dem Pokaltraum?
Pál Dárdai korrigiert seine Aufstellung und bringt zur Halbzeit Fabian Reese. Der mit Abstand beste Spieler der Hinrunde feiert sein Comeback nach einer Corona-Erkrankung und wird mit „Fußballgott“-Rufen begrüßt. Hertha spielt jetzt offensiver, die Einwechslungen wirken. Andreas Bouchalakis verteilt die Bälle und Hertha kommt zu Chancen.
Zeichen der Hoffnung
Jener Bouchalakis spielt aber auch einen Pass, der die Lauterer zum 0:3 einlädt. Kurz sind nur die Lautern-Fans zu hören, dann fängt sich die Ostkurve wieder: „Zweite Liga tut so weh, scheißegal, BSC!“ Herthas 1:3 in der Nachspielzeit durch Fabian Reese ist da nur eine Randnotiz.
Einem Jungen in der Reihe vor mir purzeln Tränen über das Gesicht. Auch er hatte anscheinend vom Pokalfinale im eigenen Stadion geträumt. Und ich muss an ein Spruchband in der Ostkurve aus dem Spiel nach Kay Bernsteins Tod denken: „Wir gießen deinen Baum mit unseren Tränen“, hieß es dort.
Den Baum hatte Bernstein 2022 als Symbol des Zusammenhalts vor Herthas Geschäftsstelle gepflanzt. In Berlin sollte wieder etwas zusammenwachsen. Ich sehe in diesem Moment im Stadion die Tränen dieses jungen Herthafans als ein Zeichen der Hoffnung. Der Berliner Weg ist gerade erst am Anfang. Er ist steinig, lang und voller Widrigkeiten. Aber es lohnt sich, ihn weiterzugehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken