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Agrar-Proteste breiten sich ausEU-Gipfel will Bauern einfangen

Landwirte steuern nun Brüssel an, um Europas Staatschefs bei ihrem Sondergipfel unter Druck zu setzen. In Frankreich spitzt sich die Lage zu.

Protest auf der Autobahn A4 in der Nähe von Paris Foto: Yves Herman/reuters

Paris/Brüssel taz | Die Bauernproteste in verschiedenen europäischen Ländern reißen nicht ab. In Frankreich belagern die Landwirte seit dem Montag Paris. In Deutschland waren am Dienstag noch Auswirkungen vom Montag zu spüren, als Landwirte mit Hunderten von Traktoren den Hamburger Hafen abgeriegelt hatten. Und in Belgien spitzt sich die Lage zu, nachdem es am Wochenende erste sporadische Proteste in der französischsprachigen Wallonie gegeben hatte. Landwirte legten am Dienstag die wallonische Stadt Namur mit 300 Traktoren lahm und störten den Verkehr auf dem Autobahnring rund um die Hauptstadt Brüssel.

Am Donnerstag wollen sie den EU-Gipfel „besuchen“, der im Brüsseler Europaviertel tagt. Eigentlich soll es bei dem Spitzentreffen vor allem um Hilfen für die Ukraine gehen. Doch nun drängt der Bauernaufstand auf die Agenda. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hat angekündigt, ihn zum Thema zu machen.

Tatsächlich wird die Agrarpolitik ganz wesentlich von der EU vorgegeben, der größte Teil der Subventionen kommt aus Brüssel – und ist mit Auflagen zum Klima- und Umweltschutz verknüpft, die viele Landwirte als „überbordende EU-Bürokratie“ bezeichnen Hinzu kommen verschiedene Freihandelsabkommen, die in ihren Augen für „unfaire Konkurrenz“ aus Drittländern sorgen. Die Agrarimporte aus Ländern außerhalb der EU sind eines der Hauptmotive für die Wut der Landwirte. Sorgen bereitet ihnen die Ukraine, die den europäischen Markt mit günstigem Getreide versorgt, aber auch der geplante Vertrag mit den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten.

Der französische Landwirtschaftsminister Marc Fesneau, der noch am Montagabend vergeblich mit einer Delegation des größten Bauernverbands FNSEA nach Lösungen gesucht hatte, plant, am Mittwoch in Brüssel „in einer Reihe von Unterredungen“ mit der EU die dringlichsten Fragen zu erörtern. Ziel ist, den französischen Landwirten möglichst bald „neue Vorschläge“ unterbreiten zu können.

Gewaltbereite Demonstranten in Belgien

Der belgische Premierminister Alexander De Croo wollte sich noch am Dienstag in Brüssel mit Bauernvertretern treffen. Eine schnelle Lösung war aber angesichts der hitzigen Stimmung kaum zu erwarten. Die grüne wallonische Umweltministerin Céline Tellier etwa musste am Montag von der Polizei vor gewaltbereiten Demonstranten geschützt werden; ein Gespräch mit erbosten Bauern wurde abgebrochen. In Flandern postete die neue Partei Boer Burger Belangen ein Video, auf dem Galgen zu sehen waren, an denen Politikerpuppen aufgehängt waren. Später entschuldigte sie sich.

Nichts geht mehr: Treckerprotest in der Nähe von Paris Foto: Yves Herman/reuters

Ein erstes gemeinsames Angebot der europäischen Staatschefs an die Demonstrierenden könnte darauf hinauslaufen, das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur weiter auf Eis zu legen. Der Sprecher der EU-Kommission erklärte am Dienstag, aktuell seien die Bedingungen für eine Unterzeichnung „nicht gegeben“. Ähnlich hatte sich Macron geäußert, der am Rande des Gipfels mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen darüber sprechen will.

Macron steht unter großem Druck. Mit den bisherigen Zugeständnissen bei den Agrar-Dieselpreisen und dem Versprechen einer drastischen Vereinfachung, den administrativen Papierkram zu vereinfachen, ist es der französischen Führung nicht gelungen, eine Eskalation der Bewegung zu vermeiden. Dennoch versprach Premierminister Attal in seiner Regierungserklärung am Dienstag ein weiteres Entgegenkommen.

In der Provinz gingen die Aktionen indes weiter. Bei Toulouse wurde die Zufahrt zum Flughafen blockiert, Passagiere, die einen Flug gebucht hatten, mussten ein letztes Stück samt Gepäck zu Fuß zurücklegen.

Badminton auf der Autobahn

Selbst solche Behinderungen scheinen indes der enormen Sympathie, die die Bauernproteste in der Bevölkerung genießen, keinen Abbruch zu tun. Fast 90 Prozent sagen in Umfragen, sie unterstützten die Forderungen. In Grenoble sorgte die Blockade der Autobahn A480 für ungewohnte Bilder: Leute spazierten auf der improvisierten Fußgängerzone, spielten Ball oder Badminton.

Für die Ordnungskräfte wird diese Solidarität zu einem Problem. Innenminister Gérald Darmanin hat seine Beamten angehalten, „mit Mäßigung“ vorzugehen, um Eskalationen zu vermeiden. Denn die sind absehbar: Am Dienstagmorgen durchbrach ein Konvoi von 200 Traktoren aus Agen nördlich von Limoges wegen einer Polizei­sperre die Leitplanken der A20 Richtung Paris. Ihnen sei freie Fahrt bis vor die Hauptstadt zugesichert worden, „wenn sie uns für dumm verkaufen wollen, wird das schlimm ausgehen“, drohte ein Landwirt auf dem Fernsehsender BFM.

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1 Kommentar

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  • Es stellt sich die Frage, wer da demonstriert.



    Androhung von Gewalt und Nötigung lehne ich ab, egal Wer das ausübt. Das sind keine Mittel unter DemokratInnen.



    Letzteres steht auch infrage: gerade in Frankreich nutzen die Rechten gerne jede Gelegenheit, die Regierung zu attackieren.



    Das ist hierzulande ja nicht Anders.



    Allerdings nehmen die Demos gegen Rechts den Bauern allmählich den Schneid ab.



    Die grundsätzliche Problematik, dass über die Subventionen pro ha die Großen am meisten Geld erhalten, während die Kleinen am langen Arm verhungern, steht ja gar nicht zur Debatte.



    Ein Kleinbauer, der vielleicht 12.000€ an Subventionen erhält, wird Besseres zu tun haben, als einen Ausflug nach Brüssel.



    Derjenige, der Hunderttausende an Subventionen erhält, kann hingegen mal den einen oder anderen Tag frei machen.



    Ich bin für Landwirtschaft vor Ort, in der EU.



    Allerdings für umweltgerechte Landwirtschaft.



    Die Überlegung, den europäischen Markt für Gensaatgut zu öffnen finde ich erschreckend und dass die Bauern sich gerade gegen ökologische und tierrechtliche Standards wenden, enttäuschend.



    Im Gegenteil sehe ich gerade in dieser Qualitätsinitiative die Zukunft für die Landwirtschaft und uns Alle.