: Friedensoase in Gefahr
Ghana galt als Hort der Stabilität in Westafrika, sieht sich aber einer wachsenden Bedrohung durch den Dschihad ausgesetzt
Aus Accra Murtala Issah
Sein eigenes Land wurde bisher weitgehend verschont. Doch der Terrorismus „bereitet allen Regierungen Westafrikas große Sorgen“, sagte Nana Akufo-Addo, der Präsident Ghanas, bei einem Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz Ende Oktober 2023. Die gesamte Region sei aufgrund des islamistischen Terrors instabil geworden. Innerhalb der letzten zehn Jahre habe sich die Bedrohung Richtung Süden und Osten ausgeweitet.
„Mittlerweile müssen alle Länder Westafrikas erhebliche Vorsichtsmaßnahmen treffen, um möglichen Angriffen von Terroristen entgegenzuwirken“, sagte Akufo-Addo. Von Deutschland erhoffe er sich dabei Unterstützung – militärische Ressourcen und Hilfe bei der Aufklärung, so Akufo-Addo.
Ghana gilt als Oase des Friedens und der Stabilität in einer Region, die von Konflikten und politischen Unruhen geplagt ist. Doch heute sieht auch Ghana sich der Bedrohung durch gewalttätige Extremisten ausgesetzt. Obwohl das Land bisher noch nicht angegriffen wurde, warnen Sicherheitsexperten, dass die in der Sahelzone operierenden Terrororganisationen die westafrikanischen Küstenstaaten, darunter auch Ghana, im Visier haben.
Das West African Center for Counter Extremism (WACCE), das zu gewalttätigem Extremismus in Westafrika forscht, hält vor allem den Norden Ghanas für bedroht. WACCE-Direktor Muntaru Mumuni Muqtar sagt, die „Kombination aus durchlässigen Grenzen, ethnischen und religiösen Missständen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen bereitet den Sicherheitsexperten in Ghana große Sorgen“. Es gebe ein großes Entwicklungsgefälle zwischen dem schwach entwickelten Norden und dem Süden Ghanas Die Jugend im Norden sei daher anfälliger für Radikalisierung. „Im Norden Ghanas gibt es weniger Beschäftigungsmöglichkeiten. Das erleichtert die Rekrutierung der Jugend durch gewalttätige extremistische Organisationen“, so Muqtar.
In Ghanas Nachbarstaaten Guinea, Togo und der Elfenbeinküste wurden seit 2016 mehrere tödliche Anschläge verübt. Große Teile von Burkina Faso, Ghanas Nachbar im Norden, werden von Terrorgruppen kontrolliert, ebenso Niger und Mali.
Die Gewalt in Burkina Faso hat über zwei Millionen Menschen vertrieben, von denen ein Teil nun als Flüchtlinge in Gemeinden im Norden Ghanas lebt. Einige von ihnen berichteten, dass bewaffnete Männer ihre Dörfer überfallen, die Männer ihrer Gemeinden getötet und ihre Häuser angezündet haben.
Der deutsche Botschafter in Ghana, Daniel Krull, der Flüchtlingslager in der Upper East Region Ghanas besuchte, sieht dringenden Handlungsbedarf. Doch es sei von zentraler Bedeutung, dass jede Lösung in der Region „von Afrikanern für Afrikaner entwickelt, von Afrikanern getragen und von Afrikanern umgesetzt wird“, sagt Krull.
Im Kampf gegen den gewalttätigen Extremismus hat das Land eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, darunter eine Kampagne mit dem Titel „Sieh' etwas, sag' etwas“. Sie soll die Bürger:innen sensibilisieren. Ghanas Sicherheitsminister Albert Kan Dapaah sagt, er zähle darauf, dass die Öffentlichkeit die Sicherheitsbehörden dabei unterstütze, das Anschlagsrisiko zu senken.
Ghana hat sich an mulitnationalen Militäroperationen beteiligt, bei denen Hunderte mutmaßlicher Terroristen entlang der Grenzen zu Burkina Faso, Togo und der Elfenbeinküste festgenommen wurden. Die Finanzierung solcher Maßnahmen ist für Ghana und seine Nachbarländer eine große Herausforderung.
Die EU startete im Juli 2022 das NORPREVSEC-Programm gegen Gewalt bei Wahlen und um die Nordgrenze gegen Terroristen zu sichern. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Nationalen Kommission für politische Bildung, die Aufklärungsarbeit leisten soll. Unter anderem werden Journalist:innen geschult, um besser über die Bedrohung durch gewalttätige Extremisten berichten zu können. Gleichzeitig sollen die Medien der Radikalisierung der Jugend entgegenwirken. Auch für Lehramts-Studierende gibt es entsprechende Fortbildungsangebote.
Das zweite Element des EU-Projekts zielt auf die Stärkung der Zivilgesellschaft. Federführend ist hier die in der Schweiz ansässige NGO Coginta. Sie versucht, Akteure wie das „House of Chiefs“, ein Zusammenschluss lokaler Führer, im Kampf gegen den gewalttätigen Extremismus fortzubilden und zu stärken. „Im Norden haben wir es mit Konflikten zwischen Häuptlingen, Landbesitzern und Bauern zu tun“, sagt der Coginta-Teamleiter Father Clement Apengnuo. „Es liegt im Interesse der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der EU, Ghana bei der Bewältigung dieses Problems zu helfen.“
Die mit zehn Millionen Euro ausgestattete NORPREVSEC-Initiative sei nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt der ghanaische Sicherheitsanalyst Adib Saani, Direktor des Jatikay Center for Human Security. „Ghana steht am Scheideweg“, so Saani. Das Land sei zum „Puffer zwischen den Terroristen und der freien Welt“ geworden und brauche Unterstützung. Die ghanaische Regierung könne dies nicht allein schaffen und brauche mehr Mittel. Statt staatliche Stellen wie die „enttäuschende“ Bildungskommission NCCE zu finanzieren, sollten die Mittel direkt an Partner aus der Zivilgesellschaft fließen. Zudem müsste mehr in die Verbesserung der Lebensbedingungen und der Rechte von Minderheitengruppen wie den Fulbe investiert werden.
2023 legte die EU nach. Im August wurde bekannt, dass ab Herbst eine „zivil-militärische Mission“ am Golf von Guinea starten soll. Dafür werden Polizisten und Soldaten nach Ghana, Togo, Benin und die Elfenbeinküste geschickt. Unter anderem sollen sie „Einsatzvorbereitungstraining“ für Anti-Terror-Missionen anbieten.
Im Oktober lieferte die EU 105 gepanzerte Fahrzeuge nach Ghana. „Die Sahelzone und der Golf von Guinea werden ebenfalls entscheidend für unsere Zukunft sein,“ sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borell. Ghana sei „bei der Förderung von Demokratie, Frieden und regionaler Stabilität ein wichtiger Partner“. In den folgenden Monaten würden „Aufklärungs- und Überwachungssysteme“, „Systeme für die elektronische Kriegsführung“ sowie Ausrüstung für die Kampfmittelbeseitigung und die Militärtechnik nach Ghana geschickt.
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