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Neujahr ist, wenn die Parteispitze es sagt

Bei ihrem Dreikönigstreffen bemüht sich die FDP, Optimismus in den eigenen Reihen zu verbreiten. Dafür übergeht die Führungsriege einfach die Befragung vom 1. Januar zum Verbleib in der Bundesregierung

Aus Fellbach und Stuttgart Cem-Odos Güler und Adefunmi Olanigan

Der stehende Applaus ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann sicher. „2024 ist nicht das Jahr der Nationalisten, es ist das Jahr der Demokraten“, ruft die FDP-Bundestagsabgeordnete am Samstag unter Jubel in den vollen Saal der Stuttgarter Oper. Strack-Zimmermann, die Verteidigungspolitikerin, versucht mit einer flammenden Rede den Kampfgeist der Liberalen für das anstehende Jahr zu wecken. Die Einfuhr, wie sie die geübte Bütten-Rednerin zielsicher abliefert, kann die FDP durchaus brauchen: Nach den Landtags-Pleiten, dem andauernden Umfragetief und und dem Streit in der Ampel erklärte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai das Dreikönigstreffen zum „Balsam für die Seele“.

Zuletzt wirkte es an der Basis der FDP so, als würde sie nicht mehr so recht weitermachen wollen. Ein unverbindliches Mitgliedervotum hatte der Parteiführung am 1. Januar nur mit einer knappen Mehrheit den Verbleib in der Bundesregierung zugebilligt. 48 Prozent der FDP-Umfrageteilnehmer waren dagegen der Auffassung, dass die liberalen Werte in der Koalition mit SPD und Grünen zu wenig zur Geltung kämen. Mit dem Treffen in der Oper wollten Parteichef Christian Lindner und die gesamte FDP-Ministerriege, die dafür nach Stuttgart einritt, die abtrünnigen Freisinnigen wieder einfangen. Denn für die Partei, die in Umfragen irgendwo zwischen 4 und 7 Prozent liegt, steht viel auf dem Spiel. Nach der Klatsche am 1. Januar soll das Jahr für die FDP noch mal neu beginnen.

„Bundesvorsitzender auf nur einer Arschbacke funktioniert nicht“, sagt Mario Klotzsche, FDP-Kreisvorsitzender aus Fulda. „Pobacke, bitte“, korrigiert ihn Claus-Dieter Schad, der auch in Fulda stellvertretender Kreistagsvorsitzender für die FDP ist. Sie sind am Vorabend des Dreikönigstreffens zum Landesparteitag der baden-württembergischen FDP nach Fellbach gekommen und stehen an einem der Tische in der vollen Schwabenlandhalle in Stuttgarts Nachbargemeinde.

Beide wollen nicht sagen, wie sie bei der Abstimmung zum Verbleib in der Ampel votiert haben, machen aber auch keinen Hehl aus ihrer Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik. „Das war am Ende ein Hilferuf der Basis“ sagt Klotzsche. Was der zum Ausdruck bringen sollte? „Ihr macht das nicht ausreichend gut, um es mal höflich zu formulieren.“

Der Bundesvorsitzende und Finanzminister will die Mitgliederbefragung dagegen nicht zu hoch hängen. Bei seiner Rede am Samstag erwähnt Christian Lindner das Votum nur in einem Nebensatz am Ende seiner fast einstündigen Rede. „Ich nehme jede Kritik von Unterstützern der FDP an“, sagt er. Die Partei könne eben nicht alle ihrer Vorhaben „sofort umsetzen“.

Auch Generalsekretär Djir-Sarai spricht nur indirekt von der Mitgliederbefragung, als er das liberale Mantra von Freiheit und Verantwortung zum Besten gibt. „Wer von Freiheit spricht, aber von Verantwortung nichts hören will, macht einen großen Fehler.“ Die Verantwortung zum parteiinternen Zusammenhalt sieht der Generalsekretär eine Woche nach der Befragung bei den Kritikern der Ampel.

Am Vorabend hatte Klotzsche aus Fulda gegenüber der taz die Befürchtung geäußert, das Ergebnis der Mitgliederbefragung werde an der Parteispitze nicht wirklich gehört. Sein Ortskollege Schad ergänzt: „In der öffentlichen Debatte heißt es immer, über Kernkraft darf man nicht reden, über Sozialleistungen darf man nicht reden.“ Von der FDP würde er sich wünschen, dass sie mehr für die liberale Programmatik einstehe.

Beim Dreikönigstreffen am Samstag fährt die Parteispitze eine klare Werbekampagne für die Arbeit in Berlin. „Was wir in den vergangenen Jahren mit der CDU nicht durchsetzen konnten, setzen wir jetzt mit Kanzler Olaf Scholz um, in der Bundesregierung mit den Grünen und der SPD“, sagt Michael Theurer, Landesvorsitzender der FDP in Baden-Württemberg und Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium. Er rattert runter, wo die Abgaben gesenkt worden seien: bei der Einkommensteuer, beim Grundfreibetrag, dem Kinderfreibetrag, bei der Entfernungskostenpauschale. „Allerdings habe ich das Gefühl, wir müssen, was die Bekanntheit dieser Maßnahmen angeht, noch ein bisschen nacharbeiten“, so der Landesvorsitzende.

Wie bei den anderen Ampel-Parteien sieht auch die FDP den Hauptgrund für die Unbeliebtheit der Bundesregierung in der Kommunikation nach Innen. Dabei strotzt die Spitze der Liberalen vor Selbstbewusstsein angesichts der eigenen Positionierung im Kabinett und der Verhandlungserfolge.

Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionsvorsitzender im Stuttgarter Landtag, ruft am Samstag seiner Parteibasis zu: „Die Bundesregierung ist besser als ihr Ruf und besser als so manche andere Regierung.“ So sei es der FDP gelungen, „dem Gebäudeenergiegesetz die Giftzähne“ zu ziehen.

Das Lob der Ampel-Erfolge hindert Rülke nicht daran, auf Landesebene gegen die Grünen zu wettern, die in Stuttgart in einer Koalition mit der Union regieren. Die „grüne Ideologie“ der „Leistungsferne“ ist Rülke einige Kalauer wert. Bei den kommenden Landtagswahlen sei es an der Zeit, dass nicht nur der grüne Ministerpräsident „Winfried Kretschmann in den Ruhestand tritt, sondern die Grünen in die wohlverdiente Opposition“, ruft der Fraktionsvorsitzende unter großem Jubel in den Saal.

Christian Linder versucht das Bild einer starken FDP in der Bundesregierung zu zeichnen. „Manche träumen von Steuererhöhungen oder dem Aussetzen der Schuldenbremse“, sagt der Finanzminister. Doch beides sei mit der FDP nicht zu machen. Der Vorschlag der Liberalen sei, für eine wachsende Wirtschaft zu sorgen, nur so ließen sich soziale und ökologische Vorhaben nachhaltig gegenfinanzieren. „Mir scheint, SPD und Grünen schwant, dass die ganzen sozialpolitischen und ökologischen Vorhaben im aktuellen Umfeld schwer zu realisieren sind“, so Lindner.

Der Parteichef spricht von Schwarzmalerei im Land und bemüht für seinen Appell um Optimismus ein Zitat eines ideengeschichtlichen Kontrahenten, dem Schrecken des liberalen Bürgertums, Friedrich Nietzsche. Wer zu lange in den Abgrund blicke, in den blicke der Abgrund zurück, paraphrasiert Lindner den Philosophen. „Eine Gesellschaft, die nicht mehr an ihre eigene Zukunft glaubt, verspielt ihre Zukunft selbst“, sagt Parteichef Lindner. Dabei nimmt er auch Bezug auf die protestierenden Bauern, die am Donnerstagabend den Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck bedrängt hatten. „Die gefährliche Situation, in die mein Kollege Robert Habeck gekommen ist, war völlig inakzeptabel.“ Nötigung und Landfriedensbruch seien Fälle für den Staatsanwalt.

„Ich möchte nicht, dass wir nächstes Jahr hier sitzen und die Kacke ist am Dampfen“

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Spitzenkandidatin zur Europawahl

Kurz wird der Parteichef selbst in seiner Rede von Klimaaktivisten gestört, die von den Logenplätzen der Oper mit Plakaten und Sprechchören die Einführung eines Klimagelds fordern, so wie es die Bundesregierung im Koalitionsvertrag zugesichert hat. „Wenn Attac für das Klimageld wirbt, dann ist es das erste Mal, das linke Autonome für das Wahlprogramm der FDP werben“, ruft der Parteichef unter Lachern in Richtung der Aktivisten, bevor Sicherheitskräfte sie aus dem Saal führen. Tatsächlich findet sich im FDP-Wahlprogramm aus dem Jahr 2021 die Einführung einer „Klimadividende“, mit der „die sozialen Kosten des Klimaschutzes abgemildert“, werden sollen. Doch die Bundesregierung zögert die Einführung einer solchen sozialen Klimaschutzumlage hinaus mit Verweis auf bürokratische Hürden bei der Umsetzung.

„Die FDP macht den Unterschied in der Regierung“, sagt Sabine Detscher, FDP-Kreisgeschäftsführerin aus Baden-Baden, an einem der Tische beim Landesparteitag in Fellbach. Sie sei bei der Mitgliederbefragung für einen Verbleib in der Ampel gewesen, sagt sie. Es gebe in der Partei eine gesunde und streitlustige Kultur, deswegen gebe es überhaupt offene Auseinandersetzungen wie das Votum in der FDP. Sie sei zuversichtlich, dass sich die Regierung von nun an zusammenreiße. „Die Regierung macht einen sehr guten Job in diesen schwierigen Zeiten.“

Es ist Strack-Zimmermann, die mit ihrer Rede den Nerv der Partei am Samstag zu treffen scheint. „Ich möchte nicht, dass wir nächstes Jahr hier sitzen und die Kacke ist am Dampfen“, ruft sie in den Opernsaal. Sie bezieht sich auf die anstehende Parteigründung Sahra Wagenknechts, aber auch auf den Rechtsruck im Land. „Die Nationalisten sind toxisch, das ist nicht profan.“ Bei den anstehenden Wahlen würde die AfD antreten, um die EU „von innen kaputt zu machen“.

Nach ihrer Rede entwickelt sich die Politikerin in den prunkvollen Gängen der Oper zur Selfie-Königin. Ihre Ansprache, will sie durchaus als Werbung für die EU-Wahlen im Juni verstanden wissen: „Gehen Sie am 9. Juni wählen“, ruft sie zum Ende ihrer Rede. Der zweite Jahresbeginn ist für die FDP-Spitze der erste Wahlkampfauftakt.

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