Taiwan stimmt ab: Eine Insel mit zwei Wahlen

Die Menschen in Taiwan entscheiden über Präsidentschaft, Parlament und den Umgang mit dem großen Nachbarn China. Fragen und Antworten.

Viele Menschen in einem Saal wedeln mit kleinen bunten Fahnen.

Anhänger von Ko Wen-je, Präsidentschaftskandidat der TPP, während einer Wahlkampfveranstaltung im Dezember 2023 Foto: Ann Wang/reuters

Was steht am 13. Januar in Taiwan zur Wahl?

19 Millionen Wahlberechtigte waren dazu aufgerufen, mittels einer Direktwahl einen Präsidenten und dessen Vize zu küren. Parallel wird auch das 113-köpfige Parlament in einer Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl bestimmt. Dabei geht es auch um das Verhältnis zur Volksrepublik China. Die beansprucht Taiwan gemäß seiner Ein-China-Politik für sich. Nach der Schließung der Wahllokale begann unter den Augen der Öffentlichkeit ab 16 Uhr Ortszeit (9 Uhr Mitteleuropäische Zeit) die Auszählung der Stimmen.

Worum geht es im Konflikt zwischen China und Taiwan?

Taiwan heißt offiziell „Republik China“. Diese wurde 1911 auf dem Festland gegründet und bestand dort bis zum Sieg der kommunistischen Revolution 1949. Dann rief Mao Tsetung die Volksrepublik aus, während der bisherige Machthaber Chiang Kai-shek von der Nationalen Volkspartei KMT mit Getreuen nach Taiwan floh, das bis 1945 Kolonie Japans war. Fortan strebten beide Chinas die Wiedervereinigung an, unter ihrem jeweiligen System. Doch wandelte sich Taiwan ab den 1980er Jahre zur Demokratie und ließ nach und nach den Anspruch auf die Volks­republik fallen.

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Für Chinas Kommunistische Partei gehört die Vereinigung mit Taiwan hingegen zum nationalistischen Credo, mit dem sich Xi Jinping zunehmend selbst unter Zugzwang setzt. In seiner Neujahrsansprache nannte er die Vereinigung „historisch unvermeidlich“. Peking bietet Taiwan das Modell „ein Land, zwei Systeme“ an, das aber schon in Hongkong gescheitert ist und in Taiwan stets abgelehnt wurde. Doch Peking behält sich auch eine Vereinigung mit Gewalt vor.

Zudem ist Taiwan eine ideologische Herausforderung für Xi: Es zeigt, dass Demokratie und chinesische Kultur sehr gut zusammenpassen.

Wie positionieren sich Taiwans drei Präsidentschaftskandidaten zu dem Konflikt?

Alle drei sprechen sich für den Status quo aus und dafür, dass über Taiwan nur seine Bürger entscheiden sollen. Der derzeitige Vizepräsident Lai Ching-te von der liberalen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) führt in Umfragen. Er sprach sich früher für die Unabhängigkeit aus, ist aber auf den pragmatischen Kurs der scheidenden Präsidentin Tsai Ing-wen (DPP) eingeschwenkt, die nicht mehr kandidieren darf. Beide halten eine Unabhängigkeitserklärung (für Peking ein Kriegsgrund) für unnötig – de facto agiere Taiwan doch längst unabhängig. Peking sieht in Tsai und Lai gefährliche Separatisten, weshalb es deren Dialogangebote ablehnt. Pekings rote Linie ist ein angeblich mit der KMT vereinbarter „Konsens von 1992“. Demnach gäbe es nur ein China, auch wenn beide Seiten sich un­einig seien, was das sei. Ein Bekenntnis dazu ist Pekings Vorbedingung für Dialog.

Peking ist offen für Hou Yu-ih, den Kandidaten der konservativen Partei KMT. Die schließt eine Vereinigung nicht aus und lehnt eine formale Unabhängigkeit Taiwans ab. Hou wirft Lai vor, Krieg zu provozieren. Umgekehrt wirft Lai Hou einen Ausverkauf an Peking vor.

Ko Wen-je von der Taiwan People’s Party (TPP) präsentiert sich als unverbrauchte Kraft zwischen KMT und DPP. Er mobilisiert viele junge Menschen, die zuvor zur DPP tendierten, aber ihr hohe Preis- und Mietsteigerungen vorwerfen. In Bezug auf China gibt Ko sich als Pragmatiker, wobei unklar bleibt, was das konkret heißen soll.

Was ist bei den Parlamentswahlen zu erwarten?

Weil bei der Präsidentschaftswahl die einfache Mehrheit zum Sieg reicht und sich die KMT mit der TPP nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten, sind ihre getrennten Chancen jetzt gering. Während hier also ein Sieg des Peking-kritischen DPP-Kandidaten Lai vorhergesagt wird, könnte seine Partei die bisherige Mehrheit im Parlament verlieren. Ohne diese Mehrheit dürfte es Lai schwerer fallen, Gesetze durchzubringen. Deshalb könnte die politische Instabilität zunehmen und China noch mehr Chancen haben, Politik und Gesellschaft in Taiwan zu beeinflussen.

Wie versucht Peking Taiwans Wahlen zu beeinflussen?

China unterstreicht seine Drohungen einer Zwangsvereinigung mit fast täglichen Luftraumverletzungen, Militärmanövern, Raketentests und Blockadeübungen. Das lässt manche Taiwaner trotz Herausbildung einer eigenen Identität zögern, die DPP zu wählen – andere reagieren wiederum trotzig. Viele sehen aber eine eigentlich gewünschte Unabhängigkeit als zu großes Risiko an. Da China Taiwans größter Handelspartner ist, hat Peking viele taiwanische Geschäftsleute auf seiner Seite und mittels Handels- und Reisemöglichkeiten auch Hebel, um Taiwan zu beeinflussen. China versucht zudem durch Cyberattacken und Fake News in Taiwan für Verunsicherung zu sorgen.

Wie gehen die Menschen in Taiwan mit Chinas Drohungen und Manipulationen um?

Sie haben sich an die Drohungen gewöhnt und versuchen, sich nicht beeinflussen zu lassen. Trotzdem hat China Einfluss und löst Ängste aus. Taiwan rüstet auf und hat gerade erst die obligatorische Wehrdienstzeit verlängert. Pekings Drohungen wirken sich aber nicht immer in seinem Sinne aus, sondern erzielen manchmal gegenteilige Effekte. So haben 1996 Raketentests der Volksrepublik in der Straße von Taiwan im Vorfeld von Wahlen nicht nur zur Entsendung eines US-amerikanischen Flugzeugträgers geführt, sondern auch dem Peking-kritischen Kandidaten einen Schub gebracht. Seit einigen Jahren wirft China, das Taiwan fast täglich bedroht, DPP-Kandidaten vor, ihrerseits künstlich Spannungen und Ängste zu produzieren, um davon bei Wahlen zu profitieren.

Das kleine Taiwan ist fern. Warum können Wahlen dort auch uns betreffen?

Taiwan gilt als größter potenzieller Konfliktherd zwischen China und den USA. Washington verpflichtet sich zum Schutz des nur noch von 12 Staaten anerkannten Taiwan. Das kann bloße Waffenhilfe bedeuten, aber auch eine Militärintervention. Joe Biden neigt zum Letzten, Donald Trump zum Ersten. Diese „strategische Ambiguität“ soll für Peking das Risiko eines Angriffs auf Taiwan unkalkulierbar machen und dort zugleich verhindern, dass der US-amerikanische Schutz als Blankoscheck für die Unabhängigkeit dient.

Die USA und die EU-Staaten erkennen Taiwan nicht als unabhängig an, sondern favorisieren den Status quo und lehnen Gewalt ab. Da Taiwan fast ein Monopol auf modernste Halbleiter hat und durch die Taiwan-Straße ein Großteil des Welthandels erfolgt, hätte ein Krieg dort globale Folgen. Ein Angriff Pekings dürfte zu westlichen Sanktionen führen und die vom Handel mit China abhängige deutsche Wirtschaft stärker treffen als Putins Krieg in der Ukraine.

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