Hussam Al Zaher Hamburger, aber halal: Ob ich wohl „deutsch genug“ bin?

Die deutsche Leitkultur, wie sie CDU-Chef Friedrich Merz vorschwebt, braucht niemand. Was wir brauchen, ist lebendige und lernende Kultur für alle.

Friedrich Merz, der CDU Bundesvorsitzende, spricht beim Landesparteitag der CDU Baden-Württemberg.

Friedrich Merz nutzt Weihnachten für eine Deutsche-Leitkultur-Gerede und bringt unseren Kolumnisten damit ins Grübeln Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Friedrich Merz, Oppositionsführer und CDU-Chef im Bundestag, hat kurz vor Weihnachten eine große Diskussion entfacht, als er versuchte, die deutsche Leitkultur mit dem Kauf von Weihnachtsbäumen zu verbinden. In einem Interview sagte er, „wenn wir von Leitkultur sprechen, von unserer Art zu leben, dann gehört für mich dazu, vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen“. Ich frage mich, was das im Umkehrschluss bedeutet? Wer keinen Baum hat, der lebt nicht deutsch (genug)?

Viele haben seitdem diesen Satz von Merz kritisiert, analysiert und kommentiert – auch die taz. Mir fällt dazu auch noch was ein. Viele von uns Migran­t*in­nen unterschiedlichen Glaubens kaufen nicht nur einen Weihnachtsbaum, sondern viele von uns verkaufen diese Bäume oder sorgen als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft dafür, dass es überhaupt genug Bäume für die deutsche Leitkultur gibt.

Ich glaube, mich beschäftigt dieses Thema besonders, weil ich im vergangenen Herbst einen deutschen Pass beantragt habe. Seitdem frage ich mich, was es bedeutet, deutsch zu sein oder zu werden. Ich frage mich, was sich für mich verändert, wenn ich die deutsche Staatsbürgerschaft bekomme.

Ich habe den deutschen Pass nicht nur beantragt, weil ich das Land seit drei Jahren nicht verlassen darf und nicht nur, weil Deutschland und ich so verliebt ineinander sind. Ich habe ihn auch beantragt, weil ich keinen gültigen Nationalpass habe und daher nicht reisen darf.

Ich habe den deutschen Pass beantragt, weil ich seit vier Jahren Steuern zahle und auch das Recht in Anspruch nehmen will, zu wählen und mitzubestimmen, welche Politik umgesetzt wird.

Ich habe den deutschen Pass beantragt, weil ich seit mehr als acht Jahren hier lebe, eine neue Familie, Freunde und Arbeit gefunden habe und mich dafür interessiere, was hier passiert. Ich habe den deutschen Pass auch beantragt, weil ich vielleicht endlich voll und ganz zu Deutschland dazugehören möchte.

Bei Leitkulturdebatte den Überblick verloren

Aber kann ich der deutschen Leitkultur folgen? Hat sich eigentlich jemand nach 20 Jahren Diskussion mal entschieden, was genau deutsche Leitkultur ist? Ich habe den Überblick verloren. Ich begrüße die Leute mit „Salam“, reiche meine Hand und manchmal gibt es auch einen Kuss. Ich sage „Bitte“ und „Danke“ und finde den Tannenbaum meiner deutschen Schwiegermutter sehr schön. Aber ich möchte nicht, so wie es die Bild-Zeitung vorschlägt, jemandem sagen müssen, was er oder sie zum schwimmen anziehen muss oder Karikaturen meines Propheten lustig finden müssen.

Ich begrüße die Leute mit „Salam“, reiche meine Hand, sage „Bitte“ und „Danke“ und finde den Tannenbaum meiner deutschen Schwiegermutter sehr schön

Ist es möglich, dass eine Leitkultur, wenn wir denn überhaupt eine brauchen, nicht ein Manifest ist, dass nur die Mi­gran­t*in­nen unterschreiben müssen, sondern eine lebendige, flexible und wachsende und lernende Kultur?

Als ich die Aussage von Friedrich Merz gelesen habe und dann noch einige Kommentar dazu, wurde ich mal wieder mal unsicher, ob ich überhaupt „deutsch genug“ bin für den deutschen Pass. Diese CDU-Leitkulturtheorie lässt mich zweifeln.

Schlechtes Wetter und gute Frankbrötchen

Aber dann erinnere ich mich daran, dass ich schon Hamburger bin. Hamburger, aber halal! Irgendwie finde ich es als Migrant leichter, mich einer Stadt zugehörig zu fühlen statt gleich einem ganzem Land. Ich hoffe, dass es in Hamburg keine spezielle Hamburger Leitkultur gibt, die ich in den vergangenen Jahren verpasst habe. Ich esse gerne Fisch und spreche direkt, bewerte immer das schlechte Wetter und lobe die Franzbrötchen.

Was noch offen ist, ist die Frage, inwieweit dieses Gefühl der Zugehörigkeit zu Hamburg es mir leichter macht, mich als Deutscher zu fühlen und es Deutschland leichter macht, mich zu akzeptieren. Das wird sich zeigen.

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