Last-Christmas-Geschenk: Musikalische Offenbarung auf Vinyl
Letztes Weihnachten sorgt eine geschenkte Platte von King Gizzard & The Lizard Wizard für wahre Begeisterung. Und eine Reise nach Luxemburg.
W eihnachtsgeschenke sind oft schnell vergessen. Leider. Sie landen im Regal, im Schrank, auf der Haut, im Magen – oder gleich im Mülleimer, wenn es dumm läuft. Letztes Weihnachten aber, ta-ta-ta!, hat mein jüngerer Sohn einen Volltreffer gelandet: in Form einer schwarzen Scheibe, die er mir schenkte. Echtes Vinyl, das gefiel mir. Beim Cover musste ich aber länger suchen, bis ich den Plattentitel „Polygondwanaland“ fand. Und der Name der Band sagte mir gar nichts: King Gizzard & The Lizard Wizard.
Ich fand ihn jedoch so witzig, dass ich zum Plattenspieler ging, um zu erfahren, wie das Werk von „König Gizzard und dem Echsenzauberer“ klingt. Das erste Stück begann so leise, dass ich lauter drehte – so drang der psychedelische Gitarrensound in griffiger Halbtonmelodik ungebremst in meine Gehörgänge. Gebannt lauschte ich dem zehnminütigen Klanggewitter über ein zerbröckelndes Schloss. Was für melodische Spannungsbögen, welch rhythmische Wechselspiele, was für dynamische Feinheiten, welch grandioses Powerplay.
Ich war geplättet. Ich hörte „Crumbling Castle“ sofort noch mal, danach die anderen neun Stücke. Mag es mit Blick auf Heiligabend leicht blasphemisch klingen: Die Platte hatte etwas von einer Offenbarung. Die Wirkung erinnerte mich an Prince und „Signs o’ the Times“, an „Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd oder „Remain in Light“ von Talking Heads. Epochale Meisterwerke der Vergangenheit. O, du Fröhliche: So frisch, forsch, vielschichtig, flippig, formvollendet, ja, unfassbar gut.
In den Tagen danach drehte sich die Platte nonstop auf meinem Plattenteller. Ohne Abnutzungseffekte, mit Appetit auf mehr. Im Internet erfuhr ich über die Band aus Melbourne, dass sich 2010 sieben junge Männer zu Sessions trafen und sich für den ersten Auftritt auf den ellenlangen Namen einigten, den Fans mit KGLW abkürzen. Zwischen 2012 und Ende 2022 sind 23 Studioalben erschienen, fünf allein in den Jahren 2017 und 2022. Verrückt.
Das grenzt an Zauberei
„Polygondgwanaland“ wurde im November 2017 veröffentlicht. Schleierhaft, warum es die Platte in keine Charts geschafft hat. Die Songs der extrem experimentierfreudigen Band, bei denen oft vier Gitarristen gleichzeitig am Werk sind, grenzen an Zauberei. Unberechenbar zwischen Rock, Metal, Jazz, Blues, Soul, Folk, Minimal, HipHop mäandernd. Mir war klar: Das muss ich live erleben!
Die Gelegenheit bot sich im August, doch die Konzerte in München und Köln waren bereits ausverkauft. Für den 16. August im Den Atelier in Luxemburg gab es aber noch Tickets – für 44,15 Euro. Ich schlug zu, mietete mich für eine Nacht im Hotel Le Chatelet ein und buchte ein Zugticket.
Früh um 7.33 Uhr ging die siebenstündige Reise mit Rucksack und Faltrad in Nürnberg los. Bei einer Joggingrunde am Nachmittag sah ich den Bandbus vor dem Musikclub parken, der zuvor eine Renault-Werkstatt war. Die Vorfreude wuchs, ich fühlte mich wie mit 15 vor meinem ersten großen Livekonzert, damals von Santana.
Dreimal durchgeschwitzt
Als gegen 21 Uhr das Saallicht ausgeht, schüttelt Lockenkopf Stu Mackenzie, Jahrgang 1990, in kurzer Latzhose ein paar Jazzakkorde aus der Gitarre, gefolgt von den Worten: „Let’s get sweaty!“, was nicht zu viel versprochen war. Dreimal durchgeschwitzt war ich am Ende, zudem geschüttelt, hochgepusht und mitgerissen von einer Band, die jeden Abend ihr Programmzauber neu mixt. Kein Song an dem Abend von „Polygondwanaland“, das heftige Wechselbad mündet in einem hochenergetischen Trash-Finale, flankiert von gleißenden Lichtstrahlen.
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Ich schwebte auf Wolke sieben. Schaute mir am nächsten Tag noch moderne Museumskunst an und machte mich nachmittags mit der Bahn auf den Heimweg. Bei der Ankunft in Nürnberg gegen 23 Uhr wurde mir bewusst, dass ich dank der Konzertreise von einem Unwetter mit Überschwemmungen und Stromausfall verschont geblieben war.
Mit dem Sound von King Gizzard im Ohr radelte ich gegen Mitternacht nach Hause. Wie gut, dass es Weihnachtsgeschenke gibt – wie Last Christmas.
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