Leiterin von Miss-Nicaragua-Wettbewerb: Des Hochverrats beschuldigt
Das Regime freute sich nur kurz über die Wahl einer Nicaraguanerin zur Miss Universe. Nun wird gegen die Chefin der Nationalsektion des Beauty-Contests ermittelt.
Die Polizei bezog sich damit auf die damaligen Proteste gegen Staatschef Daniel Ortega, die von den Sicherheitskräften gewaltsam niedergeschlagen worden waren.
Die Wahl der 23-jährigen Sheynnis Palacios zur Miss Universe war in Nicaragua von Menschenmengen auf den Straßen gefeiert worden. Es waren die größten öffentlichen Versammlungen in dem Land, seit die Behörden vor fünf Jahren alle Demonstrationen der Opposition verboten hatten. Zunächst hatte die Regierung des Landes sogar noch an einen PR-Sieg geglaubt; Daniel Ortega zeigte sich in einer Mitteilung stolz und hocherfreut über die Auszeichnung für die junge Kommunikationswissenschaftlerin.
Schnell war es jedoch vorbei mit der guten Stimmung in den Reihen der Regierung. Die Menschen, die Palacios' Miss-Universe-Kür bejubelten, trugen nämlich die blau-weißen Nationalflaggen bei sich und nicht die rot-schwarzen Banner von Ortegas Sandinisten. An der Staatsspitze kam das gar nicht gut an. Schließlich wurde bekannt, dass Palacios ihren Abschluss an einer Universität machte, die 2018 im Zentrum der Proteste gegen die Regierung stand. Und dass Palacios damals sogar an den Demonstrationen teilgenommen hatte.
Umso begeisterter zeigte sich die Opposition vom Sieg Palacios', die 2018 bei Facebook auch Fotos von sich bei den Protesten gepostet hatte. Auf einem inzwischen gelöschten Facebook-Account unter ihrem Namen schrieb sie unter diesen Fotos, sie habe zunächst Angst gehabt, daran teilzunehmen. „Ich wusste nicht, ob ich hingehen sollte, ich hatte Angst davor, was passieren könnte.“
Mann und Sohn von Wettbewerbsdirektorin festgenommen
Der katholische Pfarrer Silvio Báez, einer von Dutzenden Priestern, die von der Regierung inhaftiert oder ins Exil gezwungen wurden, gratulierte Palacios in den sozialen Medien. „Danke, dass du unserem leidgeprüften Land Freude bringst“, schrieb Báez. „Danke, dass du uns Hoffnung auf eine bessere Zukunft für unser schönes Land gibst!“
Mit hölzernen Worten, die an die Rhetorik der Machthaber in Nordkorea erinnerten, wetterte Vizepräsidentin und First Lady Rosario Murillo am Mittwoch gegen Mitteilungen in den sozialen Medien, die Palacios' Auszeichnung als einen Sieg der Opposition feierten. „In diesen Tagen des neuen Sieges sehen wir, wie böse, terroristische Kommentatoren einen ungeschickten und beleidigenden Versuch unternehmen, einen schönen und wohlverdienten Moment des Stolzes in destruktive Putschabsichten zu verwandeln“, sagte Murillo.
Die Polizei erklärte nun, Miss-Nicaragua-Direktorin Celebertti sowie ihr Mann und Sohn hätten seit 2018 in Verbindung zu „Exponenten des Verrats am Vaterland“ gestanden. Sie hätten die Plattformen des Schönheitswettbewerbs für „politische Hinterhalte“ nutzen wollen, „die von ausländischen Agenten finanziert werden“.
Laut nicaraguanischen Medienberichten wurden Celeberttis Mann und Sohn festgenommen. Über den Aufenthaltsort der Miss-Nicaragua-Chefin herrschte Unklarheit. Die im Exil in Spanien lebende nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli hatte vor einer Woche mitgeteilt, die nicaraguanischen Behörden hätten Celebertti die Wiedereinreise in ihr Heimatland untersagt. Das Miss-Universe-Finale hatte im zentralamerikanischen El Salvador stattgefunden.
Die Regierung ging 2018 gewaltsam gegen Massenproteste vor. Nach UN-Angaben waren dabei mehr als 300 Menschen getötet worden. Mehr als 200 Menschen landeten damals im Gefängnis. Ortega bezeichnete die Demonstrationen als Putschversuche, die vom Ausland unterstützt würden. Ortegas Regierung schloss die Jesuitenuniversität von Zentralamerika in Nicaragua, die 2018 ein Zentrum der Proteste gegen sie bildete, zusammen mit mindestens 26 anderen nicaraguanischen Universitäten. Die Regierung verbot oder schloss außerdem mehr als 3000 zivilgesellschaftliche Gruppen und Nichtregierungsorganisationen, ließ Oppositionelle ausweisen, entzog ihnen die Staatsbürgerschaft und beschlagnahmte ihr Vermögen.
Der frühere Guerillero Ortega ist seit 2007 ununterbrochen im Amt. Kritiker werfen ihm vor, im Laufe der Jahre einen zunehmend repressiven Regierungsstil entwickelt zu haben. Zuvor hatte Ortega bereits zwischen 1979 und 1990 regiert, nachdem die von ihm angeführte, linksgerichtete Sandinisten-Guerilla den Diktator Anastasio Somoza gestürzt hatte.
Palacios, die als erste Nicaraguanerin zur Miss Universe gekürt wurde, hat sich zuletzt nicht zu ihrer politischen Haltung geäußert. Während des Wettbewerbs sagte die 23-Jährige, sie wolle sich für die Förderung der mentalen Gesundheit einsetzen, weil sie selbst unter Angstzuständen gelitten habe. Zudem müssten Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern verringert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod