Milizen in der DR Kongo: Für Staatschef und Vaterland

„Wazalendo“, also Patrioten, nennen sich Milizen in Kongo. Sie jagen Tutsi und sollen Präsident Tshisekedis Wahlsieg sichern.

Eine jubelnde Menschenmenge

Tshisekedi-Anhänger bei seiner Abschlussveranstaltung im Wahlkampf, Kinshasa 18. Dezember Foto: Zohra Bensemra/reuters

KAMPALA/GOMA taz | Von Weitem sehen sie aus wie Soldaten. Sie hocken zu fünft hoch oben auf einem Hügel, in Uniform, Sturmgewehre im Anschlag. Tief unten vor ihnen liegt die kongolesische Millionenstadt Goma am Ufer des Kivu-Sees. Nach rechts geht der Blick in die Berge der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu, wo sich seit Jahrzehnten Milizen tummeln. Nach links können sie hinüber nach Ruanda blicken, die Grenze ist nur wenige Kilometer entfernt.

Zwischen Hügel und Grenze verläuft die Frontlinie im Krieg zwischen Kongos Armee und der Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März), die laut UN von Ruanda unterstützt wird.

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Die fünf jungen Männer sind keine Soldaten, sondern „Wazalendo“ (Patrioten). Das sind paramilitärische Gruppen, die den Streitkräften gegen die M23 helfen sollen. Milizen, die sich meist entlang ethnischer Linie bilden, verteidigen seit dreißig Jahren in den Bergen und Wäldern Ostkongos, wo kaum staatliche Strukturen hinreichen, ihre Dörfer und bekämpfen sich untereinander.

Jetzt werden diese Milizen, die zum Teil grausamer Verbrechen schuldig sind, von allerhöchster Stelle eingespannt. Sie sollen Präsident Félix Tshi­sekedi den Sieg bringen – auf dem Schlachtfeld gegen die M23, und an der Wahlurne am 20. Dezember, wenn die 100 Millionen Kongolesen einen neuen Präsidenten wählen.

„Verräter“ finden

In einer feurigen Rede in Kongos Hauptstadt Kinshasa hatte Tshisekedi im November 2022, als die M23-Rebellen aus den Bergen auf Goma vorrückten, „alle Jugendlichen des Landes“ aufgerufen, „Wachsamkeitsgruppen zu organisieren, mit dem Ziel, unsere Verteidigungs- und Sicherheitskräfte zu unterstützen“. Sie sollten sämtliche „Verräter“ ausfindig machen, die für den Feind arbeiten.

44 Millionen Wahlberechtigte Am 20. Dezember wählt die Demokratische Republik Kongo einen neuen Präsidenten und neue Parlamente. Bei rund 100 Millionen Einwohnern gibt es 43.941.891 Wahlberechtigte. Präsident Félix Tshisekedi bewirbt sich um die Wiederwahl.

Spannungen mit Ruanda Am Montag schlug Präsident Tshisekedi scharfe Töne gegen das Nachbarland Ruanda an, das der Unterstützung der kongolesischen M23-Rebellen bezichtigt wird. Bei weiteren Kämpfen werde er das Parlament um eine Ermächtigung zur Kriegserklärung bitten und man könne bis Ruandas Hauptstadt Kigali gehen, sagte er auf einer Kundgebung in Kinshasa. Ruandas Präsident Paul Kagame „muss gehen“, fügte er in einem Interview hinzu: „Solange das Kagame-Regime da ist, existiert Ruanda für uns nicht.“

Im Mai 2023 entsandte der Präsident seine höchsten Generäle in den Dschungel, um eine Koalition aller bewaffneten Gruppen zu formieren, die Schulter an Schulter mit der Armee kämpfen sollen: die Wazalendo.

So hocken nun diese Milizionäre nahe Goma schwer bewaffnet an vorderster Front. Von der Armeeführung haben sie alte Uniformen, Waffen und Munition erhalten. „Wir bekommen auch Lebensmittelrationen wie Reis, Salz, Bohnen und Mais“, erklärt einer von ihnen der taz. Offiziell ist er Sprecher einer lokalen ethnischen Miliz, die eine wichtige Straßenverbindung kon­trolliert. Jetzt genießt seine Truppe den Segen des Präsidenten.

Der Milizensprecher bestätigt: Um Geld einzunehmen, errichten seine Kämpfer Straßensperren. Zum Leid der Bauern und Händler erheben sie Steuern für jeden Sack Kartoffeln, jede Ziege, jeden Passanten. Die Lebensmittelpreise im eingekesselten Goma sind in den vergangenen Monaten deswegen extrem gestiegen.

Seit einigen Wochen ziehen Wazalendo mit einer weiteren Mission von Haus zu Haus: „Wir haben eine Nachricht aus Kinshasa erhalten, jeweils ein Bataillon zu organisieren, das die Wahlen schützen soll“, erklärt der Milizionär. Und auch der offizielle Wazalendo-Sprecher, Jules Mulumba, versichert in Fernseh- und Radiointerviews landesweit: „Wir empfehlen jedem kongolesischen Muzalendo, den Kandidaten Nummer 20 zu wählen, also Félix Antoine Tshisekedi.“

Nicht nur an der Front gegen die von Tutsi-Generälen geführte M23 gibt es diese Milizen, sondern überall im Land schießen Wazalendo-Gruppen wie Pilze aus dem Boden. In den Armenvierteln der Städte nennen sich jetzt Jugendbanden Wazalendo, die früher ganz anders hießen.

In Goma ziehen sie nachts in Uniformen und mit Macheten durch die düsteren Gassen, berichten Einwohner. Ihre erklärter Feind ist das Nachbarland Ruanda, das laut UN die M23 unterstützt, sowie die kongolesischen Tutsi, die als fünfte Kolonne Ruandas gelten und daher als „Verräter“.

Die Tutsi in Goma fühlen sich den Wazalendo hilflos ausgeliefert. „Sie kamen in unser Haus und haben einfach mitgenommen, was sie wollten, den Fernseher, die Möbel“, berichtet eine Tutsi-Familie aus Goma der taz am Telefon. Sie erstellen angeblich Listen, in welchem Haus wie viele Tutsi leben, ähnlich wie es die Hutu-Milizen in Ruanda vor dem Völkermord an den Tutsi 1994 taten.

„Polizei und Militär können ihnen nichts entgegensetzen, im Gegenteil, sie sind unkontrollierbar“, sagt der Analyst Onesphore Sematumba von der International Crisis Group in Goma: „Es herrscht das totale Chaos.“

Kontrolle über die Straße

Dieses Chaos wurde im August sichtbar, als Soldaten der Präsidentengarde in Goma auf Mitglieder einer religiösen Sekte schossen, die sich ebenfalls Wazalendo nannten. In einem regelrechten Massaker wurden über 40 Menschen getötet, darunter ein Kleinkind. Der Kommandant der Einheit rechtfertigte das mit der Behauptung, ruandische Spione hätten die Wazalendo infiltriert.

Analysten sehen darin eher einen brutalen Versuch der Armeeführung, die Kontrolle über die Straße zurückzugewinnen. Seit diesem Vorfall nennen sich die staatstreuen Wazalendo in internen Dokumenten, die der taz vorliegen, gerne Wazalendo-VDP (Freiwillige zur Verteidigung des Vaterlandes).

Selbst aus Kinshasa berichten Einwohner der taz, dass dort Wazalendo die Viertel unsicher machen. Laut deren Aussagen hat Tshisekedis Partei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) Uniformen und Macheten an ihre militanten Jugendorganisationen ausgegeben, und auch sie nennen sich jetzt Wazalendo.

„Als Tutsi kann ich nachts nicht auf die Straße gehen“, berichtet einer am Telefon. „Sie tun jetzt so, als agieren sie im Auftrag des Präsidenten.“

Als oberster Scharfmacher gilt Muhindo Nzangi, Kongos Minister für höhere Bildung. Der aus Nord-Kivu stammende Anführer einer Kleinpartei namens Freiwillige Aktion für patriotische Wachablösung, der von vielen mittlerweile als der „Große Muzalendo“ betitelt wird, führt aktuell nicht nur Wahlkampf. Er zieht durch das ganze Land und verordnet an sämtlichen Universitäten den Studenten ein vierwöchiges Militärtraining.

In hitzigen Reden ermutigt er die Jugend, Kongo gegen „ausländische Aggressoren, die uns kolonisieren wollen“ zu verteidigen.

Landesweit wurden Re­krutierungszentren eingerichtet. „Heute schreiben Sie Geschichte“, lobte er vergangene Woche im Militärtrainingscamp in Kisangani die 500 Absolventen nach der bestandenen Grundausbildung: „Sie sind die ersten freiwilligen Studenten des Landes, die als Soldaten ausgebildet wurden.“ Auch sie dürfen sich nun Wazalendo nennen.

Ideologie des Völkermords

„Die Wazalendo sind nun Tshisekedis private Armee“, fasst Elizier Ushindi Mwendapeke zusammen. Der junge Kongolese war bis vor Kurzem Aktivist der Jugendorganisation „La Lucha“, eine der anerkanntesten zivilgesellschaftlichen Gruppen Ostkongos.

Einst führte sie gewaltfreien Widerstand gegen staatliche Willkür. Heute nennen Lucha-Mitglieder die Wazalendo „unsere Brüder“ und predigen den bewaffneten Kampf. Viele seien jetzt Wazalen­do, berichtet Mwendapeke der taz.

Mwendapeke, der mittlerweile im Exil außerhalb Afrikas lebt, betreibt online die Plattform „Maisha“, die die Ideologie der Wazalendo analysiert. Er schlägt Alarm über deren Nähe zur Völkermord-Ideologie, die 1994 das organisierte Abschlachten der Tutsi in Ruanda begründete. In der Führung der im Ostkongo aktiven ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) tummeln sich zahlreiche geflohene Verantwortliche dieses Völkermords.

Zahlreiche ostkongolesische Milizen machen nicht nur Geschäfte mit der FDLR, sondern folgen auch deren Ideologie, alle Tutsi als zu bekämpfende „Fremde“ oder „Eindringlinge“ zu betrachten. Nun agieren sie als Wazalendo. Seit Kongos Präsident die Wazalendo in den Dienst des Staates gestellt hat, sei diese Völkermordideologie quasi „offizielle Staatspolitik“, so Mwendapeke.

In sozialen Medien und Wahlkampfveranstaltungen werde gegen die Tutsi-Minderheit im Land gehetzt, berichtet er. Zahlreiche Musiker hätten sich den Wazalendo angeschlossen: „In einigen Texten werden Tutsi als Hundesöhne oder Kakerlaken bezeichnet, ganz wie vor dem Völkermord in Ruanda“, mahnt er an. „Selbst Kleinkinder singen diese Songs nun beim Spielen auf der Straße.“ Gegen Tutsi zu sein, sei im Kongo derzeit ein Symbol des Patriotismus: „Das ist der gemeinsame Nenner, der alle Wazalendo vereint.“

Immerhin, in seinen Reden hat Präsident Tshisekedi die Wazalendo gewarnt, keinen Hass zu verbreiten oder Verbrechen zu begehen. Dennoch häufen sich in jüngster Zeit brutale Übergriffe. Im Oktober wurde ein Tutsi-Offizier der Armee gelyncht.

Es wirkt, als ob die Regierung keine Kontrolle über die Geister hat, die sie selbst herbeirief. Und es mehren sich Streitereien zwischen unterschiedlichen Gruppen, die als Wazalendo beziehungsweise VDP firmieren.

Reservearmee neben der Armee

Im Vorfeld der Wahl versuchte der Staat nun, den Wazalendo eine Struktur zu verpassen. Armeegeneräle wurden entsandt, um die Kämpfer in die Armeestrukturen einzubinden. Seit Langem ist vorgesehen, eine Reservistenarmee aufzubauen, um Invaliden und pensionierte Soldaten zu organisieren. Jetzt soll diese Reservestruktur auch die Wazalendo umfassen.

Damit schlägt Tshisekedi gleich zwei Fliegen mit einer Klappe, denn über die Armee hat er in den vergangenen Jahren nie endgültig die Kontrolle gewinnen können. Jetzt nutzt er die Wazalen­do, um einige einflussreiche Generäle kalt zu stellen, die unter seinem Vorgänger Joseph Kabila zu den mächtigsten Männern des Landes zählten und sich dem Nachfolger nie gefügt haben.

Als neuer „Oberkommandierender der Reserve“ wurde vergangene Woche General David Padiri ernannt, vor zwei Jahrzehnten selbst ein großer Milizenführer im Osten. Als Kongos Kriege damals zu Ende gingen, wurde er von Kabila kaltgestellt. Jetzt soll er für Tshisekedi die Wazalendo anführen.

Ob die jungen Kämpfer auf dem Hügel über Goma sich dem alten General unterordnen? Zwei Tage vor den Wahlen rief Padiri die Milizen im Osten zu einem Treffen im Dschungel zusammen. Laut dem Einladungsschreiben, das der taz vorliegt, sollte es bei dem Treffen im Ort Pinga unter anderem um die „Absicherung der Wahlen in den von den VDP kontrollierten Gebieten“ gehen. Doch dazu kam es nicht: Der Armeehubschrauber, der General Padiri in den Dschungel fliegen sollte, war kaputt.

Diese Recherche wurde gemeinsam mit kongolesischen Journalisten realisiert, die ungenannt bleiben wollen.

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