Nach drei Jahren Militärregierung: In Mali ist nicht alles schlecht
Im Ausland werden vor allem die Defizite der Regierung hervorgehoben. Vor Ort betonen Menschen dagegen die Erfolge – trotz harter Lebensumstände.
In Gesprächen in Malis Hauptstadt Bamako ist allenthalben von Erfolgen die Rede: Angefangen bei der verschärften Korruptionsbekämpfung über staatliche Subventionen für bäuerliche Haushalte bis hin zur Wiederöffnung mehrerer Fabriken, die im Zuge der verschuldungsbedingten Strukturanpassungsprogramme in den 1990er und 2000er Jahren geschlossen worden waren.
Wenn es um Mali geht, wo seit 2020 das Militär regiert, werden international vor allem Probleme thematisiert – die Sicherheitslage werde immer schwieriger, demokratische Rechte erodierten, die einst für Februar 2024 vereinbarten Wahlen seien auf unbestimmte Zeit verschoben. Aber das jüngste Mali-Métre – eine jährlich stattfindende Meinungsumfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung – ergab Anfang des Jahres 95 Prozent Zufriedenheit mit der Übergangsregierung unter Oberst Assimi Goïta. Und Gespräche in Bamako bestätigen dieses Bild.
Etwa, wenn es um die im Juni per Referendum angenommene neue Verfassung geht. Mit großer Verve erläutert Soziologieprofessor Bréma Ely Dicko, was für Verbesserungen sie darstellt, anders als im Ausland kolportiert: Nicht der Präsident werde gestärkt, sondern die Rechte lokaler Amtsträger:innen und traditioneller Autoritäten wie Imame, Dorfchefs oder Landverantwortliche, unter anderem durch die Einführung einer zweiten Kammer. Bréma Ely Dicko weiß, wovon er spricht, er gehörte zur Verfassungskommission.
„Derzeitige Sicherheitslage lässt Wahlen nicht zu“
Die Ausarbeitung der neuen Verfassung erfolgte unter breiter Beteiligung der Bevölkerung, berichtet Diory Traoré, die seit über 20 Jahren in zivilgesellschaftlichen Initiativen aktiv ist: „Früher habe ich mich überflüssig gefühlt. Umso wichtiger ist für mich, dass die Übergangsregierung dem gefolgt ist, was in den Nationalen Versammlungen im Dezember 2021 gemeinsam beschlossen wurde. Dadurch habe ich das Gefühl, dass meine Teilnahme Sinn gemacht hat.“
Spätestens vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, weshalb kaum jemand die abermalige Verschiebung der Wahlen beklagt: „Niemand hat etwas anderes erwartet – die derzeitige Sicherheitslage lässt Wahlen nicht zu“, so Bréma Ely Dicko lakonisch. Allerdings geht er davon aus, dass die Wahlen zum frühestmöglichen Zeitpunkt nachgeholt werden.
Die Zustimmung zur Militärregierung bedeutet freilich nicht, dass die Menschen unkritisch oder insgesamt zufrieden seien. Die soziale Lage, darauf weisen etliche Gesprächspartner:innen hin, ist katastrophal. Die Preise für Güter des täglichen Bedarfs schnellten während der Coronapandemie steil nach oben und sind seitdem nicht mehr gesunken. Das hat maßgeblich mit den von der Regionalorganisation Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) gegen Mali verhängten Sanktionen sowie den Auswirkungen des Ukrainekrieges zu tun.
Es geht nicht nur um Lebensmittelpreise. Ein junger Bauer, der noch vor acht Monaten im Vollbesitz seiner physischen Kräfte war, ist heute extrem geschwächt, auf seinem Rücken klafft eine kraterartige 5 mal 8 Zentimeter große Wunde, die nicht heilt: Er kann seine Diabetesmedikamente nicht mehr regelmäßig finanzieren.
Die staatliche Elektrizitätsgesellschaft hat minderwertige Generatoren gekauft, was mit dazu führt, dass in Bamako der Strom täglich bis zu 18 Stunden ausfällt. Besonders verzweifelt sind Berufsgruppen wie Schneider:innen, Schweißer:innen oder Mechaniker:innen, die auf Strom angewiesen sind, aber keine Generatoren haben und nun abends ohne Tageseinnahmen nach Hause gehen.
Ein Ladenbesitzer, der seine Waren bei 37 Grad im Schatten nicht kühlen kann, fürchtet, dass dies zum Stolperstein für die Regierung werden könnte, die er eigentlich unterstützte: „Die Malier gehen nicht häufig auf die Straße, aber wenn, dann massenhaft und meist mit Konsequenzen.“
Malis Armee kann handfeste Erfolge vorweisen
Ladenbesitzer in Bamako
Die breite Zustimmung zur Übergangsregierung hat vor allem mit der Sicherheitslage zu tun. Malis Armee kann da durchaus handfeste Erfolge vorweisen. Die bäuerliche Basisgewerkschaft Copon aus dem Bewässerungsgebiet „Office du Niger“ im Zentrum des Landes ist zwar mit einer 15-köpfigen Delegation für drei Tage in die Hauptstadt gereist, weil europäische Besucher derzeit nicht zu ihr können.
Aber Benke Traoré, einer ihrer Sprecher, meint: „Die Bauern stehen zu 100 Prozent hinter der Übergangsregierung. Sie können dieses Jahr wieder Felder bewirtschaften, wo es letztes Jahr noch zu gefährlich war.“ Zudem sei die Armee mittlerweile in der Lage, in die Wälder Richtung Mauretanien vorzudringen und dschihadistische Gruppen aktiv zu bekämpfen.
Und doch ist die Lage nicht überall rosig. Ein Bauer aus der Region Timbuktu, der seit 10 Jahren mit seiner Frau und sieben Kindern in Bamako lebt, aber noch täglich mit seinem Dorf im Kontakt steht, unterstützt die Armee. Die einzige Chance auf dauerhaften Frieden bestehe in der Entwaffnung aller Milizen und Terrorgruppen, findet er, und wer sich nicht entwaffnen ließe, gehöre erschossen.
Das klingt brachial, verweist aber auf die Verzweiflung über die wahrgenommene Lage, dass geschätzt 3.000 bis 5.000 islamistische Terroristen seit nunmehr 13 Jahren über 20 Millionen Menschen in Schach halten.
Dies zu verstehen, ist wichtig. Die Menschen lehnen nicht nur Dschihadisten ab, sondern auch die von einzelnen Tuareg-Clans dominierte separatistische Rebellenallianz CSP im Norden Malis. Diese spräche nur für sich selbst, sie hätte noch nicht mal in ihrem Kerngebiet eine Mehrheit hinter sich, heißt es. Die Eroberung der seit 2014 von CSP-Rebellen besetzte Stadt Kidal durch Malis Armee wurde in Bamako mit großer Anspannung verfolgt.
Manche plädieren für eine Einheitspartei
Allenthalben ist Unduldsamkeit gegen tatsächlich oder vermeintlich egoistisches Verhalten zu beobachten. So wurden in jüngerer Zeit auch Parteigänger der Übergangsregierung zu Haftstrafen verurteilt, unter ihnen Adama Ben Diarra, besser bekannt als Ben Le Cerveau.
Der Deutung, die Revolution fresse ihre Kinder, widersprechen allerdings viele. Jeder könne sagen, was er wolle, zur Illustration wird auf die extrem kontroverse Debatte um die neue Verfassung verwiesen. Was aber nicht ginge, sei Hassrede, Propaganda und Verleumdung. Denn dieses in den 1990er Jahren mit der Einführung der Mehrparteiendemokratie aufgekommene Verhalten habe Malis Gesellschaft von innen her vergiftet und sei einer der Gründe der aktuellen Krise.
Entsprechend meint eine Mitstreiterin von Adama Ben Diarra, dass dieser nicht für seine Meinung verurteilt worden sei, sondern deshalb, weil er in verklausulierten Worten einen Geheimdienstchef habe diskreditieren wollen. Der Hinweis auf solche Abgründe ist mittlerweile obligatorisch, selbst wenn es bloß um die Einrichtung einer neuen Whatsapp-Gruppe geht.
Fadiala Dianka, ein Dorfchef aus dem Süden Malis, geht noch einen Schritt weiter. Er plädiert für eine Einheitspartei, so wie nach der Unabhängigkeit 1960: „In den Zeiten von Modibo Keïta waren alle zusammen. Alle haben sich verstanden, es gab Sicherheit. Aber heute mit dem Mehrparteiensystem – guck, was passiert: Streit, Unsicherheit, alle Formen von schlechten Dingen. Das wäre mit einer Einheitspartei nicht der Fall. Das ist wie in einer Familie, wo auch alle zusammen sind.“
Olaf Bernau ist bei „Afrique-Europe-Interact“ aktiv, er war in deren Auftrag im Oktober in Mali. 2022 erschien sein Buch „Brennpunkt Westafrika. Die Fluchtursachen und was Europa tun sollte“.
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