Hamburger Cum-Ex-Affäre: Vieles spricht gegen Scholz
Fazit nach drei Jahren Untersuchungsausschuss: Linke sieht Indizien, dass der Bundeskanzler dem Finanzamt einen Wink zugunsten der Warburg-Bank gab.
Die Linke präsentierte ihr Fazit im Vorgriff auf eine Sitzung des Untersuchungsausschusses am Mittwoch. Dort soll ein Zwischenbericht diskutiert werden, der die bisherigen Erkenntnisse darstellen und bewerten soll. Ein Zwischenbericht deshalb, weil die Opposition aus CDU, Linken und FDP beantragt hat, den Untersuchungsauftrag auf die ehemalige HSH Nordbank – heute Hamburg Commercial Bank – zu erweitern. Die ehemalige Landesbank hatte ebenfalls Cum-Ex-Geschäfte gemacht.
Diese Geschäfte wurden, wie Gerichte inzwischen mehrfach geurteilt haben, einzig und allein zu dem Zweck betrieben, den Steuerzahler zu bestehlen. Dabei wurde durch den wechselseitigen Kauf, Verkauf und das Leihen von Aktien mit und ohne Dividendenanspruch Rückerstattungsansprüche erzeugt für Kapitalertragssteuern, die gar nicht bezahlt worden waren. Der Schaden wird allein in Deutschland grob auf zehn Milliarden Euro geschätzt.
Aufarbeitung begann mit einer Falschinformation
In dem Fall, in den Scholz als damaliger Bürgermeister und Tschentscher als damaliger Finanzsenator involviert sind, ging es um die traditionsreiche Hamburger Privatbank M.M.Warburg. In den Jahren 2016 und 2017 wollte die Finanzbehörde die Erstattung von 90 Millionen an Steuern aus Cum-Ex-Geschäften verhindern. Nach Überzeugung der mit der Bank befassten Betriebsprüfer ging es jedoch um Steuern, die die Bank gar nicht bezahlt hatte.
Bekannt wurde das Ende 2019 und die Aufarbeitung in Hamburg begann mit einer Falschinformation, um nicht zu sagen: einer Lüge des Senats. Im November 2019 wollte der Linken-Abgeordnete Norbert Hackbusch wissen, ob es im Zusammenhang mit den Steuererstattungen persönliche Gespräche „zwischen dem Bankhaus M.M.Warburg und dem Senat“ gegeben habe und ob der Erste Bürgermeister Olaf Scholz darin eingebunden gewesen sei? Antwort: „Nein.“
Tatsächlich gab es mehrere solcher Gespräche im Amtszimmer des Bürgermeisters. Vor dem Ausschuss konnte sich Scholz später daran erinnern, dass diese stattgefunden hätten, nicht jedoch an deren Inhalt. Dabei ging es um Forderungen in dreistelliger Millionenhöhe, die angeblich den Fortbestand der Bank gefährdet hätten.
Die Affäre wurde auch vom Bundestag aufgegriffen und nachdem die Opposition sich von Tschentscher im Haushaltsausschuss hingehalten gefühlt hatte, initiierte sie den Untersuchungsausschuss. Dessen Ziel: „Klärung der Frage, warum der Senat und die Steuerverwaltung bereit waren, Steuern in Millionenhöhe mit Blick auf Cum-Ex-Geschäfte verjähren zu lassen und inwieweit es dabei zur Einflussnahme zugunsten der steuerpflichtigen Bank und zum Nachteil der Hamburgerinnen und Hamburger kam“.
Zu den Indizien, dass es zu einer solchen Einflussnahme kam, gehören nach einer Auflistung der Linken die erwähnten Gespräche Scholzens mit dem Warburg-Bankier Christian Olearius. Diese wurden von dem Sozialdemokraten und ehemaligen Senator Alfons Pawelczyk eingefädelt.
Norbert Hackbusch, Bürgerschaftsabgeordneter Die Linke
Bei einem dieser Gespräche 2016 übergibt Olearius Scholz ein Argumentationspapier der Bank, das in der Finanzbehörde schon vorliegt und dessen Argumentation auf eine Mitarbeiterin des Finanzamtes zurückgeht. Ein paar Tage später fordert Scholz Olearius auf, dieses Papier kommentarlos seinem Finanzsenator Tschentscher zu übergeben. Dieser reicht es in seine Behörde hinein mit der „Bitte um Informationen zum Sachstand“. Gegen die Einschätzung ihrer Betriebsprüfer ließ die Finanzverwaltung die Forderung dann verjähren.
Ein Jahr später wies das Bundesfinanzministerium die Hamburger an, eine ähnliche Forderung nicht verjähren zu lassen – offenbar ein recht seltener Vorgang. Dagegen wehrte sich die Hamburger Finanzverwaltung, indem sie einen Brief nach Berlin schickte, in dem sie für eine Verjährung argumentierte. „Wichtige Teile der Behörde agierten als Verteidiger der Bank“, sagt Hackbusch. „Das war nur mit Rückendeckung des Senators möglich.“
Tatsächlich mit der Bank verständigt
Die Krone setzte die Finanzbehörde dem Ganzen aus Sicht der Linken auf, als sie 2019 eine „tatsächliche Verständigung“ mit der Bank vorschlug. Damit hätten sich Stadt und Bank auf eine Summe geeinigt, die weit unter den Rückforderungsansprüchen lag. Das Bundesfinanzministerium unterband das.
„Die Warburg-Bank konnte sich während der gesamten Affäre der offiziellen und inoffiziellen Hilfestellung der politischen Elite Hamburgs gewiss sein“, resümiert Die Linke. „Der Senat hatte Angst um den Banken-Standort Hamburg“, vermutete Hackbusch, denn die Vorgänge fallen in jene Zeit, als das Debakel der HSH Nordbank die Stadt beschäftigte.
Eben mit dieser Skandalbank, die sich am Finanzmarkt schwer verzockt hatte und auch Cum-Ex-Geschäfte nicht ausließ, will sich die Bürgerschaft in einer Fortsetzung des Ausschusses beschäftigen. Die frühere Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein hatte 2012 nach Medienberichten eine unabhängige Prüfung ihrer Cum-Ex-Geschäfte beauftragt und unter anderem die Hamburger Finanzverwaltung über die Ergebnisse informiert. Die hatte daraufhin 127 Millionen Euro an erstatteten Steuern zurückgefordert und war damit eine Vorreiterin. Danach scheint sie auf Leitungsebene das Interesse oder zumindest den Biss verloren zu haben.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Hamburger Finanzverwaltung habe 2014 ein kriminelles Cum-Ex-Geschäft der HSH Nordbank AG entdeckt. Tatsächlich hat die HSH Nordbank AG im Dezember 2012 eigeninitiativ eine unabhängige Prüfung der von ihr zuvor betriebenen Cum-Ex-Geschäfte angestoßen und deren Zwischenergebnisse noch im Jahre 2013 unter anderem der Hamburger Finanzverwaltung mitgeteilt.
Außerdem war von einem zweijährigen Untersuchungsausschuss die Rede. Der Ausschuss tagte jedoch drei Jahre. Wir bedauern die Irrtümer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste