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Regisseur Meirhaeghe an der VolksbühneDem Schönen misstrauen

Zwischen Menschheitsgeschichte und Kaninchenscheiße: der belgische Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe inszeniert an der Berliner Volksbühne.

Benjamin Abel Meirhaeghes bevorzugtes Mittel ist die Ironie Foto: Apollonia T. Bitzan

Man stelle sich einen Schauspieler auf dem Höhepunkt seiner Karriere vor. In einem der renommiertesten Theater Europas hat er die riesige Bühne eine Szene lang ganz für sich allein. Er spielt niemand Geringeren als Gott. Aus einem Eimer kippt er erst etwas Erde auf die Bühne, sprenkelt dann noch ein wenig Wasser dazu, woraufhin eine Band im Orchestergraben zu „The Final Countdown“ ansetzt und Gottvater sich bei den ersten Bläserstößen aus der Pfütze seiner gerade vollbrachten Schöpfung erhebt! Und dann?

Nun, dann streift sich Benny Claessens seine Kleider vom Leib, hüpft ein bisschen unmotiviert über die Bühne, läuft im Kreis, schlackert mit den Armen, und als die dramatische Musik verebbt, zieht er bockig von dannen: „Pferdchen ist müde.“

Wie unbeeindruckt, wie lässig Claes­sens hier einen großen Moment herschenkt! Es ränge einem beinahe Respekt ab, wenn das Ergebnis nur nicht so läppisch wäre. Wer hier von Enttäuschung spricht, begeht jedoch einen Kategorienfehler, unterläuft der Belgier doch seit Langem schon jede Erwartung an Ernsthaftigkeit.

Die Ironie ist sein liebstes Instrument, mitunter argwöhnt man: vielleicht sein einziges. Damit passt er vortrefflich in diese Inszenierung, die das Heilige und Größte anruft, um es sogleich auf die Maße des Profanen und Mickrigen zusammenzustutzen.

Trostlose Existenz

Einen Text, den Susanne Bredehöft vorträgt, darf man als Poetologie des Abends „Death Drive – Everything everyone ever did“ verstehen. Sie erzählt von einem Mann, der unbedingt wissen wollte, was sich am Ende der Straße befand. Niemand sonst verstand seinen Wunsch, er aber wollte dieses letzte Rätsel lösen. Also ging er den ganzen Weg, erreichte nach vielen Jahren das Ende der Straße – und fand an seinem Ende nichts als einen Haufen Kaninchenscheiße. „Nicht einmal das Kaninchen war mehr da.“

Dieses Gleichnis auf die trostlose Existenz entspricht dem ästhetischen Atheismus des belgischen Regisseurs Benjamin Abel Meirhaeghe, der in seiner ersten Produktion an der Berliner Volksbühne wunderschöne Bilder zu arrangieren vermag, jedoch weitaus mehr Freude daran zu haben scheint, die Nutzlosigkeit dieses Talents vorzuführen.

Anfangs laufen zwei nackte Tänzer aufeinander zu, küssen sich, lecken einander am Anus, imitieren in einer ebenso derben wie eleganten Choreografie einen Geschlechtsakt, der nicht weniger als die Menschheit hervorbringen wird. Denn kurz darauf ziehen sie ein riesiges Ei auf die Bühne, aus dem das Ensemble hervorkriecht, um sich die Erde untertan zu machen.

Anfangs laufen zwei nackte Tänzer aufeinander zu, küssen sich, lecken einander am Anus, imitieren einen Geschlechtsakt

Von hier an geht es gut eineinhalb Stunden lang weitgehend wortlos durch die Menschheitsgeschichte. Man baut sich primitive Behausungen, guckt konzentriert auf Blumensträuße, imitiert Tiere und Tänze. Riesige Stoffbahnen senken sich immer wieder auf die Bühne, in ihrer Mitte eine leere Fläche, die womöglich Konzentration zu bündeln versucht. Nur worauf?

Schon alles gesagt

Die besseren Momente lassen erahnen, dass die Regie eine Antwort auf diese Frage kennt, sie aber nicht ohne weiteres offenbaren möchte. In den schlechteren fürchtet man, dass mit dem Hinweis auf die Kaninchenscheiße schon alles gesagt sein könnte.

Zu Letzteren gehört eine Szene, in der das Ensemble sich an einem Tisch versammelt, um mit Eimern, Schlagwerk und allerlei sonstigem Zeug unter Anleitung Claessens’ eine Klang-, vor allem aber Lärmimprovisation zu exekutieren. An dessen Ende füllen sie sich die Münder mit Wasser und schlagen einander Tortilla Wraps gegen die prallen Wangen.

Als wäre der Albernheit nicht schon Genüge getan, ordnet Kathrin Angerer als Nonne verkleidet Steine und kleine Hölzer unter einer Kamera an, murmelt, dass sie alles gesehen, nun aber keinerlei Interesse mehr an irgendetwas habe, woraufhin sie ihre Séance konsequenterweise abbricht, die Schale mit den Steinen wegstellt und stattdessen eine Pizza auftischt, an der sich das Ensemble dann auch zufrieden gütlich tut.

Große Worte wie Gott, Sinn, Erkenntnis und auch Kunst werden an diesem Abend eifrig durchgestrichen und von der Bühne abgeräumt. Entschlossen könnte das wirken, erzählen könnte es etwas, wenn diese Geste noch etwas Rebellisches aufwiese, wenn sie dem Zeitgeist nur ein wenig widerspräche. Was aber will man dieser Tage mit einem Theaterabend anfangen, der stolz vor sich herträgt, dem Schönen zu misstrauen?

Man kann ihn bestenfalls vor den eigenen Augen vorüberziehen lassen, sich an ein paar großen Bildern erfreuen, die Musik der Brassband Beat ’n Blow genießen und später dann beim Pizza essen über etwas anderes sprechen.

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