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Portugal nach dem Rücktritt CostasUm der Würde willen

Portugals Präsident muss diese Woche über Neuwahlen entscheiden. Derweil laufen die Korruptionsermittlungen gegen führende Politiker.

Seit 2015 regierte der Sozialist António Costa. Er führte Portugal aus dem Rettungsschirm der EU Foto: Jose Sena Goulao/epa

Madrid taz | Vorgezogene Wahlen ausrufen oder die derzeitige sozialistische Parlamentsmehrheit mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen? Das muss Portugals Staatschef Marcelo Rebelo de Sousa bis Ende der Woche klären, nachdem der seit 2015 regierende Ministerpräsident António Costa am Dienstag überraschend zurücktrat.

Zuvor durchsuchte die Polizei 40 Anwesen, darunter das Umwelt- und das Infrastrukturministerium sowie die Residenz Costas. Fünf Personen wurden festgenommen, auch Costas Kabinettschef Vítor Escaría, der sozialistische Bürgermeister der südportugiesischen Hafenstadt Sines, sowie drei einflussreiche Geschäftsleute, wie Diego Lacerda Machado, der als „bester Freund Costas“ gilt.

Gegen sie, sowie gegen Infrastrukturminister João Galamba und Umweltminister Duarte Cordeiro wird wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Vorteilsgewährung im Zusammenhang mit der Vergabe von Lizenzen zum Lithiumabbau im Norden Portugals sowie für die Produktion von grünem Wasserstoff in Sines ermittelt.

„Im Laufe der Ermittlungen hat sich herausgestellt, dass sich die Verdächtigen auf die Autorität des Ministerpräsidenten berufen haben und dass dieser eingegriffen hat, um Verfahren zu beschleunigen“, zitiert die portugiesische Presse die Staatsanwaltschaft. Dies reichte Costa, um seinen Rücktritt einzureichen. Er werde mit der Justiz zusammenarbeiten, sei unschuldige, wolle aber die Würde des Amtes nicht schädigen, so der Sozialdemokrat.

Europäische grüne Projekte unter der Lupe

Nur Costas Partei würde gern eine neue Regierung mit dem aktuellen Parlament bilden

Der Lithiumabbau in Portugal und die Herstellung von grünem Wasserstoff gehören zu den wichtigsten europäischen Projekten für eine nachhaltige Zukunft. Im Norden Portugals, an der spanischen Grenze, sollen sich die größten bisher in Europa bekannten Lithiumvorhaben befinden, um die Herstellung von über einer halben Million Batterien für Elektrofahrzeuge „Made in Europe“ zu ermöglichen. Der grüne Wasserstoff soll bald per Pipeline nach Mitteleuropa gelangen.

Portugals Staatspräsident Rebelo de Sousa empfängt am Mittwoch alle Parteichefs und am Donnerstag den Staatsrat – ein beratendes Gremium, in dem unter anderem der Parlamentspräsident und die Chefs der Regionalregierungen vertreten sind. Danach wird er eine Entscheidung fällen. Die meisten Parteien wünschen sich Neuwahlen – nur Costas Partido Socialista (PS) würde gern eine neue Regierung mit dem aktuellen Parlament bilden.

Die Sozialisten brauchen schnell einen Nachfolger

Bei Neuwahlen steht die PS vor einem Problem: Sie muss schnell einen Nachfolger suchen. Seit 2015 regiert Costa und er hat die Partei mit seiner sozialen Politik, die Portugal aus dem Rettungsschirm der EU und des Internationalen Währungsfonds führte und so manche Sparmaßnahme aus der Eurokrise zurücknahm, hinter sich geeinigt.

Als Nachfolger werden zwei Männer gehandelt. Der eine, Ex-Infrastrukturminister Pedro Nuno Santos, vertritt den linken Parteiflügel, hat aber ein Imageproblem. Er trat im Januar als Minister zurück, nachdem er einem Ex-Mitglied des Vorstands der staatlichen Fluggesellschaft TAP eigenmächtig eine halbe Million Euro als Entschädigung bezahlt und ihm anschließend einen anderen hochdotierten öffentlichen Job zukommen gelassen hatte.

Gerade ist er Abgeordneter und genießt als TV-Kommentator eine gewisse Beliebtheit. Der andere ist Wirtschaftsminister Fernando Medina. Er löste Costa schon einmal ab, als dieser das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt Lissabon verließ, um in die nationale Politik zu gehen. Die PS wird einen vorgezogenen Parteitag veranstalten müssen.

Ob Costa sich nun um den Vorsitz des Europäischen Rats bewerben wird, hängt wohl direkt vom Verlauf der Ermittlungen ab.

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