Recep Tayyip Erdoğan gefällt das

In Hamburg startete am Freitag der PKK-Prozess gegen den Kurden Kenan A. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Der Angeklagte und seine Verteidigung sprechen von einem „originär politischen Verfahren“

Kenan A. in Hamburg vor Gericht: Er soll ein führendes Mitglied der PKK sein Foto: Marcus Brandt/dpa

Von André Zuschlag

In Hamburg ist am Freitagmorgen der Staatsschutzprozess gegen den Kurden Kenan A. gestartet. Er muss sich wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (Paragraf 129 Strafgesetzbuch) vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, „seit September 2018 als hauptamtlicher Kader der PKK“ tätig gewesen sein.

A. und seine Ver­tei­di­ge­r*in­nen halten das Verfahren hingegen für einen politischen Prozess. „Nicht ich, sondern Erdoğan sollte hier vor Gericht stehen“, sagte A. mit Blick auf Völkerrechtsverletzungen der Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der seit Jahren auch militärisch gegen die kurdische Unabhängigkeitsbewegung vorgeht.

Mit Victory-Zeichen und breitem Lächeln betrat der unscheinbar wirkende Angeklagte am Morgen den Gerichtssaal – unter Applaus vieler Un­ter­stüt­ze­r*in­nen hinter der Glasscheibe, die den Zuschauerbereich vom restlichen Gerichtssaal trennt. Diese hatten zuvor schon eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude abgehalten und die „Kriminalisierung der kurdischen Bewegung“ beklagt, wie eine Rednerin ausführte.

Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft soll der 49-Jährige zwischen September 2018 und Juni 2020 als Mitglied der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) tätig gewesen sein – als sogenannter Regions- und Gebietsverantwortlicher für die Region um Hamburg und in Teilen Nordrhein-Westfalens. Er soll sich als „hauptamtlicher Kader“ um die Rekrutierung von neuen Mitgliedern, um Spenden und um die Verbreitung von Propaganda gekümmert haben. Die PKK ist dieser Tage schon seit 30 Jahren in Deutschland verboten.

Kenan A. hielt sich indes auf Zypern auf, als er im März aufgrund eines von der Bundesrepublik beantragten Haftbefehls festgenommen und Anfang Juni nach Hamburg in Untersuchungshaft ausgeliefert wurde. Der in der Türkei geborene Kurde lebte auf Zypern als anerkannter Geflüchteter. Bereits in den 1990ern soll er in der Türkei festgenommen und gefoltert worden sein.

Wegen eines durch die Folter erpressten Geständnisses, sagte seine Verteidigerin Antonia von der Behrens, habe er insgesamt 15 Jahre in türkischer Haft verbringen müssen. 2010 flüchtete er nach Zypern, nachdem ein weiterer Prozess gegen ihn angestrengt worden war.

Von der Behrens sieht das vom Generalbundesanwalt eingeleitete Verfahren darin begründet, dass das türkische Regime offenbar Druck auf die Bundesrepublik ausgeübt habe. Schließlich hatten Er­mitt­le­r:in­nen A. zwar schon länger unter Beobachtung, doch erst als die Türkei in der Debatte um die Nato-Beitritte von Schweden und Finnland Forderungen an die europäischen Nato-Staaten stellte, mehr Druck auf vermeintliche PKK-Mitglieder auszuüben, forcierten die Er­mitt­le­r:in­nen die Anklage und die Festnahme. „Der Haftbefehl in dem Moment, in dem Erdoğan Druck machte, zeigt, dass das ein originär politisches Verfahren ist“, sagte von der Behrens mit Blick auf ihren Mandanten. „Sonst säße er jetzt nicht hier auf der Anklagebank.“

Die Beweise der An­klä­ge­r:in­nen hält von der Behrens für dürftig. So baue die Anklage vor allem auf mitgeschnittene SMS und Telefonate, die A. geschrieben oder geführt haben soll. Für absurd hält sie die Deutung der Bundesanwaltschaft, dass A. seinen Vornamen als Decknamen in der Kommunikation genutzt haben soll. Hinzu komme: Während der Generalbundesanwalt von der PKK als mordende Terrororganisation spreche, werfe sie A. auch von den Grundrechten gedecktes Verhalten wie die Organisation einer Demonstration vor. „Wir reden hier nicht von Gewalttaten, sondern von der Beschaffung einer Musikanlage oder davon, einen Veranstaltungsraum zu besorgen“, sagte von der Behrens.

Mit einem Antrag auf Einstellung des Verfahrens versuchte die Verteidigung am Freitag auch das anhaltende Verbot der PKK anzugreifen: Das werde in der Bundesrepublik willkürlich aufrechterhalten, das Gericht unter dem Vorsitz von Petra Wende-Spors solle das prüfen. Mit der zunehmenden Autokratisierung der Türkei unter Erdoğan würden die Menschenrechte immer weniger geachtet – zum Leid der kurdischen Bewegung und der PKK, die sich, so die Verteidigung, für eine Demokratisierung einsetze. Die PKK verteidige sich lediglich militärisch gegen türkische Attacken.

Der Kurde lebte auf Zypern als anerkannter Geflüchteter; in den 1990ern soll er in der Türkei gefoltert worden sein

Auch der Angeklagte verwies darauf, dass die Türkei den Schutz der Menschenwürde, so wie er in Deutschland im Grundgesetz verankert ist, vielen ihrer Bür­ge­r:in­nen verwehre – insbesondere den Kurd:innen. „Deshalb ist der kurdische Kampf keiner um die Freiheit, sondern um die Existenz“, sagte er.

Ob der Angeklagte und seine Ver­tei­di­ge­r:in­nen mit dieser Strategie Erfolg haben, ist fraglich. Das wussten auch schon A.s Un­ter­stüt­ze­r:in­nen auf der morgendlichen Kundgebung. „Wir rechnen mit drei bis fünf Jahren Haft“, sagte eine Aktivistin.

14 weitere Verhandlungstage hat das Gericht bis Ende des Jahres angesetzt.