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Ein Leben lang lebenslang

Jamal Kiyemba saß nach den Anschlägen des 11. September 2001 im Foltergefängnis Guantanamo. Beweise, dass er zum islamistischen Terror Verbindung hat, gab es keine, man ließ ihn frei. Jetzt, 20 Jahre später, steht er als vermeintlicher Terrorist in Uganda vor Gericht. Seine Geschichte erzählt auchdas Scheitern der USA im Kampf gegen den Terror

Kiyemba wurde Anfang Mai im ugandischen Kampala zum ersten Mal offiziell für mutmaßliche Terrorverbrechen angeklagt. Er wirkte schwer gezeichnet. Sein Anwalt bezweifelt, dass er noch prozessfähig ist

Aus Kampala Simone Schlindwein (Text und Fotos)

Als Jamal Kiyemba im Gerichtssaal in Ugandas Hauptstadt Kampala aufsteht, um die Entscheidung der Richterin entgegenzunehmen, zittert er am ganzen Körper. „Gegen Sie wird Anklage erhoben, in den Jahren 2021 und 2022 in der Demokratischen Republik Kongo und in Uganda eine Terrororganisation unterstützt zu haben, indem sie Personen rekrutierten“, donnert die Richterin. „Zudem werden Sie beschuldigt, Mitglied einer Terrororganisation zu sein oder zu behaupten, Sie seien ein Mitglied“, fährt sie fort. „Drittens haben Sie am 29. Januar 2022 am alten Busbahnhof in Kampala öffentlich die Bevölkerung aufgerufen, eine Terrorgruppe zu unterstützen.“ Damit bestünden laut Gericht „ausreichende“ Verdachtsmomente, um der Klage stattzugeben und das Hauptverfahren zu eröffnen, so die Richterin. Der erste Verhandlungstag wird im August angesetzt. Dann lässt sie den Hammer fallen.

Tränen kullern über Kiyembas Wangen. Es ist für ihn fast ein historisches Ereignis, an diesem Tag Anfang Mai. Rund ein Viertel seines Lebens hat der heute 43-Jährige in Einzelhaft in den schlimmsten Gefängnissen der Welt verbracht: zunächst im berüchtigten US-Militärgefängnis in Bagram in Afghanistan, dann in Guantanamo auf Kuba, schließlich in Folterzellen in Uganda. Doch bis heute wurde er niemals angeklagt oder gar verurteilt. Dass er jetzt vor Gericht steht, ist der Tatsache geschuldet, dass er – vermeintlich freiwillig – gestanden hat, ein Terrorist zu sein.

Kiyemba ist damit wohl der erste Terrorverdächtige in Ugandas überfüllten Gefängnissen, der seine Taten offen gesteht. Er ist so automatisch zum Präzedenzfall geworden. Jeder in Ostafrika kennt ihn als den „Guantanamo-Guy“, sein Fall schafft es regelmäßig auf die Titelseiten der Zeitungen.

Für Uganda ist es also ein prominentes Verfahren, es ist eines der wichtigsten vor dem ugandischen Sondergericht für internationale Verbrechen und Terrorismus. Es ist ein kleines Gebäude auf einem Hügel in Kampala, mit gerade einmal einem einzigen, engen und dunklen Gerichtssaal, in welchem die Uhr stehen geblieben ist, weil mal wieder der Strom ausgefallen ist. 2010 wurde es mit US-Hilfsgeldern und Beratern gegründet. Denn nach dem 11. September 2001, nach den Terroranschlägen in den USA, wurde Uganda schnell in den weltweiten Krieg gegen den Terror hineingezogen. 2001 bereits entsendete Uganda private Sicherheitskräfte nach Afghanistan und später in den Irak, um den US-Streitkräften zu helfen.

Über 20 Jahre später zieht sich die Frontlinie gegen den Terror quer durch Ostafrika. Zwei Terrormilizen, die sich „Islamischer Staat Zentralafrikas“ nennen, operieren zwischen dem Horn und Kongos Dschungel: Die somalische Miliz Al-Shabaab, die in Kenia und Uganda für viele Attacken verantwortlich gemacht wird, und die ugandischen Rebellen der ADF (Vereinigte Demokratische Kräfte), die sich seit über 20 Jahren in den Bergen an der Grenze zum Kongo verschanzt halten. Gleichzeitig führen Ugandas Geheimdienste inländisch Krieg. Regelmäßig kommt es in den muslimischen Gemeinden zu Massenverhaftungen, um angebliche Schläferzellen auszuheben. Auch die Moschee im Armenviertel Zzana, in der Vorstadt Kampalas, wo Kiyemba lebt, ist mehrfach gestürmt worden, mit wenig Erfolg.

Uganda bekämpft die islamistischen Kämpfer mit US-amerikanischen Methoden, die an Guantanamo erinnern. Eine britische Menschenrechtsanwältin erklärt gegenüber der taz: „Die Amerikaner haben das Guantanamo-System erfolgreich outgesourct.“ Ihren Namen will sie nicht nennen, ihr Job ist ein sensibler: Sie kümmert sich um zahlreiche Ex-Häftlinge aus Guantanamo und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

I. Guantanamo, 2004: Im Foltergefängnis

Gerade einmal zwei Seiten lang ist die Akte des Pentagon über Kiyemba. Das Dokument, ausgestellt am 3. November 2004, besagt: Das „Bedrohungslevel“, das von dem damals 24-jährigen ausging, sei „medium“; der geheimdienstliche Wert seiner Informationen sei „gering“. Als „Empfehlung“ wird angeführt: „Freilassung oder Überstellung in ein anderes Land, um ihn dort weiter in Gewahrsam zu halten oder zu kontrollieren.“

Als sein damaliger US-Anwalt, Clive Smith, 2005 zum ersten Mal nach Guantanamo reist, wird Kiyemba in einem orangefarbenen Häftlingsanzug, mit einer schwarzen Kapuze über dem Kopf und in Hand- und Fußfesseln in die Besprechungszelle geführt, berichtet der Anwalt der taz. Smith, der privat in England lebt, vertrat damals 19 Insassen in Guantanamo. Sie alle waren entweder britische Staatsbürger oder hatten Aufenthaltsgenehmigungen dort. Zu Letzteren zählte Kiyemba, unter seinen Klienten der jüngste, „fast noch ein kleiner Junge“, erinnert er sich, „mit einem freundlichen Lächeln“.

Kiyembas Fall war der erste, dessen sich Smith annahm. Bei einem Blick in seine damaligen Unterlagen, die er für die taz aus seinem Archiv herausholt, stellt er erneut fest: Kiyembas Akte war gerade einmal zwei Seiten lang – „ein Witz“ im Vergleich zu den Dokumentenbergen, die sie über andere Gefangene angehäuft hatten, so der Anwalt. Es war „offensichtlich“, dass, alle Anschuldigungen gegen ihn „absoluter Bullshit waren“, sagt Smith: „Alles, was sie gegen ihn hatten, hatten sie aus ihm herausgefoltert oder von anderen unter Folter über ihn erfahren.“ Also zog Smith mit Kiyembas Fall vor ein Gericht in den USA und verklagte den damaligen Präsidenten George W. Bush wegen illegaler Verhaftung und Folter.

Die taz hat versucht, Kiyembas Lebensgeschichte nachvollziehen – durch Gespräche mit seinen Verwandten in Uganda und anhand von Gerichtsdokumenten. Die Angehörigen, bis auf Kiyembas Frau, wollen nicht mit Namen genannt werden. Mit dieser Geschichte verbindet die Familie eine große Scham.

Anthony, wie er mit Geburtsnamen heißt, wird 1979 als erster Sohn in eine wohlhabende Familie geboren, die am Stadtrand von Kampala Land besitzt. Den Namen Jamal gab er sich erst später selbst, als er zum Islam konvertierte.

Die Ehe seiner Eltern hielt nicht lange. Seine Mutter machte sich auf zu einer Tante ins weit entferne London, da war „Tony“, wie ihn alle nach wie vor nennen, noch sehr klein. Er wuchs bei seinem Vater und den Großeltern in Zzana auf, katholisch erzogen. Auf vergilbten Kindheitsfotos sieht man Tony bei seiner Kommunion im weißen Hemd und Fliege direkt neben dem Bischof. Der Junge war aufgeweckt, in der Schule soll er einer der Besten gewesen sein.

Als Tony knapp zehn Jahre alt war, starb 1989 seine Großmutter, vier Jahre später auch sein Vater bei einem Autounfall. Er kam zu seiner Mutter nach London. In Wimbledon machte er seinen Schulabschluss und begann ein Pharmaziestudium, er wollte Apotheker werden.

Dreimal besuchte Tony in diesen Jahren die Familie daheim in Uganda, Fotos zeigen ihn verlegen in Anzug und Krawatte auf dem Familiensofa. Beim letzten Besuch, im Jahr 2000, bemerkten sie, dass er sich vor dem Essen nicht mehr bekreuzigte wie früher. Sie fanden das nicht gut, erklärten es sich aber mit Traumatisierung durch den Verlust des Vaters. Dass der damals 20-jährige Tony sich in London Jamal nannte, in die Moschee ging und dort radikalen Predigten zuhörte, davon ahnten sie nichts.

„Ich habe davor viel Party gemacht und Geld rausgehauen“, erklärte Kiyemba später – da war er bereits wieder aus Guantanamo zurück in Uganda und deshalb eine Berühmtheit – in seinem einzigen Interview mit der ugandischen Tageszeitung New Vision. Ein Freund habe ihm Kassetten mit islamischen Predigten gegeben. Als er im April 1999 zum Islam übertrat, fühlte er sich „wie ein neugeborenes Kind“. Doch von da an, sagte er der Zeitung, „konnte ich es nicht mehr ertragen, zu sehen, wie Mädchen kurze Röcke tragen und Männer Alkohol trinken“. In einer Zeitschrift hatte er über Afghanistan gelesen, wie die Taliban einen Staat unter den Scharia-Gesetzen errichten wollten. Er beschloss, dorthin zu reisen.

Doch bis nach Afghanistan kam er nicht. Als am 11. September 2001 in New York die Zwillingstürme einstürzten, war er noch in London. Nachdem US-Streitkräfte in Afghanistan einmarschierten, flog er laut eigener Darstellung im Dezember 2001 zunächst in den Iran und mietete in Teheran gemeinsam mit zwei weiteren Afrikanern ein Auto. Laut den Protokollen seines Geständnisses in Guantanamo sowie seinen späteren Aussagen in Uganda, die der taz vorliegen, wurde er im pakistanischen Peshawar in einem Lager im Gebrauch des AK-47 Sturmgewehrs ausgebildet. Die Akten im Archiv seines US-Anwalts sagen, Kiyemba sei gemeinsam mit einem Sudanesen und einem Mauretanier am 19. März 2002 von pakistanischen Militärgeheimdienstlern an der Grenze zum Iran aufgegriffen und dann gegen eine Gebühr von 5.000 Dollar pro Kopf an die US-Behörden übergeben worden.

Das Trainingslager in Peshawar hat es laut dem Anwalt nie gegeben. Dies sei Teil des mit Folter erzielten Geständnisses gewesen. „Erst die Amerikaner verschleppten Jamal nach Afghanistan“, stellt der Anwalt nachdrücklich klar. In Afghanistan saß Kiyemba monatelang im berüchtigten US-Militärgefängnis in Bagram ein, das später für brutale Foltermethoden weltweit traurige Berühmtheit erlangen sollte. Auch Kiyemba wurde dort misshandelt, bestätigt einer seiner ehemaligen Mitgefangenen der taz per E-Mail. Der Mithäftling saß nach taz-Informationen ein halbes Jahr in der Zelle neben Kiyemba.

Am 28. Oktober 2003 wurde Kiyemba mit weiteren hunderten Gefangenen nach Kuba ausgeflogen, in die US-Haftanstalt in Guantanamo, wo er bis 2006 einsaß. Laut seinen Guantanamo-Akten, die der taz vorliegen, trug er die Häftlingsnummer US9UG-000701. Das „UG“ im Code steht für sein Herkunftsland: Uganda.

Wie die Entscheidung, Kiyemba schließlich freizulassen und nach Uganda auszufliegen, zustande kam, lässt sich aus den Guantanamo-Akten nicht nachvollziehen. Darin ist lediglich Kiyembas Aussage vor dem Haftprüfungsausschuss festgehalten: „Ich hatte jede Menge Zeit nachzudenken“, steht dort. Er sei „noch jung“ gewesen, doch inzwischen sei er „offensichtlich erwachsen“. Er wolle nach England zurück, sein Studium beenden, eine Familie gründen. Aber die Behörden in London weigerten sich, Kiyemba wieder ins Land zu lassen. Sein Studentenvisum sei abgelaufen, er sei ugandischer Staatsbürger. Also setzten die Amerikaner ihn in seiner Heimat Uganda ab.

II. Uganda, 2006: „Wir haben ihn“

Am 7. Februar 2006 wurde Kiyemba im orangefarbenen Häftlingsanzug und mit einem schwarzen Sack über dem Kopf, begleitet von 40 schwerbewaffneten US-Soldaten, auf der Landebahn des Internationalen Flughafens Entebbe aus dem Flugzeug gezerrt. Smith sagt: „Er wurde den ugandischen Behörden übergeben, wie bei einer Gefangenenüberstellung.“ Er wundert sich: „Davon erfuhr ich erst, als er schon in der Luft war.“ Kiyembas Akte sei den Ugandern wie ein „Geheimdienstpaket“ übergeben worden. Seitdem hänge ein „Damoklesschwert“ über Kiyembas Leben. „Großbritannien schickt Terrorverdächtige lieber nach Uganda“, titelt New Vision. Ugandas damaliger Außenminister Sam Kutesa bestätigte: „Wir haben ihn.“

Die Agenten des ugandischen Militärgeheimdiensts CMI steckten Kiyemba zunächst für zwei Wochen in ein sogenanntes „Safe House“. Dort begann Kiyembas zweite Leidensgeschichte von willkürlichen Verhaftungen ohne Anklage. „Safe House“ nennt man in Uganda unregistrierte Hafteinrichtungen, dort verschwinden Verdächtige, werden gefoltert, missbraucht und brutal verhört. Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht 2022 von 400 „Safe Houses“ allein auf einer einzigen Insel im Victoriasee, in welchen nicht nur muslimische Terrorverdächtige, sondern auch Oppositionelle, Journalisten und kritische Autoren brutal misshandelt würden.

III. Kampala, 2023: Der Prozess

Als Jamal Kiyemba am 2. Mai dieses Jahres im dunklen engen Gerichtssaal vor dem Terror-Gericht in Kampala zum ersten Mal offiziell für mutmaßliche Terrorverbrechen angeklagt wird, wirkt er schwer gezeichnet. Sein Blick verirrt sich zuweilen im Raum und wird dann wieder starr, richtet sich ins Leere. Seine trockenen Lippen beben unkontrolliert. Fast die Hälfte der vergangenen 17 Jahre, seit er aus Guantanamo zurück ist, hat er in Ugandas berüchtigten Gefängnissen verbracht. Sein ugandischer Anwalt Geoffrey Turyamusiima bezweifelt, dass er nach all den brutalen Misshandlungen und den daraus resultierenden posttraumatischen Belastungsstörungen überhaupt noch prozessfähig ist.

Vor dem Gerichtsgebäude steht an diesem Dienstag Anfang Mai auch eine Frau in einem schwarzen Hidschab, nur ihre geschminkten, traurigen Augen sind zu erkennen. In der Hand hält sie einen Plastikbehälter, neben ihr steht ihr zweijähriger Sohn. Saina Slait hat für Jamal Kiyemba, ihren Mann, Mittagessen gekocht. Die 31-jährige Uganderin lebt mit den acht Kindern in Kiyembas altem Familienhaus in Zzana. Der baufällige Bungalow mit dem rostigen Wellblechdach liegt an einer Schnellstraße, die zum Flughafen führt. An einer Straßenlaterne beim Haus ist eine Überwachungskamera angebracht. Slait zeigt nach oben, als sie die Tür öffnet: „Sie können sehen, wer unser Haus betritt“, merkt sie an, während sie ihre Kinder vorstellt. Slait meint die Männer vom ugandischen Geheimdienst.

IV. Kampala 2010: Der Anschlag

Dieser Artikel wurde möglich durch finanzielle Unterstützung des Recherchefonds Ausland e. V. taz.de/auslandsrecherche

Eine Weile lang seien sie glücklich verheiratet gewesen, sagt Slait, die ersten Kinder wurden geboren. Dann explodierten während des Halbfinales der Fußballweltmeisterschaft am späten Abend des 11. Juli 2010 in Kampalas vollbesetzten Sportbars zwei Sprengstoffgürtel, 76 Menschen wurden getötet, 85 verletzt. Zu jener Zeit verhandelte ein Washingtoner Gericht gerade über Kiyembas Fall. Es wurde darüber gestritten, welche US-Instanz über eine Freilassung der Häftlinge aus Guantanamo überhaupt entscheiden darf.

Am Morgen nach dem Anschlag stand Ugandas gut ausgebildete Anti-Terror-Einheit JATT vor Kiyembas Tür, berichtet Slait: „Sie stürmten das Haus, stellten alles auf den Kopf und nahmen Telefone und das Radiogerät mit.“ Kiyemba befand sich gerade in der nahe gelegenen Moschee zum Morgengebet. Sie stellten ihn dort. „Als sie ihn nach drei Tagen wieder freiließen, war er ein anderer Mensch“, erinnert sich Slait. Über seine Zeit in den Verhörzellen habe er nie gesprochen, berichtet sie. Doch in ihr wuchs das unheimliche Gefühl, dass seine Guantanamo-Vergangenheit ihn nicht loslassen würde.

Es war 2013, als dieses ungute Gefühl sich plötzlich bestätigte, erinnert sie sich. Aus zahlreichen muslimischen Gemeinden in Kampala verschwanden Jugendliche spurlos. Es wurde vermutet, die islamistische Miliz ADF rekrutiere Nachwuchs für ihren Krieg im Kongo. Auch aus Zzana verschwanden Jugendliche, bestätigt der dortige Bezirksvorsteher Michael Kayondo der taz. Ugandas Geheimdienste waren alarmiert. Die US-Botschaft in Kampala gab kurz vor den Weihnachtsfeiertagen eine Terrorwarnung heraus.

Heiligabend 2013 stürmten Agenten von Ugandas Anti-Terror-Einheit JATT erneut Kiyembas Haus. US-Dienste hatten Hinweise übergeben, die ADF plane einen Anschlag in Kampala. Sie nahmen Kiyemba mit, wie schon einmal drei Jahre zuvor.

Am ersten Weihnachtsfeiertag brachten sie ihn zurück, in Handschellen. Mit Sprengstoffhunden durchsuchten sie das Haus, die Nachbarschaft und die Moschee. „Sie fanden Nägel und Farbe, mit der wir die Wände streichen wollten“, erinnert sich Slait. Ihr Mann hatte gerade begonnen, das Haus zu renovieren: „Sie nahmen alles mit und sagten, damit könne man Bomben bauen.“ Sechs Monate saß Kiyemba dieses Mal in dem „Safe House“. Sechs Monate lang wusste Slait nicht, wo sie ihn hingebracht hatten. „Ich ging zur Polizei, ich fragte beim Geheimdienst, ich klopfte überall an, aber niemand wollte mir verraten, was sie mit ihm gemacht haben“, berichtet sie. Im Juli 2014 kam er wieder nach Hause. „Sie hatten ihn einfach laufen lassen“, nickt Slait.

Am 30. März 2015 wurde Ugandas Chefanklägerin für Terror-Verfahren in ihrer Hauseinfahrt erschossen. Das ganze Land stand unter Schock. Die USA versicherten der ugandischen Regierung ihre „Unterstützung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.“ Nur einige Tage nach diesem Attentat auf die Staatsanwältin stürmten die JATT-Einheiten erneut Kiyembas Haus. Es war der Ostermontag 2015. Slait erinnert sich noch genau. Als die schwarz vermummten Männer vor Morgengrauen ihren Mann aus dem Bett zerrten, setzten bei ihr die Wehen ein. Slait kam ins Krankenhaus, hochschwanger mit Zwillingen.

„Ich wurde von jemandem in der Armee angerufen, zu Kiyembas Haus zu kommen“, erinnert sich auch Ortsvorsteher Kayondo an jenen Tag. „Dort traf ich auch drei FBI-Beamte, die mir ihre Ausweise zeigten.“ Die US-Botschaft bestätigte, sie helfe bei den Ermittlungen. Seitdem muss Kayondo feststellen, dass Geheimdienstler in Zivil durch Zzana laufen, auch er wird regelmäßig von ihnen aufgesucht.

Nach fast anderthalb Jahren entschied 2016 dann ein Haftrichter, dass keine ausreichenden Beweise gegen Kiyemba vorlägen, und ließ ihn frei. Als Kiyemba dieses Mal nach Hause kam, „hatte er Komplikationen“, sagt seine Frau. „Er war verwirrt. Er war manchmal richtig verrückt.“ Sie brachte ihn nach Butabika, in Ugandas einzige staatliche Psychiatrie. Dort verabreichten ihm die Ärzte Medikamente gegen Schizophrenie. „Er musste sie täglich nehmen, doch manchmal weigerte er sich“, sagt Slait. Seitdem passte sie ständig auf ihn auf: „Manchmal lief er durch die Nachbarschaft und fand nicht mehr nach Hause zurück, manchmal redete er seltsames Zeug.“

V. Kampala 2022: Die Verhaftung

Die Familie von Jamal Kiyemba vor ihrem Haus, im Bild rechts Kiyembas Frau, Saina Slait

Einen solchen schizophrenen Schub hatte Kiyemba vermutlich auch am Tag seiner letzten Verhaftung im Januar 2022. Bereits am Vorabend habe er nur wirre Sachen gesagt, erzählt Slait. „Er hat mich und die Kinder zu Verwandten geschickt, wir sollen dort übernachten, es sei zu Hause nicht mehr sicher.“ Ihr Mann, glaubt sie, leidet an Verfolgungswahn.

Sie deutet aus dem Fenster auf die Überwachungskamera gegenüber ihrem Haus, wir folgen ihr nach draußen. Slait zeigt die Straße entlang: An jenem Vormittag sei er aus dem Haus gegangen, an den Kameras vorbei bis zum Büro des Ortsvorstehers in der nächsten Querstraße. Um 10 Uhr soll Kiyemba dort im Büro gesessen haben. Ortsvorsteher Kayondo bestätigt: „Ich habe hier mit ihm ein paar Sachen besprochen, es ging um ein Stück Land seines verstorbenen Vaters“. Kiyemba besitzt Land und ein paar Immobilien. Seit er aus Guantanamo zurück ist, lebte er vor allem von den Mieteinnahmen.

Vom Gespräch mit dem Ortsvorsteher kehrte Kiyamba nicht mehr nach Hause zurück. Was geschah, ist strittig. Ortsvorsteher Kayondo will selbst gesehen haben, wie Kiyemba wieder in Richtung seines Hauses gegangen sei. In den Gerichtsakten heißt es hingegen, Kiyemba sei gegen 9.30 Uhr am Busbahnhof gewesen, mehr als fünf Kilometer entfernt. Laut Verhörprotokoll gibt Kiyemba an, er sei in einen Minibus gestiegen. „Ich wollte einen alten Freund besuchen, der an Krebs leidet“, erklärt er. Vor der Abfahrt habe er gebetet. „Ich habe gerufen: Lang lebe die ADF!“ Hinter ihm im Bus saß ein Leutnant der ugandischen Armee. Dieser packte ihn und nahm ihn fest. Verhaftungszeitpunkt: 10 Uhr – also ungefähr zur selben Zeit, in der Kiyemba im Büro des Ortsvorstehers gesessen haben soll. Als Kiyemba später im Verhör sogar zugibt: „Unser Ziel ist es, dort zu kämpfen, wo es notwendig ist, um die ganze Welt unter Kontrolle der Scharia-Gesetzte zu stellen“, scheint die Sache klar.

Sein Anwalt Turyamusiima, ein kleiner Mann im schwarzen Dreiteiler, seufzt. Kiyemba ist einer von über 40 Terrorverdächtigen, die er vertritt. Kein Fall sei so verzwickt wie dieser. „Im Gefängnis erlauben sie ihm nicht, seine Medikamente zu nehmen“, sagt er. „Also weiß man nie, in welchen Zuständen er all diese Geständnisse abgelegt hat.“ Derzeit sitze Kiyemba im Zentralgefängnis in Einzelhaft und trage einen beigen Häftlingsanzug – das soll den Wärtern signalisieren, dass er nicht ganz zurechnungsfähig sei. Seine Zurechnungsfähigkeit müsse also dringend geklärt werden. „Jenseits dieses unter Folter getätigten Geständnisses haben sie keinen einzigen Beweis.“

Er öffnet Kiyembas Akte und zeigt auf eine ausgedruckte Liste mit Telefonnummern. „All diese Leute soll er angeblich angerufen oder mobil Geld an sie geschickt haben.“ Und er zeigt auf eine Pfeilkarte, die Kiyembas Verbindungen mit ADF-Mitgliedern nachzeichnen soll. Sie soll beweisen, dass er die ADF im Kongo finanziere. „Doch sein Handy, mit welchem er all dies getan haben soll, ist nirgendwo aufzufinden.“

All dies müsse nun im Prozess geklärt werden, sagt Kiyembas Anwalt Geoffrey Turyamusiima. Doch am ersten Verhandlungstag jetzt im August hat der Verteidiger zunächst den Antrag gestellt, Jamal Kiyemba psychiatrisch untersuchen zu lassen. Am 3. Oktober wird die Richterin über diesen Antrag entscheiden. Slait sagt, sie hoffe, dass ihrem Mann geholfen werde, zu beweisen, dass er kein Terrorist sei. Denn: „Was sollen unsere Kinder über eine Regierung denken, die ihren Vater so lange foltert, bis er so etwas freiwillig zugibt?“ Dabei guckt sie wieder nach oben, zur Überwachungskamera.

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