Antisemitismus benennen

In Kunst und Kultur wird der Terror gegen Israel gefeiert. Der Kongress „Reclaim Kunstfreiheit“ des Instituts für Neue Soziale Plastik stellt sich in Berlin die Frage, wie Antisemitismus begegnet werden kann

Das nach Kritik verhüllte Großbanner „People’s Justice“ des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi bei der Documenta 2022 Foto: Uwe Zucchi/picture alliance/dpa

Von Erica Zingher

Nichts ist mehr, wie es war. Seit Samstag in Israel, wo mittlerweile über 1.200 Zi­vi­lis­t:in­nen brutal von den Terroristen der Hamas getötet, gefoltert und vergewaltigt wurden, bis zu hundert Menschen noch immer verschleppt in Gaza sind. Alles ist auch anders für Jüdinnen und Juden in der Diaspora, die nicht nur um Freun­d:in­nen und Familie in Israel bangen, sondern den Hass auf Juden gleichzeitig auch auf den Straßen und in sozialen Medien zu spüren bekommen.

Wie spricht man in diesen Tagen, in denen das wohl größte Pogrom gegen Juden seit der Shoa passiert, über Antisemitismus in Deutschland? Konkret im Kunst- und Kulturbetrieb? Ist das überhaupt möglich? Angebracht? Das ist die Herausforderung, vor der das Institut für Neue Soziale Plastik seit Dienstag in Berlin steht. Das 2015 von antisemitismuskritischen und jüdischen Künst­le­r:in­nen gegründete Institut, das sich der Antisemitismusprävention verschrieben hat, startete seinen Kongress „Reclaim Kunstfreiheit. Antisemitismuskritik, Kunst und Kultur“, der einst als Reaktion auf die Documenta fifteen konzipiert wurde. Zahlreiche antisemitische Werke waren damals auf der Documenta ausgestellt worden. Die Reaktionen der Verantwortlichen folgten einer bekannten Routine, die nach antisemitischen Vorfällen zu beobachten sind. Es wurde sich entschuldigt, Unwissenheit vorgeschoben und von verletzten Gefühlen gesprochen. So hatte zum Beispiel das indonesische Kollektiv Taring Padi reagiert, auf dessen Agitprop-Bild auch antisemitische Bildstereotype in Stürmer-Tradition zu sehen waren.

Stella Leder, Mitbegründerin des Instituts für Neue Soziale Plastik, sagt nun der taz. „Wir erleben diesen Kongress als Team anders, weil das Gefühl von Freude nicht herstellbar ist. Menschen sagen uns für den Kongress ab, weil sie betroffen sind oder ihre Familien in Israel.“

So wird der Kongress zu einem, der stattfindet „trotz“ der Ereignisse in Israel. Und dieses „trotz“, das der Mitbegründer Benno Plassmann in seiner Eröffnungsrede im Roten Salon der Volksbühne Berlin betont, hat im Kontext des Kongress­themas einen widerständigen Charakter. Denn es sind nicht zuletzt Menschen aus dem Kunst- und Kulturbetrieb, die aktuell die Morde an jüdischen Zi­vi­lis­t:in­nen als „Freiheitskampf“ oder legitimen „Widerstand“ feiern.

Dass in Berlin-Neukölln Demonstranten die Terrorakte der Hamas bejubelten, „Viva, viva, Palästina!“ gerufen wurde, gefiel Reza Afisina und Iswanto Hartono, Ruangrupa-Mitglieder und ehemalige Documenta-Kuratoren. Jedenfalls hinterließen sie bei einem Video dieser Kundgebung, das auf dem Instagram-Account „Real documenta“ hochgeladen wurde, ihre Likes. Der Account ist keine offizielle Vertretung der Documenta. Wer dahintersteht, ist unklar.

Eigenartig, denn im Oktober 2022, als es Proteste gegen ihre Gastprofessuren an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg (HFBK) gab, betonten Afisina und Hartono noch, keine Antisemiten zu sein. Die Jüdische Allgemeine hat die Künstler um Stellungnahme gebeten. Zwar haben sie ihre Likes für das Video entfernt. Eine öffentliche Erklärung steht weiterhin aus. Dafür hatte sich Documenta-Geschäftsführer Andreas Hoffmann am Montag mit deutlichen Worten von Afisina und Hartono distanziert. In einer Pressemitteilung erklärte er, dass die Likes der Mitglieder des Kuratorenkollektivs Ruangrupa „unerträglich und inakzeptabel“ seien.

Propalästinensische Demonstranten, die den Terror bejubeln – dieser Post, der mit „Berlin up for Palestine tonight“ betitelt ist, gefällt (Stand Donnerstag) weiterhin 87 Menschen auf Instagram. Darunter sind noch immer namenhafte Künst­le­r:in­nen wie der Fotokünstler Adam Broomberg, für den Israel ein „Apartheidsstaat“ ist und der von 2015 an ebenfalls an der HFBK lehrte. 2021 beendete die Hochschule wegen seiner Apartheid-Aussage die Zusammenarbeit mit ihm. Aktuell ist er Dozent an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe (HfG).

Broomberg likt auch weitere Videos des Instagramaccounts „Real documenta“, unter anderem eines, das eine propalästinensische und antisemitische Demonstration vor der israelischen Botschaft in London feiert. Auf dieser Demonstration wurden Parolen wie „Juden ins Gas“ skandiert sowie Zionismus mit Rassismus gleichgesetzt.

Zudem teilt Broomberg auf seinem privaten Instagram-Account Beiträge, die unter anderem die Verschwörungserzählung beinhalten, Israel hätte die Ermordung und Enthauptung von Babys inszeniert. In einem anderen Post wird ein Vergleich zwischen Israel und Nazipropaganda hergestellt. Auf Anfrage der taz sagt die Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, Broomberg vertrete als Gastdozent nicht die Positionen der HfG. Die Posts seien der Hochschule bislang nicht bekannt gewesen. Man gehe den Vorwürfen nach, brauche dafür erst einmal Zeit. „Die HfG verurteilt den terroristischen Überfall der Hamas auf jüdische Zivilisten in Israel aufs Schärfste. Auch Antisemitismus in Deutschland wird von der HfG nicht akzeptiert“, heißt es außerdem.

Auch Künstler Jota Mombaça, der derzeit eine Ausstellung im Center for Contemporary Arts (CCA) in Berlin hat, likt das Video der feiernden propalästinensischen Demonstranten in Berlin. Erst Ende September fand im CCA, einem Ort, der von sich selbst behauptet, „kritisches Wissen über Kunst und Kultur“ zu fördern und zu kultivieren, ein Gespräch zwischen Mombaça und Edwin Nasr statt, Kurator der Ausstellung. Nasr hat ebenfalls mit Instagram-Posts seine Freude über den Terror in Israel ausgedrückt. Wie die Welt zuerst berichtete, teilte Nasr unter anderem am 8. Oktober eine Bildcollage, auf der fliehende Partybesucher des Wüsten­raves zu sehen sind, die von der Hamas gejagt werden. Darüber prangt in roter Schrift „Poetic Justice“, poetische Gerechtigkeit. Der Screenshot liegt der taz vor. Mittlerweile ist bekannt, dass mindestens 260 der Fes­ti­val­teil­neh­me­r:in­nen von den Terroristen der Hamas kaltblütig ermordet wurden.

Auf seiner Website weist das CCA in einer Antidiskriminierungsklausel daraufhin hin, keine „diskriminierende Handlungen und Äußerungen aufgrund rassistischer und antisemitischer Zuschreibungen, ethnischer Herkunft, Staatsangehörigkeit“ zu akzeptieren. Für die Positionen ihres Kurators und eines ausstellenden Künstlers scheint es Ausnahmen zu geben. Zu den Vorwürfen äußerte sich das CCA auf Anfrage der taz bis Redaktionsschluss nicht.

Menschen wie die eben aufgezählten werden in Deutschland gefeiert; sie werden mit Preisen und Förderungen ausgezeichnet, erhalten Lehraufträge. Das überrascht nicht. Antisemitische Kritik an Israel gehört in der Szene zum guten Ton. „Wir bekommen aktuell mit, wie sich Kurator:innen, Künst­le­r:in­nen und andere Menschen aus dem Kunst- und Kulturbereich kritisch zu Israel äußern, wie sie Gewalt verharmlosen. Wenn ein Pogrom gegen Juden stattfindet, scheint das für viele akzeptabel zu sein“, sagt Stella Leder.

Dass es sich längst nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein strukturelles Problem, darauf weist auch das Institut für Neue Soziale Plastik immer wieder hin. Leder beklagt, dass es seit der Documenta fifteen weder auf Bundesebene noch auf Ebene der Länder kulturpolitische Konsequenzen ge­geben hat. „Für mich stellt sich bis heute die Frage, wie das Kuratierungsteam der Documenta zustande kommen konnte, warum die Findungskommission nicht anders gehandelt hat, warum die zuständigen Verwaltungen diese so besetzt haben.“

Es gibt auch positive Entwicklungen. So konnte das Institut für Neue Soziale Plastik ein Netzwerk mit antisemitismuskritischen und jüdischen Künst­le­r:in­nen initiieren, sagt Leder. Das Institut bekomme zudem mehr Anfragen von Kultur­institutionen, die sich Rat holten. „Darunter sind auch Institutionen, die sagen, sie hätten BDS unterschätzt.“

Sie bekommen den Hass auf Juden auch auf den Straßen und in sozialen Medien zu spüren

Mittlerweile solidarisierte sich der Deutsche Bühnenverein in einem Statement am Dienstag mit Israel. „Der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel erschüttert uns zutiefst. Wir sind in Gedanken bei den Opfern der feigen Gewalttaten, bei ihren Angehörigen und bei allen, die derzeit um ihre Zukunft bangen. Die Sicherheit Israels ist zu Recht Teil der deutschen Staatsräson“, heißt es darin. Das Schauspielhaus in Hamburg hat sich diesem Statement angeschlossen. Auch die Kammerspiele München verurteilen die Angriffe auf israelische Zi­vi­lis­t:in­nen in einer kurzen Meldung.

Leder findet diese Solidarisierung gut, „vor allem, weil Kulturinstitutionen und Künst­le­r*in­nen sich in den letzten Jahren eher israelfeindlich geäußert haben – oder gar nicht“. Sie weist aber auch darauf hin, dass es schön wäre, „wenn es nun eine breite Solidarisierung geben würde, um den israelfeindlichen Aussagen, die wir in den letzten Tagen gehört haben, etwas entgegenzusetzen“.

Klar ist auch: Wer diese Statements ernst meint, muss sich zukünftig daran messen lassen. Das heißt konkret: Antisemitismus darf im deutschen Kunst- und Kulturbetrieb keinen Platz finden.

Das Institut für Neue Soziale Plastik führt seinen Kongress bis kommenden Montag fort. Ein für Freitag geplantes Thea­terstück wurde jedoch abgesagt, da es auf den ersten Schabbat nach den Angriffen auf Israel fällt.