Rückgaben von NS-Raubkunst: Restitution soll leichter werden
Deutsche Museen sollen nicht länger Rückerstattungen von NS-Raubkunst blockieren können. Das verlangt die zuständige Kommission.
Zugleich zeigt sich die Ampelregierung zu Reformen bereit. Aus Kreisen des Staatsministeriums für Kultur und Medien war zu erfahren, dass sich Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) am Rande der Regierungsklausur in Meseberg mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) auf Kernpunkte für eine veränderte Verjährungsregelung, einen Herausgabeanspruch und einen einheitlichen Gerichtsstand verständigt hat.
In einem am Montag veröffentlichten gemeinsamen Positionspapier von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden heißt es zudem, das 20-jährige Bestehen der Beratenden Kommission gebe Anlass, „Ausgestaltung, Organisation und Verfahren der Beratenden Kommission daraufhin zu prüfen“, ob sie den internationalen Prinzipien in dieser Frage entsprechen. Die Rahmenbedingungen sowohl für Provenienzforschung als auch die Restitutionspraxis sollten weiter verbessert werden.
Die Ständige Kommission wurde gegründet, um bei Streitfällen zu Objekten, die sich im öffentlichen Besitz befinden, mit den Nachfahren von während der NS-Zeit Verfolgten eine Lösung herbeizuführen. Als „Haupthemmnis“ für eine erfolgreiche Arbeit bezeichnen Kommissionspräsident Hans-Jürgen Papier und sämtliche weitere Mitglieder in dem am Montag veröffentlichen Memorandum die Tatsache, dass ein solches Verfahren nur im Konsens möglich ist. Nicht nur die Nachfahren der Verfolgten, sondern auch die Museen müssen einer Anrufung der Kommission zustimmen, bevor diese tätig werden kann.
Washingtoner Abkommen wird nicht gefolgt
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier und seine Kollegen beklagen, dass dieses Verfahren den Prinzipien des Washingtoner Abkommens zur Restitution von unter den Nazis gestohlenen Werken widerspricht. Laut diesen Prinzipien sollen die Vorkriegseigentümer und deren Erben dazu ermutigt werden, ihre Ansprüche anzumelden.
Sie führen als Beispiel Picassos „Madame Soler“ auf. Bei dem Gemälde verweigere die Bayerische Staatsgemäldesammlung seit zehn Jahren die Teilnahme an dem Verfahren. Sie begründe dies damit, dass es sich bei dem Kunstwerk nicht um Raubkunst handele. „Die Feststellung, ob das Kunstwerk als Raubkunst anzusehen ist, wäre aber gerade die Aufgabe der Kommission und nicht der von dieser Feststellung betroffenen Institution“, schreibt die Kommission. Dieses „Vetorecht“ sei aus Sicht der Opfer und ihrer Nachfahren „unzumutbar und unangebracht“.
Staatsministerin Roth (Grüne) will in diesem Punkt der Kommission offenbar entgegenkommen. Aus Kreisen ihres Staatsministeriums heißt es, Roth befürworte eine einseitige Anrufbarkeit und eine frühere Befassung der Beratenden Kommission. Sie werde in den kommenden zwei Wochen entsprechende Vorschläge erarbeiten.
Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es dazu, die Regierung werde „die Restitution von NS-Raubkunst verbessern, indem wir die Verjährung des Herausgabeanspruchs ausschließen, einen zentralen Gerichtsstand anstreben und die ‚Beratende Kommission‘ stärken“. Geschehen ist in dieser Angelegenheit aber nichts.
Nur 23 Kunstwerke bisher restituiert
Die aus zehn Personen bestehende Kommission hat in ihrer 20-jährigen Existenz nach eigenen Angaben in 23 Fällen Raubkunstfälle entschieden – zuletzt verfügte sie im Juni, dass Wassily Kandinskys Gemälde „Das bunte Leben“ an die Erben der ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden solle. Eine Ursache für die wenigen Fälle sieht die Kommission darin, dass die gemeinsame Anrufung dafür Voraussetzung ist. Dem stünden jedoch Zehntausende ungeklärter Ansprüche gegenüber.
Bei der staatlich finanzierten Provenienzforschung bemängelt die Ständige Kommission, dass bisher nahezu ausschließlich Museen mit entsprechenden Fördermitteln bedacht werden. Dies habe zur Folge, dass Museen „erst dann auf die Problematik ihrer Bestände reagieren, wenn Erben der Geschädigten eigene Forschung anstellen und Ansprüche vorbringen“, beklagt das Memorandum und verlangt, dass entsprechende Mittel zur Provenienzforschung auch an ein unabhängiges Forschungsinstitut gehen sollten. Auch hier signalisierte Claudia Roth Entgegenkommen.
Bisher betrifft die Restitution von NS-Raubkunst in aller Regel nur Werke im öffentlichen Besitz. Bei von den Nationalsozialisten gestohlener Kunst in heutigem Privatbesitz existiert dagegen keine besondere gesetzliche Regelung – mit der Folge, dass Eigentumsansprüche in aller Regel verjährt sind. Die Ständige Kommission regt daher ein „umfassendes Restitutionsgesetz“ an, „das neue, originäre Herausgabeansprüche“ begründen soll. Den gegenwärtigen Zustand nennt die Kommission „unbefriedigend“.
Eine Reform, die auch im Privatbesitz befindliche in der NS-Zeit den Eigentümern gestohlen Gegenstände berücksichtigen würde, wäre allerdings ein gewaltiger Schritt. Die Bundesregierung hat sich hierzu bisher nicht geäußert. Zehntausende Kunstgegenstände vom Porzellanteller bis zum Ölgemälde, vom Buch bis zum silbernen Kerzenhalter, die zwischen 1933 und 1945 insbesondere Jüdinnen und Juden gestohlen wurden, dürften sich heute noch im Privatbesitz befinden.
Jedermann konnte solche Gegenstände, aber auch Stühle, Betten und jedweden Hausrat ab 1941 bei öffentlichen Versteigerungen von „Judenhaushalten“ im Deutschen Reich erwerben. Die enteigneten Besitzer wurden in den Tod deportiert, der Erlös der Versteigerungen floss in die Taschen des zuständigen Oberfinanzpräsidenten und damit des Nazi-Staats.
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