Kinder sind teuer und machen abhängig: Fangen Sie gar nicht erst an

Anfangs sind Kinder süß und günstig. Je älter sie werden, desto schlimmer wird es. Eine Shoppingtour zur Einschulung.

Ein Kind mit Schultüte und Schulranzen.

Eltern sehen da nicht nur ein schönes Bild. Sie sehen ihren Kontostand ins Bodenlose rutschen Foto: U. J. Alexander/imago

Finden Sie Kinder süß? Achtung, ich kann Sie nur warnen, sich eines anzuschaffen. Sie sind teuer und machen süchtig, fangen Sie gar nicht erst an. Am Anfang lohnt sich das ja noch: ein bisschen Milch, ein bisschen Brei und ein paar Windeln. Mit dem Kindergeld kommt man da schon weit. Aber je älter sie werden, desto schlimmer wird es.

Während Deutschland über die Kindergrundsicherung diskutiert, über Armut und die Frage, was uns Kinder wert sein sollten, beginnt in den meisten Bundesländern die Schule. Zehntausende Erstklässler werden eingeschult. Sie kennen die Bilder: fröhliche Kinder mit Schultüten in den Händen und Ranzen auf dem Rücken. Eltern sehen da nicht nur ein schönes Bild. Sie sehen ihren Kontostand ins Bodenlose rutschen. So schnell, dass bald schon der Zahlenraum bis 100 reicht, um sich auf dem Konto zurechtzufinden.

Mein Einschulungskind wächst in einer Mittelschichtsfamilie auf, mit zwei Eltern mit zwei sehr mittelmäßigen Einkommen. Und selbst für die ist die Einschulung eine finanzielle Herausforderung. Viele seiner Mitschüler haben weniger Glück: Jedes fünfte Kind in Deutschland ist armutsgefährdet.

Keine Statistik bringt das Versagen von Politik so auf den Punkt. Kann man eigentlich noch von Versagen sprechen? Vielleicht besser: unterlassene Hilfeleistung. Oder man sagt, dass man es ganz in Ordnung findet, dass nicht nur die Schule, sondern die Gesellschaft in Klassen eingeteilt ist, von der Geburtsstation bis zum Friedhof.

Ranzen, Schultüte, Malzeug

Rechnerisch sind in einer Schulklasse 5 von 27 Kindern armutsgefährdet. Da deutsche Schulen und Stadtviertel ungefähr so segregiert sind wie ein Apartheidstaat, sind die armen Kinder natürlich ungleichmäßig verteilt, aber das ist eine andere Geschichte.

Jeder Erstklässler bekommt von seiner Schule eine Einkaufsliste, was er zum ersten Schultag mitbringen soll. Ich nehme Sie mal mit auf Shoppingtour:

Ein ordentlicher Schulranzen kostet etwa 200 Euro. Wenn sie dem Kinderrücken etwas Gutes tun wollen und ein Modell nehmen, das empfohlen wird, 250. Damit ist das Kindergeld für den Monat schon weg. Dazu kommen die Schultüte, der Schreibtisch (gebraucht), ein Fahrrad (gebraucht) für den Schulweg, Sportschuhe, eine täglich gefüllte Brotdose, Malsachen. Wenn Sie Pech haben und in einem Bundesland wohnen, wo Bücher nicht von der Schule gestellt werden, es kein kostenloses Mittagessen, kein Schülerticket und keinen Hort gibt, wird es noch teurer.

Und nach der Einschulung geht es weiter: Es wird Herbst, das Kind ist gewachsen, also bitte einmal komplett neu einkleiden. Also nicht neu, sondern gebraucht, wir sind doch nicht Krösus, haha. Wäre schön, wenn wenigstens die Schuhe neu sind, die sind sonst oft so durchgelatscht. Aber 70 Euro für ein Paar Kinderschuhe, das nur ein paar Monate hält?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Bundesregierung will in Zukunft alle Leistungen für Kinder bündeln und digital zugänglich machen, das klingt toll. Die 250 Euro Kindergeld sollen weiterhin jedem Kind zustehen, für arme Familien soll es mehr geben. Aber Geld ist angeblich keins da.

Vielleicht ist es zu viel verlangt, dass Christian Lindner meine Einkaufsliste bezahlt. Geld muss schließlich nicht nur für Eltern, sondern auch für Schulen und Kitas da sein. Aber trotzdem kann man an dieser Stelle mal populistisch werden, damit es jeder Grundschüler versteht: Für steuerlich subventionierten Diesel ist Geld da, 8 Milliarden Euro im Jahr, für Geld gegen Kinderarmut leider nicht.

Mein Sohn war bei seiner Geburt nicht nur süß, sondern hat ohne eigene Leistung sehr viel Schwein gehabt. Und hat auch noch das Glück, zwei solvente Großmütter zu haben. Wie andere Familien das machen, ist mir ein Rätsel.

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Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.

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