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Zittern, wenn geschossen wird

Zwei Schwestern haben eine siebenmonatige Odyssee durch Russland hinter sich. Bei ihrer Rückkehr waren sie schockiert

Aus Charkiw Juri Larin

In Wowtschansk gibt es eine Familie, die bereit ist, darüber zu sprechen, dass ihre Kinder lange Zeit unter dem Vorwand eines Erholungsaufenthaltes in Russland waren. Die 46-jährige Irina Nikolajewa hat telefonisch eingewilligt, die Geschichte ihrer Kinder, der zwölfjährigen Anastasija und der elfjährigen Ksenija zu erzählen, die sieben Monate lang in Russland waren. Ein Treffen lehnt sie ab.

„Damals war das Gebiet hier besetzt. In der Stadt gab es einen Aushang für einen dreiwöchigen Ferienaufenthalt in Gelendschik. Kostenlos. Der war von unserem Amt für Bildung“, erinnert sich Irina. Sie meldete die Mädchen an.

Am 28. August fuhren vier Busse mit insgesamt 99 Kindern aus Wowtschansk los. Irina versichert, dass die Kinder stets telefonisch erreichbar gewesen seien. Als aber wegen der Kämpfe das Netz in Wowtschansk ausfiel, habe man den Kindern ein Video von der Bombardierung gezeigt. „Als ich wieder mit meinen Mädchen telefonieren konnte, weinten sie furchtbar und schrien ‚Mami, Gott sei Dank bist du noch am Leben!‘ Das war schrecklich“, erinnert sich Irina. Gleichzeitig versichert sie, dass die Kinder ein gutes Verhältnis zu den Betreuern gehabt hätten. Verpflegung und Unterbringung seien sehr gut gewesen.

In den sieben Monaten ihres Russlandaufenthaltes waren Anastasia und Ksenia 24 Tage in Gelendschik, etwa drei Wochen in Anapa, anschließend bis zum 24. März 2023 in Jeisk (alle Städte liegen in der südrussischen Region Krasnodar; Anm. d. Red.), danach in Woronesch. Ihre Mutter Irina fuhr dann mit einigen anderen ukrainischen Frauen durch Polen und Belarus, um ihre Töchter aus Russland zu holen. Erst am 3. April kam sie mit den Mädchen zurück in die Ukraine.

Irina erzählt auch von dem Angebot, in Russland zu bleiben und dass sie während ihres ganzen Russlandaufenthaltes vom Geheimdienst begleitet wurde. „Das Treffen mit unseren Kindern war beängstigend. Erst ließ man uns etwas Zeit. Dann schlug man uns im Grunde vor, dass wir in Russland bleiben sollten, mit Flüchtlingsstatus. Ich habe das abgelehnt“, erzählt Irina

Irina wurden bei der Abholung ihrer Kinder keine Bedingungen gestellt. Sie waren eine Gruppe von 14 Frauen mit ihren Kinder, einige auch aus dem Gebiet Cherson. Diese Kinder waren in einem Lager auf der Krim gewesen. Sie erzählten, dass sie dort die russische Nationalhymne hatten singen müssen.

Irina erzählt zwar, dass in Russland keine anderen ukrainischen Kinder sie um Hilfe zur Rückkehr gebeten hätten. Sie gibt aber zu, dass sie das Sanatorium in Woronesch, in dem die Kinder untergebracht waren, nicht hatte betreten dürfen.

Gefragt, ob dort auch ukrainische Kinder gewesen seien, die nicht wussten, wo sich ihre Eltern befanden, wendet sich Irina an ihre Tochter Anastasija. Die antwortet knapp: „Ja, ein Junge und seine Schwester. Die wurden dann irgendwo anders hingebracht.“

„Die Kinder haben weder körperliche noch seelische Folgen zurückbehalten“, glaubt Irina. „Nur, als sie bei ihrer Rückkehr die Zerstörungen gesehen haben, waren sie schockiert. Bei einem Rundgang durch Wowtschansk haben sie gesagt: ‚Mama, aber das hat doch nicht Russland gemacht, oder?‘ Jetzt sind sie schockiert, dass Russland so etwas getan hat. Sie zittern auch immer noch, wenn sie Schüsse hören. ‚Mama, das macht nicht Russland, oder? Dort war doch alles ruhig. Warum greift Russland uns an?‘ Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

Aus dem Russischen: Gaby Coldewey

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