Seenotrettung schwer gemacht

Rettungsorganisationen haben sich bei der EU-Kommission beschwert: Italien behindere ihre Arbeit

Von Christian Jakob

Die EU-Kommission soll prüfen, ob ein Dekret der italienischen Regierung gegen Seenotretter rechtmäßig ist. Fünf NGOs haben am Donnerstag eine entsprechende Beschwerde bei der Kommission eingereicht, weil das Dekret ihrer Ansicht nach nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Sollte die Kommission dem folgen, könnte sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien einleiten.

Das Dekret vom Dezember 2022 ist nach dem italienischen Innenminister Matteo Piantedosi benannt. Es verpflichtet Rettungsschiffe, nach einer Rettungsaktion direkt einen vorgegebenen Hafen anzusteuern und keinem weiteren Notruf zu folgen. Zudem verbietet es Schiffen, Gerettete auf ein anderes Schiff steigen zu lassen. Bei Zuwiderhandlung drohen Geldbußen von bis zu 50.000 Euro und eine Festsetzung oder – im Wiederholungsfall – Beschlagnahmung des Schiffes. Eine Reihe von Schiffen war seither auf Grundlage des Dekrets festgesetzt worden. Gleichzeitig ertranken 1.895 Menschen im ersten Halbjahr 2023.

Die Organisationen SOS Humanity, Ärzte ohne Grenzen (MSF), Oxfam Italia, Association for Juridical Studies on Immigration (ASGI) und Emergency machen nun gegenüber der Kommission geltend, dass das Dekret mit dem EU-Recht und mit völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Seenotrettung unvereinbar sei. „Die Europäische Kommission sollte die Grundrechte aller Menschen in Europa wahren und schützen“, sagte Giulia Capitani von Oxfam Italia. Stattdessen seien es zivile Such- und Rettungsorganisationen, die Menschen in Not auf See retten.

Doch durch das Dekret würden deren Schiffe reihenweise in weit entfernte Häfen zur Ausschiffung von Überlebenden geschickt, was ihre Fahrzeit erheblich verlängert und ihre Präsenz in der Such- und Rettungszone einschränkt.

„Jeder Tag, den wir nicht in der Such- und Rettungszone verbringen, sei es wegen Festsetzungen oder auf dem Weg zu einem entfernten Hafen, gefährdet Menschenleben“, sagt MSF-Einsatzleiter Djoen Besselink. Den Preis „werden die Menschen zahlen, die über das Mittelmeer fliehen.“

Erst am Dienstag war das Rettungsschiff Ocean Viking in Italien festgesetzt worden – wenige Tage nachdem es die libysche Küstenwache beschossen hatte. Bei einer sogenannten Hafenstaatkontrolle im Hafen von Civitavecchia legten die Behörden es an die Kette.

Am Donnerstag beschloss das EU-Parlament eine Resolution, in der es zu Maßnahmen zur Rettung von Menschen auf See aufruft. Die Abgeordneten forderten eine eigene EU-Rettungsmission, ein „Ende der Kriminalisierung von nichtstaatlichen Akteuren für Such- und Rettungsaktionen“ und eine EU-Finanzierung privater Rettungs-NGOs.

Der Rettungsbedarf ist weiterhin hoch. In der Nacht auf Samstag rettete beispielsweise das Segelschiff „Nadir“ 91 Menschen aus dem Mittelmeer. Sie konnten am Samstagvormittag in Lampedusa an Land gehen. Doch die Besatzung der „Nadir“ traf noch auf unzählige Seenotfälle, bei denen sie nicht helfen konnte.