Krimiserie „Mord auf Seite 1“: Die Blaupause aller Politkrimis

Auf Arte lässt sich derzeit die alte britische Serie „Mord auf Seite 1“ in der Mediathek anschauen. Es geht um Journalismus, Politik und Verbrechen.

Ein Mann im Mantel mit Anzug und Krawatte steht in London vor einem Bus, im Hintergrund Westminster Abbey

Stephen Collins in der britischen Serie „Mord auf Seite eins“ Foto: Joss Barratt/BBC

Stellen Sie sich Folgendes vor: ein Zeitungshaus mit gut gefüllten Spesenkonten. Eine Redaktion, die so üppig besetzt ist, dass sich eine Handvoll Re­por­te­r:in­nen in Ruhe wochenlang mit einer einzigen Recherche befassen können. Dazu ein Chefredakteur, der die ganze Zeit mit involviert ist, väterlich, wohlwollend, schützend. Immer ansprechbar.

Das waren noch Zeiten im Journalismus! Genau 20 Jahre ist es her, dass die Londoner Tageszeitung Herald Dreh- und Angelpunkt der BBC-Miniserie „State of Play“ war. Arte hat das Krimidrama frisch in die Mediathek gehievt, wo es also auch im englischen Original zu sehen ist. Die deutsche Titelversion umreißt den Sechsteiler in einer Zeile: „Mord auf Seite eins“.

Mord auf Seite eins“ – Miniserie aus sechs Folgen in der Arte Mediathek

Nach siebeneinhalb Minuten erscheint in der Tat eine Titelseite: Stephen Collins, Labour-Abgeordneter, der mit der U-Bahn zur Arbeit fährt, gut aussehend, junge Familie, gespielt von David Morrissey (jüngst in der Krimiserie „Sherwood“). Das Photo zeigt ihn in Nahaufnahme, er hält sich die Faust vor den Mund: „MP WEEPS FOR YOUNG RESEARCHER“ steht in weißen Großbuchstaben daneben.

Drumherum eine zeitlose, großartig gebaute Szene: Der Moderator der Abendnachrichten hält die druckfrische Zeitung in die TV-Kamera, noch so ein altertümlicher Medienbranchen-Move. Der Fernseher, über den das Publikum den Aufmacher zu sehen bekommt, steht im Schlafzimmer des Abgeordneten Collins. Auf dem Bett sitzt seine Frau, die zum x-ten Mal nur die Voicemail ihres Gatten erwischt. Gerade bekam sie einen Anruf, sie solle besser mal mit ihrem Mann sprechen. Wegen der kommenden Schlagzeilen. Sie hat keinen Schimmer, was Sache ist – oder doch?

Nicht zu verwechseln mit „House of Cards“

Derartig kompakte wie vielschichtige Momente gibt es immer wieder, Drehbuchautor Paul Abbott (auch von ihm: „Shameless“ und „Für alle Fälle Fitz“) und Regisseur David Yates sei Dank. Die Kernhandlung des Films prangt auf besagtem Titel des Herald: Collins’ Mitarbeiterin im Energieausschuss ist tot. Vor die U-Bahn geschubst oder gesprungen, who knows. Glasklar dagegen ist: Collins hatte eine Affaire mit ihr. Dass sein bester Freund gerade wieder frisch beim Herald eingestiegen ist, deutet das Dramapotenzial des Films schon an.

Klingt alles irgendwie bekannt, finden Sie? Nicht zu verwechseln mit der US-Film-Version mit Russell Crowe, Helen Mirren und Ben Affleck Jahre später! Und auch nicht mit dem offensichtlichsten Gegenstück: die andere alte BBC-Serie „House of Cards“ von 1990, Vorlage der US-Serien-Adaption.

In „Mord auf Seite eins“ dröselt sich das ganze Drama nicht von der Politik, sondern ausgehend von einer Zeitungsredaktion auf, bestehend aus Politikbetrieb, Ermittlungsbehörden, Ölindustrielobby und obendrein Privatkram. Die Miniserie taugte als Blaupause aller fürs Binge-freudige Streaming-Publikum gedrehten britischen Politikskandalstorys, sei es „Anatomy of a Scandal“, „Bodyguard“, „A Very British Scandal“ und wie sie alle heißen.

Dass die Reihe von 2003 ist, hat einen Vorteil: Der Rhythmus aus dichten Erzählsträngen, sich überlagernden Plot-Twists und einer zugleich sich immer wieder entspannenden Storyline ist irre angenehm. Dazwischen ist die Story geprägt von anonymen Briefen und Faxen, weiteren Morden, Einbrüchen und Bränden, Verhaftungen und Polizisten, die die Seiten wechseln, Redaktionsdurchsuchungen und Liebschaften zwischen Politik, Presse und Polizei. Und natürlich, mittendrin der heimliche Star: als Chefredakteur der große Bill Nighy.

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