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Keine Kontrolle mangels Zahlen

Der Abgeordnete Jian Omar will Einzelheiten zu Abschiebungen wissen. Die Innenverwaltung hat aber kaum Antworten

Von Susanne Memarnia

Wenn eine Behörde nicht möchte, dass eine bestimmte Praxis hinterfragt wird, hat sie ein einfaches Mittel, kritische Nachfragen zu unterbinden: Sie führt zum fraglichen Thema einfach keine Statistik. Was Jour­na­lis­t*in­nen schon lange ärgert, hat nun auch der flüchtlingspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Jian Omar, erfahren. Er wollte wissen, welche Straftaten Menschen begangen haben, die trotz des Winterabschiebestopps zwischen Dezember und Ende März abgeschoben wurden.

Zwei Mal hat er die Innenverwaltung dazu angefragt, bekam aber nur die Auskunft, dies werde „statistisch nicht erfasst“ – beim zweiten Mal mit dem Zusatz, dies sei auch „mit zumutbarem Aufwand nicht in Erfahrung zu bringen“. Die Antworten auf die zweite Anfrage sind noch nicht veröffentlicht und liegen der taz exklusiv vor. Omar ist stinksauer: „Was die Innenverwaltung macht, ist eine Missachtung des Kontrollrechts des Parlaments und nichts anderes als Auskunftsverweigerung“, sagt er der taz. Schließlich gehe es bei Abschiebungen um „massivste Grundrechtseinschränkungen“ – da müsse die Frage erlaubt sein, wie die Regierung ihr Handeln legitimiere.

Offener Brief zu Moldau

41 Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen haben sich am Montag mit einem

(SPD) gewandt. Sie fordern einen sofortigen Stopp der Abschiebungen vor allem von Rom*nja nach Moldau, bei denen „regelmäßig“ kranke Menschen und Menschen mit Behinderung abgeschoben und Familien getrennt würden. Anlässlich der am Mittwoch beginnenden Innenministerkonferenz in Berlin fordern sie zudem, Moldau nicht wie geplant als sicheres Herkunftsland einzustufen. Rom*nja seien dort nicht sicher. (sum)

Im Dezember hatte der damalige rot-grün-rote Senat nach langer Diskussion einen Winterabschiebestopp bis Ende März erlassen. Ausgenommen davon waren sogenannte Gefährder sowie Rückführungen in EU-Länder, die laut Dublin-III-Verordnung für die Geflüchteten zuständig sind. Auch Menschen, die zu einer Strafe von mindestens 50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt wurden, durften weiter abgeschoben werden.

Auf seine erste schriftliche Anfrage hatte Omar im April erfahren, dass trotz Abschiebestopp 157 Menschen abgeschoben worden waren, davon 35 wegen Dublin-III. Eine Antwort auf die Frage, wegen welcher Straftaten Menschen abgeschoben worden waren, erhielt er mit dem Hinweis auf die fehlende Statistik nicht.

Stattdessen behauptete die Innenverwaltung pauschal: „Sämtliche Abschiebungen erfolgten in Übereinstimmung mit den Ausnahmeregelungen des Winterabschiebungsstopps.“ Weitere Fragen zu Geschlecht und Alter der Abgeschobenen sowie zu Familientrennungen im Zuge der Abschiebungen, die laut altem Koalitionsvertrag vermieden werden sollen, beantwortete sie ebenfalls nicht, da es die Zahlen nicht gebe.

Zugleich wirft sie Omar „Überkontrolle“ vor, indem seine Fragen auf eine „umfassende rechtliche Überprüfung einer Vielzahl von Einzelfällen“ ziele. Omar dagegen sagt: „Wenn 150 Menschen trotz des Winterabschiebestopps abgeschoben werden, müssen das Vorgehen und die Begründungen für gewählte Abgeordnete transparent sein.“

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